Idyll am Wasser:Das geliebte Haus am Hochwald

Idyll am Wasser: Die neue Hauseigentümerin Friederike Wolf und der Londoner Geiger Tom Eisner erforschen gemeinsam die Geschichte des Anwesens.

Die neue Hauseigentümerin Friederike Wolf und der Londoner Geiger Tom Eisner erforschen gemeinsam die Geschichte des Anwesens.

(Foto: Julia Smilga)

Die Suche nach seinen deutschen Wurzeln hat den Londoner Geiger Tom Eisner an den Walchensee geführt

Von Julia Smilga, Walchensee

Tom Eisner spielt seit 30 Jahren die erste Violine beim London Philharmonic Orchestra. Als der Engländer vor fünf Jahren zu einem Konzert nach München kam, hatte er noch ein anderes Ziel vor Augen: Walchensee. In dem idyllischen Ort hatte sein Vater Herbert Eisner einst seine Sommerferien verbracht. Seine Kindheitserinnerungen hätten fortan dem Walchensee gegolten, sagt Tom Eisner: "Wenn wir im Sommer in Schottland wandern gingen, sagte mein Vater immer, das wäre genau wie damals in Walchensee, mit dem See und den Bergen. Und wenn wir Pfifferlinge in den Wäldern fanden, dann hieß es sofort: Bei uns am Walchensee gab es auch Pfifferlinge." Doch was genau mit dem Haus am Walchensee passiert war und warum die jüdische Familie Eisner Deutschland 1938 verlassen musste - davon erfuhr er erst Jahre später.

2012 fand Tom Eisner auf Anhieb das alte Haus, das sein Urgroßvater Herbert Eisner, ein Berliner Textilfabrikant, 1914 erbauen hatte lassen. Das "Haus am Hochwald" sah noch genauso aus wie auf den alten Familienfotos. "Dann trat eine Frau aus dem Haus auf mich zu und fragte mich, ob sie mir helfen könne" - erinnert sich Eisner an die erste Begegnung mit Friederike Wolf, der jetzigen Hausbesitzerin. Wolfs Mann hatte das Anwesen 1988 gekauft. Als Eisner ihr seinen Namen nannte, wusste sie sofort, wer vor ihr stand. Die jüdische Familie Eisner ist im Grundbuch als Hausinhaber bis 1938 eingetragen.

Mittlerweile sind die beiden miteinander befreundet, besuchen sich gegenseitig in London, München und Walchensee und feiern gemeinsam Feste. Mindestens zwei Mal pro Jahr ist Tom Eisner mit seiner Frau zu Gast in Walchensee. Vorbehalte habe es nie gegeben, sagt Wolf, eine Juristin. Gemeinsam versuchten sie vielmehr, die Geschichte des Hauses und der Familie Eisner zu rekonstruieren. Von großer Bedeutung sind dabei die Memoiren von Lotte Eisner "Ich hatte einst ein schönes Vaterland". Die bekannte Filmkritikerin war Tom Eisners Großtante. 1983 starb sie im Paris mit 87 Jahren.

Ihren Aufzeichnungen zufolge lebte die vermögende Familie Eisner Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin in einer Villa im Bezirk Tiergarten. "Unsere Familie gehörte zu den assimilierten Juden, wir Kinder wuchsen eher in der christlichen Tradition als im jüdischen Glauben auf. Vater ermahnte mich, dass wir Juden uns besonders anständig benehmen müssten, damit die anderen gar keinen Grund fänden, uns schlecht zu machen", schreibt Lotte Eisner in ihren Memoiren. Ihr Vater, ein passionierter Bergsteiger, habe aus Liebe zu den bayerischen Alpen die Villa in Walchensee erbaut. Er starb 1924.

Nicht nur in Berlin, auch in Walchensee änderte sich die Atmosphäre nach 1933 schlagartig. Toms Vater Herbert Eisner notierte 2008 in einem Brief: "Nach der Machtübernahme wehten die ersten Hakenkreuzfahnen. Ferienhausbesitzer und die Schwestern vom evangelischen Schwesternheim guckten weg, wenn sie an uns vorbei gehen mussten. Im Dorf erfuhren wir zuerst keinen direkten Antisemitismus. Unsere Stiefel wurden nach wie vor vom Schuster Engelbrecht repariert und unser Gemüse von Gärtnerei Niklas geliefert. Aber Wanderer erwiderten unser "Grüß Gott" mit "Heil Hitler!". Wir mussten unsere eigene Kraftbrühe in Thermosflaschen im Rucksack tragen, um die grölende Hitlerjugend auf den Gipfelhäusern zu vermeiden." Den Brief schrieb Herbert Eisner an den Walchenseer Pfarrer Rudolf Kutschera. Dieser hatten ihn gebeten, Erinnerungen an seine Kindheit am Walchensee aufzuschreiben - für ein Rechercheprojekt der Pfarrei über die Vertreibung der Juden aus Walchensee. Sieben Familiennamen konnte der Pfarrer ausfindig machen, aber fast keine Nachfahren .

Herbert Eisner war 1935 im Alter von 14 Jahren in die Sicherheit nach England geschickt worden. 1938 wurde das familieneigene Textilunternehmen "arisiert". Toms Großeltern gelang die Flucht nach England. Das Haus am Hochwald mussten sie zwangsverkaufen. Toms Urgroßmutter Margarete, die Patriarchin der Familie, wurde 1942 im Alter von 77 Jahren aus Berlin ins KZ Theresienstadt deportiert und dort ermordet. 1958 bekamen die Eisners das Anwesen zurück und verkauften es zu einem angemessenen Preis.

Tom Eisner wurde 1957 im nordenglischen Buxton geboren. Seine Mutter war 1938 mit einem Kindertransport nach England gekommen. Nie habe sie mit ihren Kindern darüber gesprochen, dass ihre ganze Familie in Auschwitz ermordet wurde, sagt Einser. Erst in den vergangenen Jahren habe er seine Familiengeschichte rekapitulieren und verstehen können. Die regelmäßigen Besuche in Walchensee gäben ihm Kraft und Mut, sagt er: "Ich kann mir jetzt vorstellen, wie es für meine Familie war, damals hier zu sein. Ich habe Friederike und viele andere Menschen in Walchensee als Freunde gewonnen. Mit Walchensee schließt sich für mich der Kreis. Und es ist für mich immer ein tolles Gefühl, hier zu sein, hierher zu gehören."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: