Im Ratsstubensaal:Magie ohne Zauberstab

Lesezeit: 2 min

Seite und vor, Seite und hinter, so bleibt alles im Fluss. Anspruchsvoller aber ist der Kreuzschritt, der als Vorübung zum Csárdás diente. (Foto: Harry Wolfsbauer)

80 Paare gleiten beim TanzSamstag durch Landler, Polka und Mazurka

Von Sabine Näher, Geretsried

Da muss Magie im Spiel sein. Rund 80 Paare, die meisten in Tracht gekleidet, schreiten Hand in Hand oder eingehakt in langer Reihe durch den Saal der Ratsstuben. Unvermittelt bilden sie Formationen, ziehen aneinander vorbei, bilden Zweierpaare, spalten sich wieder auf - ohne dass irgendwelche Ansagen zu diesem bunten Treiben erfolgen. Für den Uneingeweihten ein geradezu mysteriöser Vorgang, der Erstaunen und Bewunderung zugleich hervorruft. Schließlich bilden die Tanzpaare drei Kreise. Wie das wieder zugegangen sein mag, bleibt ebenfalls rätselhaft. In der Mitte steht die Magierin, eine kleine, zierliche Frau mit langem Zopf, die die Massen lenkt.

Einen Zauberstab sucht man vergeblich. Ihre gestalterische Kraft fließt aus den Füßen, den Händen und den wachen Augen. Ingeborg Heinrichsen leitet Volkstanzgruppen in München und im Isartal. Aus beiden sind heute viele Tänzer nach Geretsried gekommen, um ihrer Leidenschaft beim TanzSamstag von 14 bis 22 Uhr zu huldigen. Ausschließlich die mittleren und älteren Generationen sind vertreten; die jungen Leute, die man zunächst erspähte, erwiesen sich ausnahmslos als Orchesterbesetzung. Dieses besteht aus Streichern, Bläsern, Akkordeon und Hackbrett und bereichert die Veranstaltung mit Live-Musik. "Vom Reigen zum Kontratanz, Landler, Mazurka und Polka" ist das Programm überschrieben.

Man hat einiges vor, deshalb geht es gleich zur Sache. Ein "Ungarischer Festreigen" hebt an. "Sechs Schritte nach rechts, rechter Fuß beginnt!" Und schon geht's los, in die bewegten Massen hinein ruft die Tanzmeisterin die nächsten Schrittfolgen. Das im Tun fließend umzusetzen ist wohl nur Geübten möglich. Es kommt weder zu Kollision noch zu Konfusion. Doch dann folgt der Mittelteil: "Seite und vor, Seite und hinter" lautet die Anweisung. Jetzt ist nicht mehr jedem spontan klar, wie's geht, doch da sich alle an den Händen gefasst halten und ziehen beziehungsweise schieben, bleibt alles im Fluss. Bei manchen Paaren entfalten schon die wenigen Schrittkombinationen anmutigen Schwung und tänzerische Eleganz. Und was erspäht man da? Eine tätowierte Männerwade zwischen Lederhose und Haferlschuh. Auch die Trachtler gehen also mit der Zeit. Neben festen Tanzpaaren können sich übrigens auch Einzeltänzer zur Veranstaltung anmelden, sie haben dann aber keine Garantie auf einen Partner. Doch dann schaut Ingeborg Heinrichsen darauf, dass mal getauscht wird und alle irgendwie versorgt sind. Kreativität bei dieser Frage beweist ein Frauenpaar, das aufgrund gleich zweier wirbelnder Röcke besonders schön anzuschauen ist.

Im Programm inbegriffen sind Kaffee- und Abendbrot-Pause, damit sich die eifrigen Tänzer regenerieren und stärken können. Dazu sind im Saal ringsum an den Wänden eingedeckte Achtertische aufgestellt. Doch noch ist die Pause in weiter Ferne. "Bisher hatten wir nur Gehschritte, das war ja einfach. Jetzt kommt der Kreuzschritt", erklärt die Meisterin und führt mit ihrem Tanzpartner Peter Meyer vor, was sie meint. "Sohle, Spitze, Sohle, Kreuz!" Schlimmste Tanzstunden-Erinnerungen werden wach. Doch den Tanzenden bereitet es offensichtlich riesiges Vergnügen, obwohl es durchaus eine gewisse Bandbreite an Deutungen der Ansage zu geben scheint.

"Das war die Vorübung zum Csárdás", ruft Heinrichsen - der nun folgt. Beim Vortänzerpaar schaut er wunderbar aus, schwebend leicht. Aber das nachzumachen? Der Gedanke löst gelinde Panik aus. Uneingeschränkte Bewunderung für (und ein bisschen Neid auf) die, denen das mühelos gelingt.

© SZ vom 10.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: