Geheimnisse und Entdeckungen:Im Garten des Lebens

Pater Karl Geißinger führt im Kloster Benediktbeuern in praktische und spirituelle Aspekte der kultivierten Natur ein. Im Kräuterlabyrinth sieht er einen Weg zu Gott

Von Sabine Näher, Benediktbeuern

Geheimnisse und Entdeckungen: Der Regen kann Pater Karl Geißinger nichts anhaben - im Gegenteil: Das sei doch die beste Zeit, um Brennnesseln rauszuziehen, sagt er.

Der Regen kann Pater Karl Geißinger nichts anhaben - im Gegenteil: Das sei doch die beste Zeit, um Brennnesseln rauszuziehen, sagt er.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Es regnet in Strömen. Wer nun glaubt, die Führung zu den "Geheimnissen der Benediktbeurer Klostergärten" werde deshalb entfallen, kennt Pater Karl Geißinger schlecht. Ausgerüstet mit Gummistiefeln und einem riesigen blauen Schirm kommt der ZUK-Rektor am Mittwochnachmittag bestens gelaunt zum angegebenen Treffpunkt. "Wir haben eben Brennnesseln ausgezogen. Das muss man machen, wenn es länger geregnet hat, nur dann erwischt man sie mitsamt der Wurzel", erklärt Geißinger, der nach seinem Studium der Theologie und Sozialpädagogik 1974 ins Kloster Benediktbeuern kam. Da er für den Umgang mit der umgebenden Natur besser gerüstet sein wollte, studierte er 1990/91 in Wien zusätzlich Umweltethik und besuchte Vorlesungen in Botanik und Biologie. Wer ihn bei seinen Führungen erlebt, spürt, wie ihm der bewusste und verantwortungsvolle Umgang mit der Natur am Herzen liegt. Sein Interesse und seine Begeisterung erreichen und fesseln die Zuhörer.

"Was will und soll ein Kloster? Und was ein Garten? Von der Idee her ist das deckungsgleich", erklärt Geißinger. Ein Ort der Begegnung soll es sein, zugleich ein Rückzugsort, wo der Mensch sich mit seinen Fähigkeiten, Grenzen, Bedürfnissen und Sehnsüchten erlebt, wo er in Gemeinschaft und doch für sich sein kann, wo er den Weg, den tieferen Sinn sucht und bestenfalls seine persönliche Lebenserfüllung findet. "In einem Garten ist der Zyklus des Lebens in seiner ursprünglichen, authentischen Form unmittelbar zu erleben: Geboren werden, älter werden und schließlich sterben." Hier habe alles seinen Platz, seine Zeit und seinen Sinn. Ohne Tod und Vergehen kein neues Leben und Entstehen: Das ist die Urerfahrung, die ein Garten vermittelt. Ein typisch oberbayerischer Bauerngarten etwa habe einen Zaun, der eine Grenze zieht. "Aber einen niederen Zaun, dessen Pfähle Abstand zueinander halten: Man kann hineinschauen, ist eingeladen, hereinzukommen und mit dem Besitzer in Kontakt zu treten", sagt Geißinger.

Geheimnisse und Entdeckungen: Gern gesehene Gäste sind im Kloster Benediktbeuern auch die Störche, die auf dem Dach nisten.

Gern gesehene Gäste sind im Kloster Benediktbeuern auch die Störche, die auf dem Dach nisten.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Da die Klöster früher reine Selbstversorger waren, hatten sie Nutzgärten aller Art: Obst-, Gemüse-, Kräutergarten. Aber auch Heilpflanzen wurden angebaut. Viele darunter waren sehr giftig, deswegen hatten nur der Abt und der Apothekermönch Zugang. Das heilkundliche Wissen wurde mündlich tradiert, früh aber auch schon schriftlich festgehalten. Im "Benediktbeurer Rezeptar" aus dem Jahre 1250 ist genau verzeichnet, welche Pflanzen bei welchen Krankheiten wirksam sind und wie sie dazu verarbeitet werden müssen. Denn alles, was existiert, hat seinen Sinn, hat seine Bedeutung für das Gute.

Mittlerweile ist die kleine Gruppe um Geißinger am Labyrinth neben dem Großparkplatz angelangt. Anders als die Irrgärten der Antike, die aufzeigten, dass es keinen Ausweg gibt und das Leben sinnlos ist, weil es unweigerlich zum Tode führt, zeigt das in der christlichen Mystik des Mittelalters entstandene Labyrinth den Weg, der letztlich, wenn auch auf verschlungenen Pfaden, immer zur Mitte führt. Dort wartet ein Brunnen oder Wasserbecken als Symbol des Lebens und der Gegenwart Gottes. Vier Beetkreise führen dorthin. Der erste, äußere, enthält Pflanzen, die gut riechen, schmecken und hübsch ausschauen. Sie sind die "Blender": Hier zählt das Äußere, der Schein, nicht aber innere Werte. Im zweiten Beetkreis stehen Küchenkräuter, wie sie früher in den oberbayerischen Bauerngärten wuchsen: Liebstöckel, Knoblauch, Petersilie, aber auch die heute unbekannte Etagenzwiebel. Im dritten Kreis folgen die im Rezeptar aufgeführten Heilkräuter, von denen viele in Vergessenheit geraten sind. Im innersten Kreis, um den Brunnen herum, finden sich dann die Symbolpflanzen: Die blauen wie Enzian oder Akelei stehen für Treue, Beharrlichkeit, Geduld; die weißen wie die Christrose für Ehrlichkeit, Unschuld, Jugend. Christliche Symbolik ist ebenfalls vorhanden: Mariendistel oder Glockenblume werden Maria zugeordnet, die Silberdistel Christus und die gelbe Akelei dem Heiligen Geist.

Geißinger erzählt, er sei ständig auf der Suche nach alten Pflanzen: "Sie erzählen Geschichten, rufen über Düfte und Farben verblasste Erinnerungen zurück, an besondere Erlebnisse, besondere Feste. Sie helfen dabei, uns in unserer eigenen Geschichte, Kultur und Region zu verwurzeln und lassen uns mehr zu Hause sein." Die Lage des Labyrinths neben dem Parkplatz, ehe man das Klosterareal betritt, erlaube den Menschen, die mit Kirche und Glauben fremdeln, einen unbefangenen Zugang. Und damit könne es Türöffner sein. Oft werde er hier in lange Gespräche verwickelt, sagt Geißinger. Und immer wieder erlebe er, dass Menschen erst einmal den Meditationsgarten betreten und dann weiter hineingehen, in die Kirche, aber auch in den Biergarten. "Jeder kann hier finden, was er braucht. Und alle gehen bereichert weg."

Nächster Termin: Mittwoch, 30. Mai, 15 Uhr, weitere Termine unter www.zuk-bb.de/zuk/veranstaltungen/gesamtuebersicht

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