Geretsried:"Grandioso!"

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Eine argentinische Fiesta in den Ratsstuben? Die "Gauchos" der Folklore-Gruppe "Raices Nuevas" treffen bei ihrem ersten Gastspiel auf ein gesetztes Publikum - und lassen es auf den Stühlen tanzen

Von Claudia Koestler, Geretsried

Noch bevor der Gedanke aufkommen kann, nun werde die Woche gemütlich ausklingen, stehen sie auch schon auf der Bühne: Frauen in weinroten Kleidern mit weißen Rüschen neben Männern in weißen Pumphosen, die zum Hochgeschwindigkeits-Stakkato der Musiker tanzen. Die argentinische Folkloregruppe Raices Nuevas gastiert erstmals in Deutschland und lässt in Geretsried den Freitagabend mit Tanz und Musik zu einer "Gran Fiesta Argentina" werden.

Für gewöhnlich erhebt sich das Publikum ja immer erst am Schluss einer Aufführung. Doch beim Besuch der "Gauchos", wie sich die Mitglieder von Raices Nuevas selbst nennen, gibt es schon nach einer Stunde kaum ein Halten mehr. An den Tischreihen des Ratsstubensaals tanzen die Leute auf ihren Sitzen: Euphorisiert, elektrisiert und angefeuert von einem energischen Schlagzeug-Groove zwischen ekstatischem Work-out und polyrhythmischem Drumming, der dem mal geschmeidigen, mal atemlos-schwelgenden Gesang ordentlich Feuer macht.

In weißen Pumphosen und mit einem atemraubenden Tanz eröffnen die "Gauchos" das Programm. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Kein geringes Verdienst, denn erst einmal sind an diesem Abend durchaus die Kulturen aufeinander geprallt: Hier das gesittet an Tischen sitzende deutsche Publikum, überwiegend silberbelockt - da das Folklore-Ensemble auf der Bühne mit viel Tschingderassabum. Dazwischen ein Saal, der außer ein paar Fähnchen wenig lateinamerikanisches Flair bietet. Abgesehen vielleicht von einer Art Honigfalle für Frauen am Eingang mit Hunderten von glitzernden High Heels. Ein Händler hatte die Gelegenheit genutzt, seine Auswahl an tanzgeeigneten Stöckelschuhen zu verkaufen.

Dagegen nehmen sich die Devotionalien, die die Gauchos mitgebracht haben, geradezu spartanisch aus: Ein Becher, zwei Miniatur-Espadrille als Schlüsselanhänger und ein Feuerzeug in Stiefeloptik, dazu eine Handvoll CDs. Nicht einmal die sonst üblichen Empanadas gibt es. Geschenkt.

Die Verantwortlichen für die euphorisch-argentinische Atmosphäre heißen eben Raices Nuevas und Fausto Rizzani. Seine Stimme klingt klar, sehnsuchtsvoll und melancholisch zugleich, und mit seinem Aussehen erfüllt er genauso wie die 22 Tänzer und Tänzerinnen auf der Bühne alle Klischees von glutäugigen Latinos. Famos, mit welch typischem Machismo die Männer, mit welch stolzem Anmut die Frauen Tänze wie Zamba oder Chacarera zeigen, während sich die Rhythmen in die Blutbahn der Zuschauer pochen.

Während die Männer sich als energiegeladene Machos profilieren, betören die Frauen durch stolze Anmut. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Der zweite Auftritt: In schwarzen Seidenkostümen zeigen sie eine martialische Choreografie mit Peitschen, Schnurkugeln und Schwertern. Als sie die Klingen kreuzen, sprühen gar die Funken. Dann schlägt die Stunde des argentinischen Tangos und die von Gabriele und Gustavo Gomez. Von melancholischem Weltschmerz bis zu untergründig brodelnder Leidenschaftlichkeit, von sprühender Lebenslust bis zu haltloser Hoffnungslosigkeit reicht die Farbpalette des Tangos. Getragen von der passionierten Hingabe und lasziver Sehnsucht tanzen die beiden das komplexe Wechselspiel zwischen Mann und Frau immer schneller, dramatischer: Eine Sinfonie aus Spannung, Eleganz und Ausdruck.

Im dritten Auftritt der Raices Nuevas wird es wild und bunt: Paillettenkleid, neongelber Filzhut, Bommelmützen in einer Art gebücktem Ringelpiez. Das Publikum aber ist hingerissen, die Argentinier sind es nicht weniger. Emotional aufgewühlt wird sich gegenseitig gedankt und ein Wiedersehen versprochen. Da haben längst alle ein Wort gelernt und ausgesprochen, auch die, die vorher nicht der spanischen Zunge mächtig waren: "Grandioso!"

© SZ vom 13.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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