Bad Tölz:Diese Fußballmannschaft fährt zur Integrations-EM

Lesezeit: 3 min

Die Fußballmannschaft des Reha-Zentrums ReAL Isarwinkel besteht aus Reha-Patienten, Flüchtlingen und einheimischen Studenten. Mit Trainer Lucian Popovic nehmen sie an einem Turnier teil. (Foto: Harry Wolfsbauer)

In der Mannschaft eines Bad Tölzer Reha-Zentrums kicken psychisch Kranke zusammen mit Flüchtlingen und Studenten. Nun steht ein großes Turnier bevor.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Lucian Popovic schlägt eine Flanke auf den rechten Flügel, ein Mitspieler stoppt den Ball und passt ihn flach vor das Tor, wo Popovic und ein weiterer Fußballer aus dem Mittelfeld herbeistürmen und kreuzen, ein flacher Schuss - Pfosten. Eine normale Übung in einem normalen Training, sie wird auf vielen Fußballplätzen quer durch die Republik so einstudiert. Und doch spielt sich auf dem abgelegenen Rasen am Girlitzer Weiher in Bad Tölz etwas Ungewöhnliches ab: Die 23 Sportler, die sich an diesem sonnigen Juninachmittag eingefunden haben, sind Menschen mit psychischen Krankheiten, die gemeinsam mit Flüchtlingen kicken, auch ein paar Tölzer haben sich dazugesellt.

Depressive, Asylsuchende, Studenten - sie alle kämen gut miteinander aus, sagt Psychologe und Spielertrainer Popovic: "Das ist eben Fußball." Ein beispielhaftes Integrationsprojekt, das da aus einem Freizeitangebot des Reha-Zentrums ReAL Isarwinkel (Rehabilitation, Arbeit, Leben) entstanden ist. Nächste Woche hat die Mannschaft einen großen Auftritt: Sie nimmt am E.A.S.I-Cup in Heiloo in den Niederlanden teil, einer Art Europameisterschaft.

Integration von Asylbewerbern
:Raus aus dem Heim, rein ins Trikot

Flüchtlinge sind in einigen Münchner Vereinen längst angekommen, nun sollen sich weitere Sportvereine für sie öffnen. Leute, die helfen wollen, gibt es viele - aber auch immer wieder Probleme.

Von Andreas Liebmann

Tobias Feiner drückt den Ball mit dem Innenrist des rechten Fußes, platziert ihn kühl und unhaltbar ins Tor. Das sieht schon ziemlich profihaft aus, nicht von ungefähr ist der 29-Jährige zwei Mal bei bayerischen E.A.S.I-Turnieren in München zum besten Spieler gekürt worden. Früher kickte er vor allem für Jugend- und Herrenmannschaften in Garching, seit 2012 lebt er bereits im Haus "Florida" - einer Einrichtung von ReAL, die sich um Menschen mit psychischen Krankheiten kümmert.

Seit zehn Jahren leide er unter Depressionen, erzählt Feiner. "Nicht gleichbleibend, es hat sich gebessert." So hat er auch schon einiges mit dem Fußballteam erlebt. Er sah Spieler kommen und gehen, deren Reha mal ein halbes, mal ein ganzes Jahr dauert, mal auch länger. Vor zwei, drei Jahren, sagt er, "da hatten wir eine sehr gute Mannschaft". Das bekräftigt Popovic: Damals habe man nahezu jedes Turnier in Bayern gewonnen.

Ordentliche Ergebnisse, steigendes Selbstwertgefühl

Ordentliche Ergebnisse sind das eine. Das andere sei neben der körperlichen Fitness vor allem ein steigendes Selbstwertgefühl, sagt Lucian Popovic, der seit 2010 als Psychologe im ReAL-Verbund arbeitet und selbst ein begeisterter Fußballer ist. Und auch dies: "Sie lernen Frustrationstoleranz." Wenn die Mannschaft verliere, könne ein Spieler stocksauer sein, auch auf sich selbst, weil er einen wichtigen Zweikampf verloren hat. Er lerne aber, seine Aggressivität herunterzufahren. "Die Klienten, mit denen ich im Fußballteam arbeite, können anders mit ihren Mitbewohnern umgehen." Sie seien toleranter, zeigten mehr Verständnis und achteten auch auf die Bedürfnisse der anderen.

Vor zwei Jahren änderte sich das Team, das bis dahin vor allem aus Reha-Klienten und ein paar Tölzern bestand. Junge Flüchtlinge kamen hinzu und übten auf dem versteckt liegenden Platz am Girlitzer Weiher mit. "Sie wurden sofort aufgenommen", erzählt Popovic, der einst als Spätaussiedler aus Rumänien kam. Bis zu 30 Asylbewerber waren 2015 in manchen Trainingsstunden dabei. Für sie sei dies auch eine Möglichkeit gewesen, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern, so Popovic.

Lächelnd erzählt er, dass er selbst dabei einigen Ehrgeiz entwickelte, was Fußballfachbegriffe anbelangt: "Ich brachte ihnen bei, was eine 'Ecke', was ein 'Doppelpass' ist." Mit den Flüchtlingen kam Mittelfeldregisseur Feiner "von Anfang an gut" zurecht. Natürlich habe es die Sprachbarriere gegeben, aber im Fußball könne man sich schnell einigermaßen verständigen, sagt der 29-Jährige.

Das Torwartdress hat Christian Schmuck übergezogen, allerdings nur fürs Training, ansonsten ist er Stürmer. Ehe er krank wurde, hat er für 1860 München gespielt, dann für 1860 Rosenheim. Er sei damals dort zusammen mit dem jungen Bastian Schweinsteiger gewesen, erzählt Popovic. Für Rosenheim ging der heute 34-Jährige auf Torejagd, ehe er sich im Training folgenschwer verletzte. Bei der Untersuchung wurde bei ihm Hüftdysplasie diagnostiziert, seine Sportlerlaufbahn war vorbei.

Seit nunmehr 13 Jahren kickt Schmuck für das ReAL-Team und ist voll des Lobes für den engagierten Trainer: "Ohne Lucian würde es das alles nicht geben." Er sei froh, in der Mannschaft spielen zu können - "Glück gehabt". Auf die Fahrt in die Niederlande freut sich der 34-Jährige schon. Schließlich sind solche Reisen für ihn eine Seltenheit. "Das werde ich genießen, ich war noch nie in Holland."

Fußball und Flüchtlinge
:1:0 für ein Willkommen

Die Integration von Flüchtlingen beginnt oft auf dem Rasen. Aber haben der DFB und die Vereine aus alten Fehlern gelernt? Eine Bestandsaufnahme

Von Ronny Blaschke

Philipp Janßen wird in Tölz bleiben. Der 21 Jahre alte Biologie-Student hat mit ReAL sonst nichts zu tun, vor einigen Jahren kam er mit ein paar Schulfreunden zufällig zu dem Training und blieb einfach dabei. "Ich habe nicht gewusst, was dies für Leute sind, aber es hat von Anfang an gut funktioniert", sagt er. Zu Turnieren in Haar oder Plattling ist er schon mitgefahren.

Mehr als 20 Mannschaften haben sich für den E.A.S.I-Cup angemeldet, qualifizieren musste sich keine von ihnen. Mit zwei von Sponsoren finanzieren Bussen wird die Tölzer Mannschaft mit elf oder zwölf Spielern nach Heiloo fahren, wo sie während des fünftägigen Turniers in zwei Zelten übernachtet. Nach dem sechsten Platz im Vorjahr in Bad Oldesloe hat sich Popovic einiges vorgenommen.

"Dieses Jahr hoffe ich, dass wir auch unter die ersten Zehn kommen", sagt er und gibt lächelnd zu, dass er Training und Turniere "ab und zu vielleicht zu ernst nehme". Auf dem stadionreif geschnittenen Rasen am Girlitzer Weiher ist er jedenfalls in seinem Element und ganz Fußballcoach. Auch Tobias Feiner fährt nicht ohne Ambitionen nach Holland: "Da ist schon was drin." Einen Platz unter den besten Zehn wünscht sich auch er. Die Hauptsache sei für ihn allerdings "der Spaß am Spielen".

© SZ vom 09.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: