Geretsried:Risse im Heldenbild

Geltinger Kulturtage 2016 - PiPaPo

Lesung: Ludwig Gollwitzer, Hermann Paetzmann, Sabrina Schwenger und Hannes Kirchhofer (v.l.).

(Foto: Hartmut Pöstges)

Der Verein Flößerstraße liest und erläutert eine Wilderer-Geschichte

Von Petra Schneider, Geretsried

Kein anderer Rechtsbruch hat in Bayern mehr zur Legendenbildung und Glorifizierung beigetragen als die Wilderei. Die Wilderer wurden von den Bauern als verwegene Rebellen verehrt und die Jäger als Erfüllungsgehilfen der Obrigkeit verachtet. Zwischen ihnen herrschte tödliche Feindschaft. Passend zum diesjährigen Motto "Mörderisches Bayern" des Geretsrieder Festivals "Pipapo", hat der Verein Flößerstraße eine szenische Lesung zusammengestellt, die den etwa 40 Zuhörern am Freitag in der Kulturbühne "Hinterhalt" ein facettenreiches Bild der Wilderei bot: Gelesen wurde die Kurzgeschichte "Die Halsenbuben" von Ludwig Thoma über eine historisch verbürgte Seeschlacht auf der Isar, ergänzt um einen Bericht über die tatsächlichen Ereignisse jener Nacht des 26. Juli 1868, den der damalige Revierförster Max Thoma, Vater des Heimatdichters, an das königliche Staatsministerium schickte.

Auch Ergebnisse einer wissenschaftliche Arbeit der Uni Regensburg aus dem Jahr 2007, die sich mit Fakten und Fiktion rund um die Lenggrieser Halsenbrüder beschäftigt, wurden vorgestellt. Zeitgenössische Zeitungsartikel, eine Zusammenstellung nicht aufgeklärter Wilderermorde im Isarwinkel um die Mitte des 19. Jahrhunderts, ein Wilderergedicht von Karl Stieler und stimmungsvolle Volksmusik des Trios Boarisch Roas rundeten den Abend ab.

In wochenlanger Arbeit hatte Gaby Rüth, Vorsitzende des Flößervereins, die Texte zusammengetragen. Ludwig Thoma sei für sie "ein schwieriger Bayer", sagte Rüth. Nicht nur "der weiß-blau-griabige Autor" der Lausbubengeschichten, sondern eine zwiespältige Persönlichkeit: liberal einerseits, "bekennender Rauschmittelgenießer und Befürworter der freien Liebe". Auf der anderen Seite aber ein Gegner der Frauenbewegung, glühender Nationalist und Militarist. Und Autor der "unsäglichen Schmierereien im Miesbacher Anzeiger", sagte Rüth.

Auf der mit Miniatur-Floß, Hirschgeweih und Rucksack dekorierten Bühne wechselten sich Sabrina Schwenger, Hermann Paetzmann, Hannes Kirchhofer und Wiggerl Gollwitzer beim Lesen ab. Temperamentvoll vor allem Paetzmann in der Rolle des Jagdgehilfen Glasl und Gollwitzer als Oberförster - eine Figur, die Ludwig Thoma in seiner Kurzgeschichte wohl idealisiert hatte, um dem Vater ein literarisches Denkmal zu setzen. Er zeichnete den Oberförster als "trefflichen Menschenfreund", der den angeschossenen Wilderer mit fast väterlicher Fürsorge zum Arzt transportieren lässt. Eingebettet ist die Handlung in die Waldeinsamkeit der Vorderriß, samt Mondenschein und rauschendem Isarwasser. Im Bericht seines Vaters erscheint die mörderische Schießerei auf dem Isarfloß weniger romantisiert: "Diese Wildschützen trieben ihr Handwerk mit einer wirklich beispiellosen Frechheit als förmlichen Erwerbszweig", schrieb Max Thoma. Man sei froh, "dass diese Burschen endlich einmal eingegangen" seien.

Warum gerade der Isarwinkel eine Hochburg der Wilderei war, findet sich bei einem anderen Heimatdichter; im Jahr 1896 schrieb Arthur Achleitner: Die Männer seien "wetterharte und findige Söhne des Isarwinkels", durchschnittlich 1,70 Meter groß, "ja in der Lenggrieser Gemeinde sogar 1,78 Meter". Der Isarwinkler betreibe das Wildern mit besonderer Verschlagenheit und Verwegenheit. "Er klettert wie die flinke Gams und ist flüchtig wie der Hirsch, wenn er den Verfolger auf warmer Fährte spürt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: