Wenn man einhundertzehn Jahre auf dem Buckel hat, dann darf das schon mal besonders gefeiert werden. So alt ist "Stroller" - in "Menschenjahren" gerechnet. Stroller ist ein braunes Pferdchen, ein Welsh Partbred, und steht auf Gut Holzen bei Icking, wo seine Besitzerin am Samstag zur Feier seines 40. Geburtstags einlud. Dass Pferde so alt werden, ist selten. "40 Jahre sind wahrlich kein Pappenstiel", sagt Anne Völk, die das Tier vor 32 Jahren erwarb.
Eigentlich wollte sie ihn ursprünglich gar nicht. "Der Mann einer Freundin hatte Stroller für seinen Sohn zum Reiten erworben", berichtet sie, "aber der hatte seine ganz eigenen Vorstellungen vom Gerittenwerden. Oft genug setzte er seine Reiter ab. Ich habe ihn für den Sohn geritten." Als Völk ihn dann übernahm, war sie 18 und ging noch zur Schule. 1600 Mark zahlte sie und stotterte die Summe in zehn Monatsraten ab.
Stroller stammt aus Baden-Württemberg, wo er als Einzelkind aufwuchs. Das ist nicht unproblematisch, denn Pferde sind Herdentiere. Wenn sie die Herde nicht um sich haben, dann nutzen sie den Menschen als Spielkameraden. Und das wird spätestens dann unangenehm, wenn sie als Erwachsene mit ihren 400 bis 500 Kilogramm den Zweibeiner immer noch nicht respektieren. Bei Stroller führte das Großwerden ohne Artgenossen zudem noch zu einer extremen Menschenbezogenheit. "Er wiehert und brummelt dauernd, wenn jemand in der Nähe ist."
Seinem Namen machte er alle Ehre. "To stroll" ist englisch und bedeutet "schlendern". Das letzte Mal schlenderte Stroller vor drei Jahren auf eigene Faust nach Biberkor, wo er die Kinder der Montessorischule im Pausenhof bespaßte, bis er in Polizeigewahrsam genommen wurde. Auch an den 20 Gratulanten seiner Geburtstagsfeier zeigt er reges Interesse, wird aber schnell wieder auf die Koppel gebracht - damit Blumen, Sekt und Kuchen vor ihm in Sicherheit sind. Denn Futterklauen, darin ist Stroller Experte.
Stress mit Menschen kennt er nicht, je mehr Trubel um ihn herrscht, desto wohler fühlt er sich. "Er ist schon immer ein Showtyp gewesen." Der Welsh-Partbred-Hengst nahm erfolgreich an vielen verschiedenen Prüfungen teil, egal ob es sich um Dressur oder Springen handelte. Stroller lief auch vor dem Gig, einer kleinen Kutsche - eine davon machte er in seiner Jugend zu Kleinholz, ebenso wie einen Schlitten. "Das war aber, bevor er zu mir kam", sagt Völk lachend. Zu ihr hatte er so viel Vertrauen, dass er selbst durch einen brennenden Ring sprang. Für ein Fluchttier eine außergewöhnliche Leistung. Der Weg dahin war jedoch alles andere als leicht, denn Stroller habe sich immer nur bis zu einem gewissen Grad kooperativ gezeigt, erzählt seine Besitzerin.
"Heutzutage wollen sich die meisten Leute nicht mehr mit ihren Pferden auseinander setzen", glaubt Völk. Wenn es nicht funktioniere, dann kaufe man sich halt ein neues. So gingen viele Pferde durch zahlreiche Besitzerhände, bis sie letztlich als unreitbar und gefährlich gelten, sagt sie.
Auf Grund der besonderen Beziehung zu ihrem Pferd gönnt Völk ihm jetzt auf Gut Holzen die "Seniorenresidenz mit betreutem Wohnen und Essen auf Rädern". Und Maximilian Pick, der den Hof leitet, hält fest: "Ein Pferd so lange durchzuziehen ist beachtlich." Der Fachtierarzt für Pferde und Tierschutz hat viele alte Pferde auf seiner Anlage stehen, aber an Stroller kommt keines davon heran.
"Viele Menschen finden es befremdlich, wenn sie erfahren, dass er mich in den 32 Jahren den Gegenwert einer großzügigen Zweizimmerwohnung gekostet hat", sagt Völk über ihren Stroller. "Aber er ist jeden Euro wert. Manchmal hat er mich zum Weinen gebracht, meistens aber zum Lachen."