Geretsried:Wie Kinder und Eltern wieder lachen lernen

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Walter Steffen hat einen Film über die "Clowns ohne Grenzen" gedreht, die in Flüchtlingslagern auftreten. Die Vorführung von "Happy Welcome" führt zu angeregten Diskussionen

Von Sabine Näher, Geretsried

"Clowns ohne Grenzen" ist eine ähnliche Einrichtung wie "Ärzte ohne Grenzen", allerdings weitaus weniger bekannt. "Wenn die Primärbedürfnisse der Menschen in Krisenregionen wie ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen und ein Platz zum Schlafen gestillt sind, dann treten die Clowns in Aktion", erklärt der in Seeshaupt lebende Regisseur Walter Steffen. "Sie wollen zeigen, dass am Ende der Dunkelheit auch wieder ein bisschen Licht aufscheint."

Vor über 20 Jahren ist die Idee entstanden; in 13 Ländern gibt es die "Clowns ohne Grenzen" mittlerweile schon. Zufällig lernte Steffen Susi Wimmer, die zweite Vorsitzende der deutschen Sektion kennen, und war von ihrer Arbeit so begeistert, dass er beschloss, einen Film darüber zu drehen. Der Plan, dies bei einem Einsatz im Iran in einem afghanischen Flüchtlingslager zu tun, schlug zweimal fehl. Dann kamen im vorigen Jahr plötzlich sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland. Als Steffen erfuhr, dass die Clowns auf einer Reise quer durch die Republik acht Erstaufnahmelager besuchen wollen, stand für ihn sofort fest: Da mussten er und sein Filmteam dabei sein. Und diesmal klappte die Umsetzung.

Das Ergebnis heißt "Happy Welcome", der Film ist im November in den Kinos angelaufen. Eine Exklusivvorführung in Anwesenheit des Regisseurs hatte der Arbeitskreis, der am Geretsrieder Schulzentrum die Helfer und sonstige Betroffene auf die Einquartierung von Flüchtlingen auf dem Schulgelände vorbereiten möchte, kürzlich arrangiert. "Die Einladung dazu ging an die Schulfamilie, also Schüler, Lehrer, Eltern, aber auch Anwohner oder sonstige Interessierte", erklärt Christine Venus-Michel, Konrektorin der Realschule. Gemeinsam mit Anita Bitner, die am Gymnasium unterrichtet, heißt sie die Gäste willkommen. Gut zwei Drittel der 70 aufgestellten Stühle sind besetzt. In Anbetracht der Gesamtzahl von Schülern, Lehrern und Eltern am Gymnasium Geretsried zwar ein eher mäßiges Interesse, aber dafür sind die Anwesenden mit großer Aufmerksamkeit und Anteilnahme bei der Sache.

Erster Eindruck: Der Film ist handwerklich gut gemacht. Traumhaft schöne Bilder, oft bei Nacht aufgenommen, lassen immer wieder deutlich werden, warum Deutschland eine solche Anziehungskraft besitzt. Doch ehe man ins Träumen kommt, ein harter Schnitt: Trostlose Lager, Menschenmassen, die Kinder immer in Bewegung und mit allem spielend, was sich dazu anbietet, die Erwachsenen meist reglos, unbeweglich, wie erstarrt. Zweiter Eindruck: Der Film vermag seine Inhalte so zu transportieren, dass er den Zuschauer ergreift und beeindruckt. Etwa wenn die Ankunft der vier Akteure im jeweiligen Lager gezeigt wird, der erste, zögerliche Kontakt. Aus der rund einstündigen Aufführung der Clowns sieht man im Film natürlich immer wieder nur Ausschnitte, wobei der Fokus der Kamera eher auf den Publikumsreaktionen als auf den Bühnenaktionen liegt. Besonders berührend wird es, wenn im Singen und Tanzen die Grenzen zwischen Akteuren und Zuschauern verschwimmen und sich alle in eine ausgelassene Menge verwandeln. Dann tun keineswegs nur die Kinder mit.

Dazwischen kommen die Clowns zu Wort, die ihre Beweggründe und ihre Erlebnisse schildern. Zu erleben, wie die Augen der Kinder zu leuchten beginnen - das sei der Anreiz und der schönste Lohn. Denn ein Honorar für ihre Arbeit erhalten sie nicht, lediglich Fahrtkosten und Verpflegung. Aber auch Mitarbeiter der Lagereinrichtungen oder zufällige Passanten werden befragt. So entsteht ein aufschlussreiches Stimmungsbild. Um auch die Stimmen der Flüchtlingskinder zu integrieren, kam Steffen auf die wunderbare Idee, Zeichnungen der Kinder von Kindern kommentieren und animieren zu lassen. Diese Passagen zählen zu den berührendsten.

Der Wirkung des Films kann sich niemand entziehen. Und so entsteht im Anschluss ein reger Gesprächsaustausch, in dem Susi Wimmer, die ebenfalls nach Geretsried gekommen ist, ihre unbändige Vitalität und Energie spürbar werden lässt. Was sie anpackt, muss sich einfach zum Guten wenden. Sie betont, wie wichtig es sei, dass auch die Kinder ihre Eltern nach all den Strapazen der Flucht und den Ängsten vor der Zukunft einfach wieder einmal lachen sehen. Der Regisseur bittet das Publikum, die Arbeit der Clowns mit einer Spende oder, besser noch, dem Vereinsbeitritt zu unterstützen. Auf die Frage, ob und wie der Einsatz vor Ort eine Langzeitwirkung entfalten könne, hat Steffen eine schöne Antwort parat: "Bevor ihr gekommen seid, haben die Kinder hier Krieg gespielt", habe ihnen der Leiter einer Aufnahmeeinrichtung geschrieben. "Jetzt spielen sie Clown!"

© SZ vom 07.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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