Füttern oder nicht?:Erdnüsse für den Eichelhäher

Carola Belloni hat in ihrem Garten in Eurasburg zehn Nistkästen, in einem brüten schon die Kohlmeisen. Nach dem Kälteeinbruch fürchtet sie um den Nachwuchs. Der Landesbund für Vogelschutz gibt keine generelle Empfehlung ab.

Von Konstantin Kaip

Carola Belloni muss nicht lange warten. Gerade noch haben die Futterhäuschen auf ihrem Eurasburger Balkon, die sie mit Erdnussstücken aus einem Trichter befüllte, im April-Schneetreiben hoffnungslos verwaist gewirkt. Nun, wo Belloni ihren Kapuzenumhang abgelegt und sich an ihrem Schreibtisch hinter der großen Fensterscheibe gesetzt hat, zeigt sie nach draußen: Erst fliegt ein prächtiger Buntspecht zielgerichtet heran und pickt beherzt in einen Block aus Schweineschmalz und getrockneten Insekten, dann flattert ein Kleiber auf das darunter angebrachte Brett und macht sich über die Reste her. Es folgen innerhalb von wenigen Minuten ein Eichelhäher, der sich Erdnüsse schnappt, mehrere Kohlmeisen, ein Rotkehlchen und ein Dompfaffmännchen, wie Belloni erklärt. Der beeindruckende Andrang dient ihr als Beweis für den Satz, den sie zuvor gesagt hat: "Die Fütterung ist bei dem Wetter überlebenswichtig."

Noch vor wenigen Tagen war es frühlingshaft warm, in Bellonis Garten am Gasteig herrschte munteres Gezwitscher, "eine einzige Balz", wie die Vogelfreundin sagt. Dass es danach ruhig wurde, sei ein Zeichen, dass bei vielen Arten die Brut schon losgegangen sei. In einem der etwa zehn Nistkasten an ihrem Haus brüteten bereits seit Längerem die Kohlmeisen, sagt Belloni und vermutet, dass es dort auch schon Jungvögel gibt. Und die brauchen Nahrung, und zwar Insekten. Im Schneetreiben seien diese aber kaum zu finden, sagt Belloni, und so verausgabten sich die Elterntiere bei der Suche - notfalls bis sie vor Erschöpfung sterben.

Füttern oder nicht?: Kraft für die kalten Tage. Carola Belloni füttert die Vögel auf ihrem Balkon mit Fett, getrockneten Insekten und Erdnüssen.

Kraft für die kalten Tage. Carola Belloni füttert die Vögel auf ihrem Balkon mit Fett, getrockneten Insekten und Erdnüssen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Im vergangenen Jahr habe sie das im Mai erlebt, erzählt die frühere Vorsitzende der Kreisgruppe des Bund Naturschutz (BN): Sie war im Urlaub gewesen, als es einen Kälteeinbruch gab, danach fand sie in einem ihrer Nistkästen fünf tote Meisenküken. Und seitdem achtet sie darauf, den Vögeln bei Kälteeinbrüchen im Frühjahr auch weiterhin genug Futter bereitzustellen: vor allem Insektennahrung und Fett. "Es ist eine prekäre Zeit", sagt Belloni und weist auf einen Dompfaff und eine Tannenmeise, die auf ihrer verschneiten Fütterung herumspringen. Dabei gehe es nicht um die Jungvögel, "sondern darum, die Erwachsenen zu stärken, damit sie Nahrung für die Jungen suchen können."

Einen unbedingten Appell zum Weiterfüttern gibt es beim Landesbund für Vogelschutz (LBV) indes nicht. Kälteeinbrüche mit Schneefall im April seien schließlich "völlig normal", sagt die Leiterin der Wolfratshauser Geschäftsstelle, Sabine Tappertzhofen. Die Vögel weiter zu füttern, sei daher auch nicht unbedingt nötig. Allerdings schade es auch nicht - wenn man den Vögeln wie Belloni hauptsächlich Fett und Insektennahrung anbiete. Schwierig werde es, wenn Elterntiere ihre Jungvögel mit Körnern füttern statt mit eiweißreichen Insekten und sie so gefährden. Ob eine Fütterung im Frühling allerdings dazu führe oder ob wirklich nur die Alttiere kräftige, darüber gebe es bei den Ornithologen unterschiedliche Meinungen, sagt die promovierte Biologin. Eine Empfehlung wolle die Kreisgruppe des LBV daher nicht aussprechen.

Vogelschützer suchen Hausbrüter

Bei den Meisen hat die Brut schon begonnen, andere Vogelarten bauen zumindest schon ihre Nester: Die Amsel in der Hecke, der Zaunkönig in der Kletterpflanze und die Spatzen unterm Dach. Vögel brüten nicht nur im Garten, sondern auch an und in den Häusern, die je nach Bauart unterschiedlichen Arten als Nistplatz dienen. Allerdings bieten Neubauten oder sanierte Häuser mit versiegelten Dächern nur noch wenig Unterschlupf, Spatzen oder Mauersegler finden dort keinen Platz.

Die Kreisgruppe des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) möchte einige dieser Vögel nun wieder verstärkt ins Bewusstsein rücken und startet deshalb das Projekt "Gebäudebrüter". Die LBV-Umweltpädagogin Karthrin Lichtenauer besucht dazu Schulen im Landkreis, hält dort Vorträge und geht mit den Schülern durch die Wohngebiete, um Nester an Gebäuden zu suchen. Hausbesitzer oder Mieter sollen sich also nicht wundern, wenn Kinder auf der Straße vor ihrem Haus stehen und unters Dach schauen: Sie suchen im Rahmen ihres Unterrichts nach Vogelnestern. Die Kreisgruppe ruft dazu auf, Vögel, die an Häusern brüten, zu melden. Wer welche entdeckt, soll das dem LBV mitteilen: per E-Mail an geschaeftsstelle@lbv-toel.de, unter Telefon 08171/27303 oder per Postkarte - mit Angabe der Vogelart, des Ortes und eines Kontakts für Nachfragen. Der LBV berät auch, wie man den Vögeln helfen kann. In der Wolfratshauser Geschäftsstelle, Bahnhofstraße 16, gibt es zudem ein Faltblatt, das über einige Arten informiert. aip

Ohnehin sei das Problem ein anderes: "Die Fütterei", sagt Tappertzhofen, könne nicht kompensieren, "dass wir ein naturnahes Artenspektrum brauchen" - also etwa wieder deutlich mehr Wildblumen für die zur Vogelaufzucht so dringend benötigten Insekten. Das sieht auch Belloni, die an ihrem Schreibtisch lange über Sünden der Landwirtschaft mit fünfmal gemähten Fettwiesen und zurückgestutzten Hecken reden kann. Aber die Journalistin, die unter anderem auch Naturfilme fürs Fernsehen drehte und heute eine Biolandwirtschaft mit Olivenhain in Spanien betreibt, berichtet auch von ihrem Wandel: Früher habe sie stets nur Arten schützen wollen, keine Einzeltiere. Aber dann sei ihr aufgefallen, dass es kaum noch Insekten gebe. Die Vögel müssten sich bei der Nahrungssuche immer mehr verausgaben. "Kommt dann noch ein Kälteeinbruch, kann eine Brut verloren gehen." Deshalb müsse man helfen, ist Belloni überzeugt. Jeder, der Vögel mag, müsse sich jedoch "die Kette bewusst machen", betont sie und appelliert an die Gartenbesitzer, weniger auf Zierpflanzen und Ordnung zu achten als auf Lebensräume für Insekten mit Sträuchern und Wildblumen. "Wir müssen mehr Dickicht zulassen."

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