Gedenken an die Bücherverbrennung:"Wir tragen die Bilder weiter"

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Kinder und Jugendliche geben dem Erinnern eine Zukunftsperspektive. Künstler wie Helmut Schleich und Udo Wachtveitl sowie Schulklassen treten in der Loisachhalle vor vollem Haus auf.

Von Sabine Näher, Wolfratshausen

Da staunten selbst die Profis und Promis: Die Schülerinnen und Schüler aus der Region, die am Mittwochabend am Gedenken an die Bücherverbrennung der Nazis vor 84 Jahren mitwirkten, brachten geistreich erarbeitete Beiträge souverän, locker und witzig auf die Bühne. Dem Historischen Verein Wolfratshausen mit Sybille Krafft an der Spitze und dem Kulturverein Isar-Loisach mit Assunta Tammelleo ist zum zweiten Mal vor vollem Haus ein großer Abend gelungen. Dessen finanzieller Ertrag kommt dem Verein Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald zugute; eine ideelle Bereicherung durfte jeder Besucher von der fast vierstündigen Veranstaltung mit nach Hause nehmen.

Die Gedenkveranstaltung umfasste erstmals neben den Autoren verbrannter Bücher auch Maler, deren Werke von den Nazis verfemt wurden. Als erste Schülergruppe ließen Mitglieder der Theatergruppe und der Big Band des Ickinger Gymnasiums den Katalog zur Nazi-Propagandaausstellung "Entartete Kunst" in einer eindrucksvollen Performance (absurd) lebendig werden.

Helmut Schleich, einer der gefragtesten Kabarettisten, zeigte sich mit einer Lesung von Stefan Zweigs "Über Opportunismus" von einer ungewohnt ernsten Seite. "Lieber Gegner vor uns - als Überläufer neben uns" schloss der weitsichtige Text. Zehntklässlerinnen der Realschule Geretsried stellten Wassily Kandinsky und sein Bild "Der Bogenschütze" dar. Ihre abschließende Frage: "Warum wird ein Pferd mit Reiter den Nationalsozialisten gefährlich?" ging über eine reine Bildinterpretation weit hinaus. Schauspieler Peter Weiß ließ darauf mit großer Erzählkunst Erinnerungen Kandinskys an Kinder- und Jugendjahre in München, Moskau und auf Bildungsreise mit den Eltern in Italien lebendig werden.

Zu den wahren Stars des Abends wurden die Erstklässler der Grundschule Waldram, die nicht nur souverän in Franz Marcs Biografie und sein berühmtes Bild "Die gelbe Kuh" einführten, sondern auch alle selbst eine solche gemalt hatten. Als sie zum Abschied das "Gelbe-Kuh-Lied, das wir selbst gedichtet haben" sangen, war der Saal komplett aus dem Häuschen. Und in dieser gedrängten Fülle ging es über Stunden weiter.

Gerd Holzheimer las aus den höchst literarischen Briefen, die Else Lasker-Schüler an Franz Marc gerichtet hatte, Claus Steigenberger ließ mit Lion Feuchtwangers "Erfolg" ein Sittengemälde Münchens aus der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus erstehen. Leibl Rosenberg, der als Kind im Lager Föhrenwald für jüdische Displaced Persons, heute Waldram, lebte, las einen jiddischen Text und Heinrich Heines "Loreley". Er erklärte, er sei glücklich, an diesen Ort zurückgekommen "so viel Liebe" vorzufinden. Belle Schupp trug Texte der aufmüpfigen Mascha Kaléko vor. Udo Wachtveitl las meisterlich einen zwischen Tragik und Komik schwankenden Text von Oskar Maria Graf ("Heil Hitler" oder "Drei Liter"?). Anatol Regnier enterte die Bühne mit einer Gitarre und sang herrliche Nummern von Hermann Leopoldi, der aus Wien in die USA emigrierte. Und Christian Springer setzte mit Texten Joseph Roths einen eminent politisch akzentuierten Schlusspunkt. "Die Nazis haben nicht gewonnen. Und die Nazis werden nicht gewinnen!" lautete sein leidenschaftlicher Appell.

Das Gymnasium Geretsried hatte sich Max Beckmanns angenommen und ließ diesen selbst zum Publikum sprechen. Die Freie Waldorfschule Isartal lieferte eine starke Performance zu Edvard Munchs Gemälde "Der Schrei". Das Gymnasium Sankt Matthias Waldram erinnerte mit dreien seiner Selbstbildnisse an den Maler Felix Nussbaum. "Wenn ich untergehe, lasst meine Bilder nicht sterben", so das Vermächtnis des 1944 in Auschwitz Ermordeten. Die Mittelschule Wolfratshausen hatte dem Maler Georg Netzband einen kurzen Film gewidmet und schloss mit der Erkenntnis: "Uns wurde klar, dass es ein Geschenk ist, in einer Demokratie aufzuwachen." Inspiriert von Paul Klees Engelsdarstellungen hatten Fünftklässler der Realschule Wolfratshausen ihre eigenen Engel gemalt. Eine Schülerin des Gymnasium Schäftlarn huldigte Käthe Kollwitz als großer Künstlerin und mutiger Frau. Die Berufsschule Wolfratshausen brachte Ernst Ludwig Kirchner auf die Bühne und ließ ihn dort Selbstmord begehen.

Versöhnlich und in die Zukunft gerichtet schließlich der Ausklang mit der Mittelschule Geretsried: Die Feuer, welche die Bilder bedrohen, werden gelöscht. Die Jugendlichen versprechen: "Wir tragen die Bilder weiter!"

© SZ vom 12.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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