SZ-Serie über Vertriebene:Geschmiedetes Glück

Serie über die Vertriebenen : Angekommen

Um 1930 hatte der Vater von Anton Wagner (Bild) den Amboss für die Schmiede in Ungarn gekauft. Heute steht er im Hauskeller in Geretsried.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Die Familie Anton Wagners flüchtet 1944 aus Ungarn - im Gepäck der schwere Amboss. Den Deutschen aus Pusztavám ergeht es in Geretsried vergleichsweise gut.

Von Benjamin Engel, Geretsried

Noch hat Anton Wagner den Amboss seines Vaters im Keller seines Geretsrieder Hauses stehen. Das mächtige, rund 100 Kilogramm schwere Handwerkszeug stand früher in der Schmiede im ungarischen Pusztavám nordöstlich des Balaton. Der Amboss ist eines der wenigen Besitzstücke der Familie aus ihrem früheren Heimatort. Im Dezember 1944 floh Anton Wagner im Alter von 13 Jahren gemeinsam mit seinem Vater und einem Onkel vor der herannahenden Front über Österreich nach Bayern. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts hatte die Familie in Ungarn gelebt.

Der heute 85-Jährige erinnert sich noch genau an das Datum der Flucht: 9. Dezember 1944. Soldaten der zurückweichenden deutschen Armee strömten nach Pusztavám. In der Ferne war das Geschützfeuer der russischen Armee zu hören. "In der Früh wurde uns gesagt, dass wir fliehen müssen", sagt Wagner. Bis zum Nachmittag packten viele der deutschen Einwohner des Ortes das Nötigste zusammen. Der Vater habe ihre zwei Pferde vor einen Wagen gespannt, seinen Amboss, Werkzeug, Nahrungsmittel und Futter für die Pferde verpackt. Zudem hätten sie noch etwas Kleidung mitgenommen, mehr aber nicht, erinnert sich Wagner. Dann seien sie im Treck - 31 Wagen mit etwa 75 Personen - Richtung Norden von Dorf zu Dorf gefahren. Andere wie die geschiedene Mutter mit Bruder Franz blieben im Ort.

Mit den Pferdefuhrwerken ging es für die Familie Wagner weiter bis ins südliche Wiener Becken. Von dort mit dem Zug über München nach Beuerberg. Unter den Flüchtenden war auch Wagners heutige Frau Therese mit ihrer Familie.

Die Ungarndeutschen wurden im Beuerberger Schulhaus untergebracht. Eineinhalb Monate blieb Wagner mit Onkel und Vater dort. Später kamen sie in einer Stube über dem Dorfwirtshaus unter. Die Großmutter stieß dazu. Schließlich fand der Vater eine Anstellung als Schmied im nahen Gut Schwaigwall, wo die Familie in eine Wohnung mit Küche und drei Zimmern einziehen durfte, wie Wagner sagt. "Uns ging es eigentlich gut." Nur Möbel hatten sie zuerst nicht. Für einen Tisch, Stühle, einen Schrank tauschten sie bei einem Bauern ein Pferd ein. Sein Vater sei neben dem Lohn in Naturalien bezahlt worden, Kartoffeln und Milch. Wagner selbst half im Stall mit, mistete aus oder fütterte beispielsweise die Schweine.

1947 begann Wagner eine Lehre als Kupferschmied bei der Firma Linde. 1952 heiratete er seine ein Jahr jüngere Frau Therese. Sie war inzwischen mit ihrer Familie nach München gezogen. 1953 kaufte Wagner das Grundstück am heutigen Karlsbader Weg in Geretsried. Sie fingen zu bauen an. Zwei Jahren später konnten sie in ihr Haus einziehen. Bis auf den Keller hätten sie fast alles selbst gemacht, den Beton angemischt, gemauert, die Heizung eingebaut. Verwandte halfen mit, erzählt Wagner. Seiner Frau sei es anfangs schwer gefallen, im heutigen Geretsried zu wohnen. Denn auf dem Gelände der früheren Munitionsfabriken hätten damals noch kaum Häuser gestanden, ein großer Gegensatz zu München.

Heute wohnt auch der jüngere Bruder, Franz Wagner, in Geretsried. Bis 1948 war er mit der Mutter und deren Familie in Pusztavám geblieben. Dann wurden sie vertrieben. Sie kamen nach Ostdeutschland, von wo sich Franz Wagner alleine bis nach Geretsried durchschlug.

Anton Wagner gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Geretsrieder Trachtengruppe der Ungarndeutschen. In den 60er- und 70er-Jahren war er Stadtrat. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs restaurierte er unter anderem Heiligenfiguren in der alten Pusztavámer Kirche. Mit seiner Frau hat er vier Kinder, Enkel und Urenkel. Und gerade die Familie ist für ihn das Wichtigste. Dann komme lange nichts, sagt er.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: