In einem Musikraum des Schulzentrums Geretsried stehen 30 Mädchen von ihren Sitzen auf, heben gleichzeitig ihre rechten Arme an, strecken die Hände hoch und schießen blitzartig imaginäre Pfeile in die Luft. Dazu singen sie einen hohen, klar konturierten Ton. Die Übung tut ihre Wirkung: Die Zwölf- bis 14-jährigen Chorsängerinnen stimmen danach die Zeile "Jauchzt zu Flöten und Tamburinen: Der Prophet, der Prophet ist erschienen" aus "Peer Gynt" mit präziserer Intonation an als zuvor. Bis Sonntag muss dies und noch eine Menge mehr gut sitzen. Denn dann haben die Mädchen einen großen Auftritt.
Beim Aufritt arbeiten die Schüler mit professionellen Künstlern
Die Chorklasse der Realschule Geretsried, unterstützt von fünf Sängerinnen des Schulchors, nimmt zusammen mit Musiklehrerin Gabriele Rau an dem Kooperationsprojekt "Klasse Klassik" des Münchner Rundfunkorchesters und des Kultusministeriums teil. Die Mädchen hatten sich mit einer CD dafür beworben und wurden ausgewählt. Seit Januar proben sie. Auf dem Programm steht neben Edvard Griegs dramatischem Gedicht "Peer Gynt" die Schauspielmusik "Egmont" von Ludwig van Beethoven. Sieben andere Schulensembles - Chöre und Orchester - sind dabei, außerdem Profis: die Sopranistin Danae Kontora, der Schauspieler Gerd Anthoff und der Dirigent Friedrich Haider.
Ein Auftritt am Münchner Gastein zusammen mit professionellen Künstlern - ganz schön aufregend, oder? Schon, sagt die 13-jährige Leonie Ganz, eine der Geretsrieder Chor-Sängerinnen. Zwar habe ihre Klasse ja bereits an einem ähnlichen Konzert mit Profis in Nürnberg teilgenommen. "Aber das Projekt in München ist noch viel aufregender." Das Schwierigste sei, "dass man die ganze Zeit die Konzentration hält". Ob sie Angst hat vor dem Auftritt? "Nee! Bloß davor, dass ich mich versinge oder andere." Denn das könne beim zweistimmigen Gesang schon mal passieren.
Mitschülerin Elina Funkenhaus, zwölf Jahre alt, singt für ihr Leben gern, auch in der Schule: "Das ist nicht so anstrengend wie der normale Unterricht", findet sie. Zu Hause singt sie allein, und zwar am liebsten Balladen, zum Beispiel von Andreas Bourani. Mit solch populärer Musik belohnt Gabriele Rau die Schülerinnen auch am Ende der Stunde. Dann dürfen sie sich, nach all der schwierigen Klassik, etwas aussuchen, was sie zum lockeren Abschluss gern singen möchten. Diesmal ist es "Heart to heart" von James Blunt. Zuvor aber wird ernsthaft geprobt.
Die Chorklasse besteht ausschließlich aus Mädchen
Die Musiklehrerin ist selbst leidenschaftliche Sängerin, sei es im Isura-Madrigalchor oder in einem vierköpfigen Frauenensemble mit Kolleginnen der Realschule und des Gymnasiums. Die Vier treten gelegentlich auf, so haben sie etwa beim Historischen Verein Wolfratshausen gesungen. Genauso wie der Realschulchor, der beim Gedenken an die Bücherverbrennung durch die Nazis in der Loisachhalle auf der Bühne stand. In der Veranstaltung über verfemte Autoren hatten die jungen Geretsrieder den Ringelnatz-Part.
In der Chorklasse bringt Gabriele Rau den Schülerinnen - es ist kein einziger Junge dabei - das Singen mit all seinen theoretischen (Notenlesen) und praktischen Aspekten bei. Körperhaltung ist ein wichtiges Thema. Hin und wieder unterbricht sie die Mädchen mit einem "Kommt's, auf geht's, Sängerhaltung!" Dann hüpft sie ein klein wenig, um zu zeigen, die Mädchen sollen sich locker machen, aber nur, um anschließend aufrecht zu stehen, die Schultern zurückzunehmen und ganz präsent zu sein. "Denkt euch auf die Bühne! Denkt euch, ihr präsentiert euch jetzt - das ist euer Auftritt."
Gibt es auch Empfehlungen gegen das Lampenfieber? Elina hat eine ganz für sich selbst: "Ich stelle mir vor, dass ich allein singe, und denke mir die Menschen weg." Das könnte am Sonntag womöglich ein ganz schönes Kunststück sein - bei mehr als 2000 Plätzen im Gasteig und einer Live-Übertragung im Rundfunk.
Sonntag, 1. Mai, 18 Uhr, Gasteig, München; www.br-klassik.de/concert/ausstrahlung-696064.html