Theatersommer:Die Nymphe und der Ziegen-Gott

Begehren und tratzen: Die "Gesellschaft unterm Apfelbaum" eröffnet ihren Theatersommer mit einem zauberhaften lyrischen Pan-Optikum, bei dem weniger manchmal mehr gewesen wäre

Von Claudia Koestler, Icking

Die letzten Strahlen der Sonne verdämmern, es surren ein paar Mücken, da knackt es plötzlich im Unterholz: Eine Nymphe, kaum auszumachen in ihrem grün-schillernden Kleid vor grüner Kulisse, huscht durch den Garten, gefolgt von einer seltsamen Gestalt: Ein Zwitterwesen aus Mensch und Ziegenbock, mit Hufen und Hörnern. Pan, der altgriechische Gott der Natur, Pflanzen und Tiere, stellt Syrinx, der Nymphe, nach. Mitten in Irschenhausen. Denn die dortige "Gesellschaft unterm Apfelbaum" eröffnete am Freitag ihren diesjährigen Theatersommer mit einem "lyrischen Pan-Optikum mit Musik", auch "Theater der Liebe" oder "ich sehne mich sprachlosest" betitelt.

Trotz seines bizarren Auftretens konnte sich in der Antike niemand Pans animalischer Urkraft und seinen lieblichen Melodien auf der Flöte entziehen. Niemand, außer der Nymphe Syrinx. In Gestalt dieser beiden mythischen Figuren verwoben die Schauspieler und Musiker Annette Kolschewski und Bernhard Weitzell nun im Garten der Familie Reimold poetische und musikalische Szenen, um die Liebe in all ihren Facetten allegorisch darzustellen.

Wer dabei nach einer stringenten Handlung suchte, einer Entwicklung, einem Plot, der hatte schon verloren. Denn alleine die Auswahl der Texte wurde zu einer Phantasmagorie aus Sprache, begleitet von musikalischen Versatzstücken an Cello, Akkordeon und Flöte. Letztlich schien alles ein ewiges Verlangen und Werben, ein Sehnen und Abstoßen, ein Begehren, Tratzen und Verabscheuen ohne endgültige Erfüllung. Die beiden Protagonisten schöpften aus einem Füllhorn der Lyrik, von der Bibel bis Brecht, flirrend, fabulierend bis grotesk. Allerdings wurde das Publikum anfänglich auf die Geduldsprobe gestellt. Ein Stau auf der Autobahn verzögerte den Beginn um fast eineinhalb Stunden. Doch dann zeigte sich Pan in vielerlei Form: Er zwinkerte dem Publikum aus dem Gras zu, versteckte sich, wütete durch die Reihen, tanzte in den Sträuchern und wagte gar einen bezaubernden Walzer mit einer Dame aus dem Publikum. Mittendrin aber sprachen er und Syrinx auch ziemlich unverständlich daher, in gutturalen Lauten oder Versatzstücken. Kein Wunder, denn gerade in der ersten Hälfte überwogen Rezitationen von Ernst Jandls Werken. Ob in "Schmerz durch Reibung", "Bocks" oder "Chanson", "Liegen bei Dir" oder "Doppelchor": Hier wurden die anarchischen Verse des Wiener "Wechstabenverbuchslers" verdichtet in Collagen aus Lyrik und Musik. Doch auch Brechts "Liebeslied", Morgensterns "Nacht des Wüstlings", Villons "Ballade für den Hausgebrauch im Winter" oder "Baals Lied" boten Weitzell und Kolschewski mit großer Vitalität dar. Im fließenden Übergang verwandelten sie jeden Text in ein kleines Dramolett. Manchmal wäre in all der überbordenden, manchmal auch manierierten Darstellung, weniger etwas mehr gewesen.

Theatersommer 2014

Die Nymphe Syrinx (Annette Kolschewski) will sich dem Gott Pan nicht hingeben, trotz dessen animalischer Urkraft.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Schließlich stehen die Figuren von Pan und Syrinx auch und insbesondere für die introspektive Kunst, in der die Hybridisierung von Mensch und Natur Ausdruck einer traumhaften Melancholie ist. Das Ineinander-Fließen diverser Texte und Musikstücke bildete aber einen thematischen Schleier, der die Ahnung von der Vielfalt dahinter preisgab wie durch einen Vorhang. Dazu gab die Natur ihr Schauspiel, mit dem Garten, den Wolkenformationen und dem Abendhimmel.

Doch wo blieb in all dem die Moderne? Erst nach der Pause hatten Pan und Syrinx die Transformation durchlebt: Er in grauem Anzug, sie zur Putzfee mutiert. Rau und derb, sentimental und sinnenfroh war hier die Fortführung des ewigen Hin und Her, fuhren die Gedichte von Else Lasker-Schüler, Gioconda Belli, Robert Walser oder Octavio Paz in Kopf und Lenden. Unterm Strich bot der Abend ein flirrendes Substrat aus animalischer, archaischer Lust und Poesie, das sich unter Umgehung simplen Verstehens gleich direkt im Unterbewusstsein festsetzte und dort ein prächtiges Unwesen trieb. Bis das Publikum sich am Ende nicht nur eine Zugabe erklatschte, sondern gar die Besucher, euphorisiert von der Atmosphäre, zu nächtlicher Stunde im Garten ein Tänzchen hinlegten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: