25 Jahre "Natura 2000"-Schutzgebiete:Die Kinderstube des Huchen

Naturschützer sorgen sich um seltene Tiere und Pflanzen an der Isar. Um das Gelände angemessen zu pflegen, braucht es dringend mehr Personal.

Von Ingrid Hügenell, Geretsried

Der größte Huchen, der je in der Isar gefangen worden ist, war 1,43 Meter lang. So prächtige Exemplare können 30 Kilogramm wiegen. Der Huchen gehört wie Forelle, Saibling, Renke und der Lachs selbst zu den Lachsfischen, er ist ein vorzüglicher Speisefisch und trägt auch den Namen "Donaulachs". In der Donau gibt es allerdings nur noch Exemplare, die Fischer dort eingesetzt haben. An der Isar bei Geretsried aber pflanzt sich der selten gewordene Fisch fort. Der Bestand in der Oberen Isar ist einer von nur noch dreien in Bayern, die sich selbst erhalten. Die anderen sind in der Ilz und im Regen zu Hause.

Damit die großen Raubfische und andere seltene Tiere und Pflanzen in und an der Isar auch weiterhin leben können, ist das Areal unter Schutz gestellt worden - es gehört zu den Natura-2000-Gebieten. Das weltgrößte Netz aus Schutzgebieten soll seit 25 Jahren in Europa wertvolle Lebensräume bewahren. In Bayern gehören elf Prozent der Landesfläche als Flora-Fauna-Habitat (FFH) oder Vogelschutzgebiet zum Natura-2000-Netzwerk.

Der Landesbund für Vogelschutz (LBV) und der Landesfischereiverband Bayern (LFV) luden kürzlich zum Jubiläum an die Isar ein - um zu erklären, warum der Fluss und seine Ufer zum Natura-2000-Gebiet gehören, was das bedeutet und wie die Tiere und Pflanzen dort geschützt werden können. Und auch, um darauf hinzuweisen, dass noch nicht alles so gut läuft, wie die Naturschützer sich das vorstellen.

25 Jahre Natura 2000

Johannes Schnell (links), Patrick Türk und Lena Meier fischen in einem Seitenarm der Isar. Ihnen geht unter anderem ein junger Huchen ins Netz.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Bei aller Freude darüber und über das Natura-2000-Jubiläum hat Andreas von Lindeiner, Artenschutzreferent des LBV, auch Kritik. "Es gibt Probleme bei der Umsetzung", sagt er. Dafür seien die Bundesländer zuständig. Um die Schutzziele erreichen zu können, wäre eine gute personelle Ausstattung etwa der Naturschutzbehörden notwendig. Daran hapere es in Bayern aber. Die Naturschutzrichtlinie schreibt vor, dass Management-Pläne erstellt werden, die garantieren sollen, dass sich der Zustand der Gebiete nicht verschlechtert.

Doch bis die Management-Pläne ausgearbeitet sind, dauert es. Der für das FFH-Gebiet Obere Isar war erst voriges Jahr fertig. Manchmal sind Arten, die geschützt werden sollten, schon verschwunden, wenn der Plan endlich vorliegt. Wie am Pfundweiher bei Kochel am See. Dort gab es noch 2001 zahlreiche Kammmolche. Als der Management-Plan 2015 vorgestellt wurde, waren die seltenen Amphibien verschwunden. Zu viele Fische im Teich hatten ihre Larven gefressen.

25 Jahre Natura 2000

Den Huchen erkennt man an den Längsstreifen am Bauch und der Fettflosse zwischen Rücken- und Schwanzflosse.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Ein Hauptproblem, das man an der Isar stellvertretend für viele Flüsse studieren kann: Durch Speicherseen und Kraftwerke fällt der Nachschub an Kies weg, den die Isar normalerweise mit sich führt. Sie kann bei Hochwasser kaum noch Kiesbänke aufschütten. Das Wasser gräbt sich immer tiefer in den Boden, der Fluss koppelt sich von den Auen ab. Die Auwälder sind aber Hotspots der Vielfalt, sie bieten unzähligen Tieren und Pflanzen einen Lebensraum, wie Johannes Schnell, der Artenschutzreferent des LFV, erklärt. Das Problem des fehlenden Geschiebes versuchen die Energieversorger an der Isar zu beheben, indem sie Kies auf Lastwagen laden und unterhalb der Wehre und Kraftwerke wieder in den Fluss kippen. Das hilft, aber nur ein bisschen. Was dem Huchen die meisten Probleme bereite, seien die Verbauung der Ufer, die Begradigung der Flüsse, erklärt Schnell. Dass der Huchen sich in der Oberen Isar noch vermehrt, ist immerhin ein Zeichen dafür, dass das System ziemlich intakt ist.

Die Deutsche Tamariske, ein gefährdeter Blütenstrauch, gibt dem geschützten Lebensraum seinen Namen: "Alpine Gewässer mit Deutscher Tamariske." So ist das FFH-Gebiet Obere Isar charakterisiert, das den hoch spezialisierten Arten einen der letzten Rückzugsräume bietet. Denn hier verzweigt sich die Isar noch, bei jedem Hochwasser ändert sie ihren Lauf, verlagert Kiesbänke. Überdies tragen die reißenden Hochwassermassen Totholz herbei, das im Fluss liegen bleiben darf. Dort haben viele Fische ihre Kinderstube.

25 Jahre Natura 2000

Die Deutsche Tamariske gibt dem Gebiet seinen Namen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Liebevoll hält Schnell einen jungen Huchen in der Hand. Das gut fingerlange Fischlein ist in diesem Frühjahr in der Isar geschlüpft, irgendwann zwischen März und Mai, wie der Artenschutzreferent erklärt, bevor er das Tier behutsam wieder in einen kleinen Tümpel zurücksetzt, der keine direkte Verbindung zur Isar hat. Den Winter wird es dort verbringen. Weil durch den Kies ständig Wasser nachfließt, trocknet der Tümpel nicht aus, das Wasser enthält genug Sauerstoff. Das Totholz darin hat für die Fischbrut immense Bedeutung. Die jungen Huchen können sich darunter verstecken - und auf Beute lauern, erklärt Schnell. Wie alle Lachsverwandten sind auch sie Räuber. Zudem seien sie so geschützt vor Fressfeinden.

Welche Fische sich in dem Tümpel und in einem Nebenarm der Isar tummeln, demonstriert Schnell zusammen mit Patrick Türk und Lena Meier, die beide beim LFV im Artenschutzreferat arbeiten. Türk schickt Elektro-Schocks ins Wasser. Die betäuben die Fische, die Schnell und Meier mit dem Kescher aus dem Wasser holen und vorsichtig in eine Plastikwanne gleiten lassen. Bald schwimmen in der Wanne zahlreiche Elritzen, auch junge Aitel und Hasel sind dabei und zwei kleine Huchen. Die Fische erholen sich bald. Die LFV-Leute sind zufrieden: Der Huchen findet hier genug Beute.

25 Jahre Natura 2000

Wer die Flussufer-Wolfspinne entdecken will, muss genau hinschauen. Sie sitzt gut getarnt über der Höhle, die sie in den Kies gegraben hat.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Auf den Kiesbänken mit ihrem unterschiedlich dichten Bewuchs kann man weitere geschützte Arten entdecken: Die Tamariske wächst in großer Zahl. Zwischen die Steine legt im Sommer der Flussregenpfeifer seine Eier. Wer genau hinschaut, entdeckt graue Tiere mit acht gestreiften Beinen, die über die Kiesel huschen: Wolfsspinnen, auch Sandtaranteln genannt. Ihre Körper werden bis 17 Millimeter lang. Im Sommer hat Fabian Unger, Projektmanager des LBV, dort auch den vom Aussterben bedrohten Kiesbank-Grashüpfer wieder entdeckt. Den Fluss nutzen zudem Wasseramsel und Eisvogel als Lebensraum.

Ein Problem treibt Vogelschützer wie Fischer um: der zunehmende Freizeitdruck. Flussregenpfeifer-Eltern verlassen ihre Eier, wenn sie von Menschen gestört werden. Boote, die zu nah an die Kiesbänke fahren, können die Fischbrut zerquetschen. "Man soll die Nutzer nicht verbannen, aber so steuern, dass die geschützten Arten nicht beeinträchtigt sind", sagt Sebastian Hanfland, Geschäftsführer des LFV. Deshalb beobachten die Naturschützer im Frühling die Kiesbänke, sperren die Brutplätze der Vögel weiträumig ab und weisen mit Schildern darauf hin.

Isarranger Kaspar Fischer berichtet, dass er dennoch zuweilen einen schweren Stand habe, wenn er Badegäste bitte, ihr Handtuch zehn Meter weiter entfernt auszubreiten, um die Regenpfeifer nicht zu stören. Viele hätten Verständnis. Für die anderen reichten aber die Verordnungen nicht aus. Denn als die Naturschutzgebiete eingerichtet wurden, waren viel weniger Menschen auf und am Fluss unterwegs als heute. "Leider erfolgt keine Anpassung an die neuen Gegebenheiten", sagt Andreas von Lindeiner vom LBV. Seiner Ansicht nach müsste man im Naturschutz flexibel sein und den Menschen Angebote wie etwa Grillplätze machen. So könnte man sie von sensibleren Gebieten fernhalten.

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