Gedenken:Brückenschlag vom Einst ins Jetzt

Die Gedenkveranstaltung zur Bücherverbrennung füllt die Loisachhalle bis auf den letzten Platz. Neben prominenten Künstlern sind es die Jugendlichen, die mit ihren Auftritten beeindrucken und berühren

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

"Ich bin überwältigt", sagt Max Mannheimer. Und mit diesem Eindruck ist der 95 Jahre alte Auschwitz-Überlebende offenkundig nicht allein. Die 650 Besucher der Lesung in der Loisachhalle, mit der am Sonntagabend an die Bücherverbrennung durch die Nazis im Jahr 1933 erinnert wird, sind hingerissen von diesem Abend. Das liegt auch an den prominenten Mitwirkenden wie der Schauspielerin Gisela Schneeberger, der Jazz-Größe Klaus Doldinger oder den "Wellbappn" Hans, Sarah und Jonas. Vor allem aber sind es die Kinder und Jugendlichen, die das Publikum beeindrucken und berühren. Gymnasiasten, Mittel- und Realschüler der Region gestalten die Auftritte mit, indem sie die Autoren vorstellen, aus deren Werken gelesen wird.

Die jungen Leute tun dies mal bayerisch-lustig wie Michael Sebald, der den notorischen Lederhosen-Träger Oskar Maria Graf in ebensolchem Outfit und passendem Tonfall präsentiert. Mal spielerisch wie die Sechstklässler aus Waldram, die den Namen der in Theresienstadt ums Leben gekommenen Schriftstellerin Carry Brachvogel Buchstabe für Buchstabe erläutern. Oder mit akribischer Recherchegenauigkeit wie Sebastian D'Huc, Maximilian Schulz und Kilian Adolf. Die drei Ickinger Gymnasiasten sind eigens nach Wien gefahren, um mehr über den Lyriker Theodor Kramer zu erfahren. In der Loisachhalle präsentieren sie ihre Erkenntnisse mit einem Film über diese Reise.

Die Gedenkveranstaltung zur Bücherverbrennung findet zum siebten Mal hier statt, aber zum ersten Mal in der Loisachhalle. Assunta Tammelleo, Wirtin der Geltinger Kleinkunstbühne "Hinterhalt", hatte das Projekt ursprünglich in Geretsried begründet. Nun hat sie es gemeinsam mit Sybille Krafft, der Vorsitzenden des Historischen Vereins Wolfratshausen und der "Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald", groß gemacht. So groß, dass die Loisachhalle - ein eher seltener Anblick - ausverkauft ist.

Das Publikum lernt viel dazu an diesem Abend. Zum Beispiel, dass Theodor Kramer mehr als 12 000 Gedichte geschrieben habe, von denen nur 2000 veröffentlicht seien, wie die Ickinger Gymnasiasten erklären. Kabarettist Josef Brustmann hat zwei davon für den Gedenkabend vertont. Der jiddische Dichter Moische Schulstein dürfte vielen zuvor unbekannt gewesen sein. Die Literaturwissenschaftlerin Rachel Salamander, die als Kind im DP-Lager Föhrenwald (heute Waldram) lebte, liest auf Jiddisch einen langen Schulstein-Text über das Todeslager Majdanek. Und auch wer kein Wort Jiddisch kann, versteht die erschütternden Passagen über den "Berg jüdischer Schuhe in Majdanek".

Einige Beiträge schlagen Brücken vom Einst ins Jetzt. Prälat Lorenz Wolf tut dies in seiner Begrüßung. Man denke doch, sagt er, etwas wie die Bücherverbrennung sei heute nicht mehr möglich. Aber wenn man höre, dass die Plakate zur aktuellen Gedenkveranstaltung mutwillig abgerissen wurden, dann sei dies eine Mahnung: Was wir uns im Großen nicht vorstellen könnten, "kann ganz im Kleinen wieder beginnen", sagt Wolf. Tassilo Huber und Lauritz Deindl, Neuntklässler der Montessorischule Biberkor, ziehen eine andere Parallele. Sie stellen den "rasenden Reporter" Egon Erwin Kisch vor und fragen sich, welche Stätten er heute aufsuchen würde: Lampedusa, Syrien und den Gaza-Streifen. Und Kristin Galloth, Luca Rexygel und Moritz Wohlfahrt von der Waldorfschule Wolfratshausen berichten von den Exilanten Erika und Klaus Mann und vom heutigen Flüchtlingselend: 25 000 Menschen seien seit 1990 auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken.

Der Wolfratshauser Kinderchor unter Leitung von Yoshihisa Kinoshita begleitet den Abend mit Liedern verfemter Künstler, wie "Leise zieht durch mein Gemüt (Heine/Mendelssohn Bartoldy) oder "Bitte der Kinder" (Brecht/Dessau). Und Maria Peschek führt mit ihrer Lesung aus dem Werk Elisabeth Castoniers vor Augen, wie aufgepeitscht die Atmosphäre gleich zu Beginn der mörderischen Nazi-Zeit war. Castonier beschreibt das Autodafé in Berlin, das sie als Zeichen der Verwandlung des Volks der Dichter und Denker in ein "Volk der Dämonen und Derwische" begreift. Die Menschenmasse konnte gar nicht genug bekommen vom Brennen der Bücher, und bei all dieser Barbarei "herrschte Feiertagsstimmung".

Der Erlös der Gedenkveranstaltung kommt dem Projekt Badehaus zugute, das eine Begegnungsstätte werden soll, in der Zeitgeschichte dokumentiert wird: die NS-Rüstungsarbeitersiedlung Föhrenwald, das Lager für jüdische Displaced Persons und der Vertriebenen-Stadtteil Waldram.

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