Großartige Solisten in Benediktbeuern:Überfällige Premiere

Großartige Solisten in Benediktbeuern: Countertenor Andreas Pehl gibt die Altpartie mit ganz von innen kommendem Ausdruck.

Countertenor Andreas Pehl gibt die Altpartie mit ganz von innen kommendem Ausdruck.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Johanneskantorei Bad Tölz interpretiert mit dem Barockorchester "L'arpa festante" in der Basilika Bachs Weihnachtsoratorium

Von Sabine Näher, Benediktbeuern

In einem wunderbaren Tempo, mit einem Gestus, der frei atmet und schwingt, hebt das Barockorchester L'arpa festante zu spielen an und trägt die Hörer in der voll besetzten Klosterbasilika sogleich mit sich fort. Die berühmten Paukenschläge aus dem Eingangschor zu Bachs Weihnachtsoratorium ertönen herrlich differenziert. So eingestimmt kann die Johanneskantorei Bad Tölz gar nicht anders als - jubilieren: "Jauchzet, frohlocket!" Das steht nicht nur in der Chorpartitur, sondern es geschieht. Und so wird der Geist Johann Sebastian Bachs lebendig an diesem Freitagabend in Benediktbeuern, denn die weitere Aufführung hält, was der Eingangschor verspricht.

Kantorin Elisabeth Göbel hat sich mit dem landesweit gefragten Barockorchester Spezialisten eingeladen, die den von ihr und dem Countertenor Andreas Pehl bestens einstudierten Chor zu Höchstleistungen beflügeln. Die Qualität der Solisten steht ohnehin außer Frage: Sopranistin Stephanie Krug ist ein beseelt verkündender Engel, Bassist Thomas Gropper setzt nicht auf Kraftdemonstration, sondern auf differenzierte Gestaltung. Pehl versieht die Altpartie mit größtmöglichem Einfühlungsvermögen und ganz von innen kommendem Ausdruck. Und der Leipziger Tenor Martin Petzold ist vermutlich der beste Evangelist überhaupt, wenn man seinen Part nicht als unbeteiligten Berichterstatter, sondern als lebendigen Erzähler betrachtet.

So hat dieser Abend ganz viele wunderbare, zutiefst berührende Momente, und nur wenige Kleinigkeiten hätten noch besser gelingen können. Den beglückenden Gesamteindruck schmälern sie keineswegs.

Wie schön ausphrasiert, mit innigstem Ausdruck leitet das Orchester die Alt-Arie "Bereite dich, Zion" ein, so dass sich Pehl in diesen Klang gleichsam hineinbetten kann. Und wie differenziert wird er begleitet, so dass er ganz auf diesen zurückgenommenen, in aller Schlichtheit unglaublich intensiv wirkenden Ton setzen kann. Die Bass-Arie "Großer Herr, o starker König" kommt hier nicht wie so oft zu hören martialisch auftrumpfend, sondern mit geradezu eleganter Leichtigkeit. Petzold, als Evangelist nuanciert bis ins allerkleinste Detail, fesselt auch in der Tenor-Arie "Frohe Hirten, eilt, ach eilet" mit seiner intensiven Ausgestaltung, wobei das eher moderate Tempo ebenso verblüfft wie überzeugt.

Den Eingangschor des zweiten Teils, "Herrscher des Himmels", eröffnet das Orchester mit einem herrlich frei schwingenden Puls, den der darauf einsetzende Chor nicht gänzlich übernehmen kann. Aber im Orchester sitzen spezialisierte Profis, im Chor singen musikbegeisterte Laien. Daher Hut ab vor deren sängerischer Leistung!

Im Duett Sopran-Bass, "Herr, dein Mitleid", faszinieren das geradezu tänzerisch bewegte Fagott und die jubelnd singenden Oboen d'amore dermaßen, dass man mitunter vergessen kann, auf die eigentlichen Sänger zu hören. Im Evangelisten-Rezitativ vor der Alt-Arie "Schließe, mein Herze, dies selige Wunder" übertrifft sich Petzold noch einmal selbst in der denkbar innigst vorgetragenen Schlusszeile "Maria aber behielt alle diese Worte - und bewegte sie in ihrem Herzen". Damit schafft er die perfekte Stimmungsüberleitung für Pehl, der diesen höchst intensiven Ausdruck auf bewegende Weise aufnehmen und fortführen kann.

Auch das Geigensolo fügt sich wunderbar in diese ergreifend schlichte Empfindung. Dass Elisabeth Göbel währenddessen nicht nur nicht dirigiert, sondern gar vom Dirigentenpult herab und zur Seite tritt, verdeutlicht ihre große Einfühlung in das musikalische Geschehen und ihr Verständnis von der eigenen, der Musik dienenden Funktion. Der vielleicht zauberhafteste Bach-Choral, die Nr. 33 mit dem bewegenden Text "Mit dir will ich endlich schweben. Voller Freud', ohne Zeit. Dort im anderen Leben", gerät zum chorischen Highlight des Abends, auch weil Göbel nach "ohne Zeit" aus dem Metrum heraustritt. Der kurz darauf folgende Choral "Seid froh dieweil" bringt dagegen all die Tat- und Überzeugungskraft, die es hier braucht. Eine wunderbare Gegenüberstellung!

Lange Stille nach dem Schlusschor "Herrscher des Himmels" kündet von der Ergriffenheit des Publikums. Wenn dies, wie vor Konzertbeginn angedeutet, wirklich die erste Aufführung des Werks an dieser Stelle war, so war es eine längst überfällige Premiere. Und eine sehr würdige, die eine Ahnung davon brachte, was Weihnachten eigentlich bedeutet.

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