Jahrtag der Bücherverbrennung:"Eine nicht beschreibbare Bedrohung"

Wirtin Assunta Tammelleo will eine Lesung veranstalten, bei der aus von den Nazis verbrannten Büchern gelesen wird - und ist ob eines Anrufs der Polizei verunsichert.

Wolfgang Schäl

Wie gefährlich ist es heutzutage, eine Gedenklesung zum Jahrestag der nationalsozialistischen Bücherverbrennung zu veranstalten? So richtig bedroht fühlt sich Hinterhalt-Chefin Assunta Tammelleo, die am Donnerstag dieser Woche wie schon in den vergangenen beiden Jahren den Kulturfrevel des Jahres 1933 in Erinnerung rufen will, nicht. Aber ein klein wenig verunsichert eben doch.

Bücherverbrennung in Berlin, 1933

Mit groß inszenierten Bücherverbrennungen demonstrierten die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung ihren Widerwillen gegen alles "Undeutsche".

(Foto: Scherl)

Grund war ein Anruf der Geretsrieder Polizei, die sich erkundigte, ob sie für die Lesung Beamte schicken sollte, um eventuelle Übergriffe von wem auch immer zu unterbinden. Tammelleo fühlte sich da spontan erinnert an eine soeben durchgeführte große Durchsuchungsaktion im gesamten Oberland - Polizeibeamte hatten am 3. Mai, unter anderem in Wolfratshausen und Geretsried, Wohnungen und Arbeitsplätze von Sympathisanten der Neonazi-Kameradschaft "Jagdstaffel DST" kontrolliert. "DST" steht für "deutsch, stolz, treu".

Natürlich lebe man in einem Land, in dem es auch im 21. Jahrhundert noch geschehen könne, "dass man aufgrund exotischen, dunkelhäutigen, dunkelhaarigen Aussehens mitten am helllichten Tag, mitten in einer Stadt erschossen werden kann", sagt Tammelleo. Gleichwohl bezweifelt sie, dass derlei auch hier, in Geretsried oder Wolfratshausen, passieren könnte.

Dass jemand der Geltinger Kulturbühne Übles will, das glaubt sie definitiv nicht, und deshalb hat sie "das freundliche und fürsorglich gemeinte Angebot der Geretsrieder Polizei" dankend ausgeschlagen. Aber "eine nicht beschreibbare Bedrohung" sei doch ein wenig näher gerückt, nicht nur wegen der geplanten Lesung, sondern vor allem, "weil wir im Team der Kulturbühne mehrheitlich Menschen mit Migrationshintergrund sind". "Und den mehreren von uns", fügt sie hinzu, "sieht man das auch noch an."

Vielleicht, grübelt die Hinterhalt-Wirtin, "sind wir mehr in der Schusslinie, als wir meinen". Schließlich habe man in der Vergangenheit immer wieder mit Drohungen und zerstochenen Reifen zu tun gehabt. Einen aktuellen und konkreten Verdacht, dass Neonazis die Veranstaltung stören wollen, sieht indes auch die Geretsrieder Polizei nicht. "Es gibt keine Erkenntnisse, dass die Jagdstaffel in unserer Stadt aktiv wird", sagt Inspektionsleiter Walter Sigmund, die Anfrage an den Hinterhalt sei "rein präventiv" gewesen.

Den Tag zum Gedenken an die Bücherverbrennung veranstaltet der Geltinger Hinterhalt immer am 10. Mai. Gelesen werden Werke von jüdischen, pazifistischen und marxistischen Autoren, deren Bücher wegen ihres verfemten "undeutschen Geistes" in mehr als 20 deutschen Universitätsstädten in die Flammen geworfen wurden, unter dem Jubel der "Deutschen Studentenschaft" und deren Professoren.

Um dem Treffen Gewicht zu verleihen, sollen möglichst viele Gäste kommen und selbst auftreten (Anmeldungen unter 0177/726 27 27). "Je mehr Leute lesen und je mehr kommen, desto besser ist es", sagt Veranstalterin Assunta Tammelleo. "Für uns, fürs Oberland und vielleicht für die ganze Republik." Beginn der Veranstaltung ist um 19 Uhr.

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