Geretsried:Stoiber lässt die Hosenträger schnalzen

Der ehemalige Ministerpräsident ermahnt seine Parteifreunde, offensiv und selbstbewusst aufzutreten - damit die CSU ihr Potential ausschöpft.

Felicitas Amler

Von wegen "Edmund Stoiber spricht über sein Geretsried". Dieser Ankündigung seiner Parteifreunde für den sonntäglichen Stammtisch im Gasthof Geiger kam der ehemalige bayerische Ministerpräsident nur sehr teilweise nach. Im Großen und Ganzen widmete er sich in einer kernigen, launigen und appellativen einstündigen Rede jenen Themen, mit denen sich die CSU nach seiner Überzeugung wieder stärker profilieren muss: Deutschland, Europa, die Welt. Die vierzig Zuhörer dankten es mit Zwischenapplaus und zustimmenden Bemerkungen. Auf eine Diskussion verzichteten sie am Ende zugunsten der dampfenden Weißwurst-Terrinen, die aufgetragen wurden, sobald der prominente Gast das letzte Wort gesprochen hatte.

Alles, was Stoiber zu Geretsried zu sagen hatte, war rasch abgehakt: Die Stadt hat eine beispielhafte Integrationsleistung vollbracht. Über eine Zusammenarbeit im viel beschworenen "Mittelzentrum" Geretsried-Wolfratshausen hat man schon vor 40 Jahren diskutiert. Geretsried "steht nicht still". Und: Hoffentlich kommt die S-Bahn-Verlängerung.

Dann aber zur Frage, warum es so schwierig war, mit ihm, Stoiber - der in Wolfratshausen lebt, aber als CSU-Mitglied in Geretsried eingetragen ist und bleibt - einen Termin für den heimischen Stammtisch zu finden: Weil der Mann auch im Alter von siebzig und nachdem er die großen Ämter in der ersten Reihe längst hinter sich hat, unentwegt auf Achse ist. Brüssel und Berlin, Kopenhagen, Polen, Russland - hier ein Gespräch mit Angela Merkel, dort eines mit Wladimir Putin ("eineinhalb Stunden unter vier Augen"), dazwischen der alte und die neue EU-Ratsvorsitzende.

Bei Europa ist Stoiber in seinem Element, und dies keineswegs, weil er der EU-Beauftragte für die Reduzierung von Bürokratie ist. Sondern weil Schulden sein Thema sind - besser gesagt: wie man sie abbaut. Genüsslich kann er sich und sein Publikum da an seine Amtszeit als Ministerpräsident erinnern. Wie er das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ausgab: "Kein anderes Land hatte das. Wir haben das geschafft." Und wie sie ihn damals wegen der scharfen Einschnitte kritisierten, von den Bauern bis zu den Sozialhilfeempfängern: "Tausende haben demonstriert." Aber heute werde dieser Schuldenabbau . . . - Stoiber fällt an Stellen wie diesen gern ins Bayerische: "Heit wissen die Leit, was des bedeit."

Stoibers Exkurs über die Schuldenlage in Europa ist voller Zahlen, und er hat sie offenkundig alle im Kopf: die Zinssätze in Italien, Griechenland, Portugal, das Bruttoinlandsprodukt und sein Industrieanteil in Großbritannien, die jährliche Verschuldung in . . . Morgens hat er noch schnell "ein sehr, sehr langes Interview" der WamS mit Gerhard Schröder zur europäischen Situation gelesen: "Mir würde da sehr viel einfallen", sagt Stoiber unter dem Beifall seiner Parteifreunde. Er jedenfalls sei, als Schröder und Eichel "ganz beseelt" waren von der Aufnahme Griechenlands in die EU, dagegen gewesen. Doch damals sei man dafür "als hinterwäldlerisch abgetan" worden.

Mehr Selbstbewusstsein! So ließe sich alles, was Stoiber seiner CSU an diesem Sonntagvormittag sagt, bündeln. Er formuliert es überraschend deutlich: "Ich verstehe den Abgeordneten Bachhuber nicht", sagt er und blickt zu dem an seiner Seite sitzenden Landtagsabgeordneten Martin Bachhuber aus Bad Heilbrunn. Er verstehe nicht, warum Bachhuber dem politischen Gegner nicht offensiv zum Beispiel die für Bayern glänzenden Ergebnisse der Bertelsmann-Bildungsstudie vorhalte. Die CSU setze einfach nicht mehr so begeistert die Themen. Dabei, sagt Stoiber, könnten sie alle doch "die Hosenträger schnalzen lassen". Es ist seine Empfehlung für den Kampf um die Mehrheit im Landtag. Denn die CSU hänge zwar derzeit in Umfragen bei 41 Prozent herum: "Aber das Potential liegt nach wie vor bei 60 Prozent." Man müsse nur besser mobilisieren. Das wiederum müssten, sagt der 70-Jährige, eigentlich Jüngere als er tun. So gesehen sei es doch kein gutes Zeichen, dass sich bei ihm die Zahl der Anfragen und Zuschriften "potenziert".

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