Icking:Professionelles Ehrenamt

Icking: Die Ehrenamtlichen Reinhard Gebhardt, Laura von Beckerath-Leismüller und Bernd Hertwig (v. li.) zeigen einem Flüchtling den Sprachkurs am PC.

Die Ehrenamtlichen Reinhard Gebhardt, Laura von Beckerath-Leismüller und Bernd Hertwig (v. li.) zeigen einem Flüchtling den Sprachkurs am PC.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Im Ickinger Helferkreis arbeiten 130 Freiwillige zusammen, die zwar gut organisiert sind, sich aber dringend einen hauptamtlichen Koordinator wünschen. Nach der Silvesternacht haben 52 Flüchtlinge einen Brief an Angela Merkel unterzeichnet.

Von Claudia Koestler, Icking

Allerorten stellen sich engagierte Bürger den Herausforderungen des Asylandrangs. Doch nur in wenigen Kommunen prallen die Welten derart aufeinander wie in Icking: Asylsuchende aus Krisen- und Kriegsgebieten mit meist nur dem allernötigsten am Leibe auf der einen Seite, die Einwohner Ickings, der viertkaufkräftigsten Gemeinde Deutschlands, mit seinen Villen im Isartal auf der anderen Seite.

Doch genau diese Konstellation schaffe "eine positive Entwicklung für den ganzen Ort", sagt Reinhard Gebhardt. Durch das ehrenamtliche Engagement für ein friedliches Miteinander und die Integration von Asylsuchenden wachse das Dorf zusammen: "Man lernt nicht nur neue Menschen und Kulturen kennen, sondern auch viele Ickinger, die vorher jeder für sich hinter hohen Hecken wohnten."

Seit wenigen Wochen hat Gebhardt zusammen mit Laura von Beckerath-Leismüller und Bernd Hertwig die Leitung des Helferkreises Icking übernommen und koordiniert fortan die Hilfe. Für den 64-jährigen Gebhardt, der das Amt von Paul Geppert übernahm, ist es selbstverständlich, sich zu engagieren: "Ich war selbst viel im Ausland, beruflich wie privat, und habe dort viel Gastfreundschaft erlebt". Die 38-jährige Beckerath-Leismüller indes war nicht von Anfang an dabei, sondern kam zum ersten Helferkreistreffen dazu. Noch vor einem Jahr hat sie in München ein Hotel geleitet und wollte nach der Geburt ihrer Kinder weiter aktiv bleiben, da bot sich der Helferkreis an. "Ich möchte aktiv etwas tun, um Vorurteile abzubauen", sagt sie. Bernd Hertwig (66) nennt sich selbst "den Spätling" in der Gruppe, denn er sei nach einem längeren Urlaub erst im Oktober 2015 dazu gestoßen. "Die Leute sind da, da muss man sich kümmern, unabhängig davon, was die Politiker sagen", begründet er sein Engagement.

Aktuell leben in Icking 103 Asylsuchende. Die Männer sind größtenteils in der Turnhalle untergebracht, die Paare und Schwangeren wurden mittlerweile in Privatwohnungen verlegt. Auch wenn die Turnhalle alles andere als ein Wohnen im geschützten Raum bietet: Das Zusammenleben funktioniere dort, die Stimmung sei verhältnismäßig gut, und das wiederum bestätigt das große Ziel des Helferkreises: "Je weniger Konflikte in der Halle, desto weniger Probleme im Ort." Allerdings müsse kontinuierlich daran gearbeitet werden, damit es so bleibe, erklären die Helferkreis-Leiter. Das gelinge derzeit mit etwa 130 Mitgliedern und einer Organisation und Struktur, die zeigt, wie professionell Ehrenamt sein kann, wenn Engagement, Können und Weitsicht aufeinander treffen: Es beginnt mit Beauftragten für den Empfang und die Begleitung von Neuankömmlingen. Darüber hinaus gibt es eine Abteilung für Familienhilfe und eine für Frauenhilfe. Paten kümmern sich besonders um die Familien und die schwangeren Frauen. Dazu kommen die Sparten Praktische Hilfe und Erwerbstätigkeit. Zwei Mitglieder koordinieren die Kleidung und die Sachspenden, Lisa Häberlein leitet die Teestube.

Es gibt zudem die Kategorien Freizeit und Sport, Patenschaften, Fortbildung für Asylhelfer und die Pflege der Webseite und die Verbindung zu Behörden. Seit einigen Wochen hat der Helferkreis Computer gespendet bekommen von Pro Asyl, die in einem Raum an der evangelischen Kirche untergebracht sind und es den Flüchtlingen ermöglicht, das Internet zu nutzen, unter anderem für Sprachkurse. Die Sprachförderung macht schließlich den größten Bereich aus. Anfang Januar konnten bereits einige Schüler die sogenannte "A1 Prüfung" ablegen, bestanden haben vier Männer und eine Frau aus Afghanistan. Ein weiteres großes Thema sei auch die ärztliche Versorgung, erklärt Beckerath-Leismüller. Inzwischen sei es jedoch gelungen, dass jeden Mittwoch ein Arzt eine Stunde lang Sprechstunde in der Turnhalle hält.

Wichtig ist es den Helfern zudem, die Akzeptanz in der Bürgerschaft zu fördern. Das gelinge immer dann "wenn Flüchtlinge einen Namen bekommen", wie Gebhardt sagt, also der persönliche Kontakt gelinge. Im Großen und Ganzen hielten sich Akzeptanz und Angst in Icking die Waage, glaubt Gebhardt, dank zahlreicher Aktionen, die erste Kontakte schafften: Die regelmäßige Teestube etwa, aber auch die Adventsfeier in der Turnhalle. Die Asylbewerber seien "heilfroh über jede Ansprache", wie Hertwig sagt, viele fragten nach Fußball oder Volleyball und viele wollten auch musizieren. Für einen Musizierkreis werden gerade Instrumente gesucht und zudem Räume und die Möglichkeiten, dorthin zu kommen. "Wir müssen bei so etwas ja immer ein Gesamtpaket schaffen", sagt Hertwig.

Der Helferkreis unterstützt die Flüchtlinge ergo in sämtlichen Belangen des täglichen Lebens, mit dem Ziel, diese Menschen zu befähigen, sich in unserem Land zurechtzufinden. "Und sie geben viel zurück", betonen die drei Ickinger. Nach den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln haben Asylbewerber einen Brief an Kanzlerin Angela Merkel verfasst. Mitglieder des Ickinger Helferkreises haben die Bewohner der Turnhalle darauf angesprochen und der Brief lag auf Deutsch, Englisch und Arabisch vor. 52 Bewohner der Turnhalle haben ihn daraufhin unterschrieben, um sich seinem Inhalt anzuschließen. Darin heißt es unter anderem, dass sie froh seien, endlich in Deutschland Schutz gefunden zu haben und dafür dem deutschen Volk sehr dankbar seien. "Vor diesem Hintergrund sind wir entsetzt darüber, was sich in der Silvesternacht in Köln und anderen Städten zugetragen hat. Wir verabscheuen die sexuellen Übergriffe und Diebstahlsdelikte mutmaßlich durch Migranten und Flüchtlinge und verurteilen sie auf das Schärfste." Auch für sie sei es selbstverständlich, die Gesetze des Aufnahmelandes zu achten. Und: "Wir verpflichten uns, im Rahmen unserer Möglichkeiten mitzuhelfen, dass sich Verbrechen wie die in Köln nicht wiederholen und die Gastfreundschaft der Deutschen missbraucht wird."

Doch auch wenn es in Icking bislang gut funktioniere, die Helfer haben einen dringenden Wunsch: "Es brauche einen hauptamtlichen Asylbetreuer", fordern sie. Auch wenn ihnen das Engagement Spaß mache, wie Hertwig betont: "Wir Ehrenamtliche können nur helfen. Jemand, der es hauptamtlich managt, hätte eine weiterreichende Autorität." Für sie als freiwillige Helfer gehöre stattdessen dazu, "sich emotional nicht zu sehr zu verstricken", wie Beckerath-Leismüller sagt. Den Fall einer Abschiebung gab es vor Ort noch nicht, werde aber sicher irgendwann Thema. "Ich habe lange überlegt, wie man dann damit umgehen soll", gibt Hertwig zu. Inzwischen bereite er sich mit einem Trost darauf vor: "Zumindest nehmen sie dann einen guten Eindruck von Deutschland mit nach Hause. Mehr können wir nicht machen."

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