Geretsried:Für Disziplin und Selbstbewusstsein

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Katharina drischt mit voller Wucht gegen den Bauch von Waleri Weinert. Das schüchterne Mädchen hat im Stark-Projekt Selbstbewusstsein gelernt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Kurse des "Stark"-Projekts in Geretsried werden immer beliebter. Beim Boxen und in Gesprächen lernen Schüler, mit ihren Schwierigkeiten umzugehen

Von Erik Häussler, Geretsried

Katharina ist elf Jahre alt und besucht die Karl-Lederer-Schule in Geretsried. Sie ist für ihr Alter nicht besonders groß, schüchtern. Früher war sie eher eine Außenseiterin. Nun steht sie selbstbewusst im Ring, trägt Boxhandschuhe und zeigt, was sie kann. Ihr Gegenüber: Trainer Waleri Weinert. Die Schutzkleidung am Bauch des 55-Jährigen dämpft die Schläge von Katharina, er motiviert sie, alles zu geben. Als sie sich ausgepowert hat, springt der 13-jährige Azizi ein, auch er hatte einen schweren Stand in seiner Klasse. Sie sind zwei der zehn Teilnehmer des "Stark"-Projekts, das Mobbing-Opfern Selbstbewusstsein verschaffen, aber auch aggressive Schüler disziplinieren soll. Es ist der zweite Kurs dieser Art, der nun nach zwölf Terminen beendet ist. Das Projekt ist ein Erfolg, immer mehr Kinder wollen teilnehmen.

Weinert ist in der Sowjetunion auf der Straße aufgewachsen, wäre wohl, wie er selbst sagt, auf die schiefe Bahn geraten, wenn er nicht zum Sport gefunden hätte. Er sagt: "Ich weiß, was bei den Problemkindern im Kopf läuft". Als Katharina und Azizi im April zum ersten Mal den Trainingsraum des Jugendsportclubs Edelweiß in Geretsried betraten, "kamen sie wie die grauen Mäuse", beschreibt Weinert die Begegnung. Inzwischen hätten sie Selbstbewusstsein getankt, könnten sich behaupten, im Ring und außerhalb. Konnte Katharina "anfangs den Mund nicht aufmachen", tanzte sie kürzlich im Training sogar den anderen Kindern etwas vor, ganz ohne Scham, sagt Weinert stolz. Boxen selbst macht nur einen geringen Teil des Trainings aus. Vielmehr wird mit kleinen Übungen, Spielen oder Gesprächen in 90 Minuten jede Woche versucht, die Kinder zu stärken, ihnen aber auch ihre Grenzen aufzuzeigen.

Grenzen aufzeigen - gerade für die härteren Fälle, die Weinert schon zu betreuen hatte, eine wichtige Lehre. Er erzählt von einem Jugendlichen, der mit zwölf Jahren bereits eine Brandstiftung verübt hätte. "Auf der Straße war er der Größte, beim Boxtraining hat er gesehen, wie klein er ist." Er kenne das Leben auf der Straße, sagt Weinert, deshalb habe er einen anderen Zugang zu den Kindern. Er ist nicht nur Trainer, er ist auch Vertrauensperson. Er beobachtet ihr Verhalten, redet mit ihnen. Alles, was dabei im Training besprochen werde, bleibe auch dort, erklärt er. Wird einer aggressiv, nehme er ihn zur Seite und mache ihm klar, dass er so etwas nicht dulde.

Möglich wird das Projekt durch die Kooperation der Karl-Lederer-Schule, der Caritas, von Sponsoren - und allen voran Weinert, der seine Freizeit opfert. Sind anfangs nur Problemschüler von der Schule verpflichtend geschickt worden, kommen inzwischen immer mehr freiwillig. Die Nachfrage reiche für zwei Kurse, sagt Mitorganisatorin Juina Wessel vom Caritas Kinderdorf in Irschenberg. Dafür, oder den gewünschten dritten Kurs ab Herbst, fehlen jedoch die nötigen Sponsoren.

Die Schläge treffen den Bauchschutz von Weinert - Azizi ist wieder im Ring. Doch er gibt nicht alles. Der Trainer spornt ihn an, der 13-Jährige könnte in seinen Augen mehr. "Du schwächelst, was ist los? Du hast aufgegeben!" Aufgeben, das gibt es für den Trainer nicht. "Los, zehn Kniebeugen!". Azizi widerspricht nicht. Trotz des rauen Tons, die Kinder mögen ihren Trainer. "Er ist richtig cool, macht viele Späße mit uns", sagt Katharina. "Alt, aber cool", fügt Azizi frech von der Seite hinzu und lacht. Spaß haben, aber mit Grenzen, das vermittelt Weinert. Es gehe "in keinem Fall darum, ihnen das Kämpfen beizubringen. Sie sollen sich ausdrücken können." Respekt und Pünktlichkeit sollen sie lernen. Gerade mit Letzterem sei das noch so eine Sache. Verspätungen werden hier mit zehn Liegestützen bestraft. Einige hätten inzwischen ein ordentliche Summe angehäuft.

Auch das Abschlussfest für den Kurs haben die Kinder selbst mit organisiert. Auch das ist Teil des Projekts. Weinert hat eine Pädagogik-Ausbildung, hat in der Sowjetunion als Lehrer gearbeitet und zusätzlich eine Ausbildung als Anti-Aggressivitäts- und Coolness-Trainer absolviert. Er will Kindern einen Umgang mit ihren Problemen ermöglichen. Die "kleinen Banditen", wie Weinert den straffällig gewordenen Teil der Kinder und Jugendlichen nennt, sollen keine "verlorene Zeit" im Knast erleben. Der Kurs soll sie an das Boxtraining des Jugendsportclubs heranführen, damit sie weiter begleitet werden. Azizi hat Gefallen am Sport gefunden, er will dabei bleiben. Geplant sei schon die Teilnahme an einem Boxturnier, erklärt sein Trainer.

© SZ vom 31.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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