Freizeit:So a Gaudi, die Floßfahrt

40 Jahre SZ Wolfratshausen

Die "Giftigen Schwammerl" waren die ersten, die zum Vergnügen mit dem Floß von Wolfratshausen nach München fuhren.

(Foto: Hartmut Pöstges)
  • Vor 40 Jahren hat die SZ eigene Lokalausgaben in den Landkreisen rund um München gestartet.
  • Aus diesem Anlass haben wir unsere Leser nach dem Lebensgefühl im Großraum gefragt. Die Ergebnisse sowie viele weitere Geschichten finden Sie im digitalen Dossier "Stadt, Land, Plus".

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Freizeitfloßfahrten der Familien Seitner und Angermeier nach München gehören zum Sommer dazu. Seit 2010 ist Wolfratshausen "Internationale Flößerstadt", aber schon vor 40 Jahren hatten die Floßfahrten eine Strahlkraft, die weit über die Landkreisgrenzen hinaus reichte. An der Flößerei selbst hat sich nichts geändert. Josef und Franz Seitner sowie Michael Angermeier bauen und steuern mit ihren Angestellten ihre Floße noch so wie ihre Urgroßväter vor mehr als 150 Jahren.

Anders sind in den vergangenen Jahrzehnten aber ihre Kunden geworden. "Früher haben wir ja nur Besoffene gefahren", sagt Michael Angermeier. Auch Josef Seitner räumt ein, dass die Fahrten vor 40 Jahren noch "mehr aufs Trinken ausgelegt waren". Der Wolfratshauser hat als Jugendlicher in den frühen 1960er-Jahren mit dem Floßfahren begonnen, genau wie der Arzbacher Angermeier. Damals hätten noch etwa 80 Leute auf einem Floß gesessen, erzählt Seitner. "Die hatten in der Regel 250 bis 300 Liter Bier dabei, und die waren dann auch weg." Die Masskrüge seien stets voll bis zum Rand gewesen, die meisten Gäste bei der Ankunft an der Thalkirchner Floßlände auch. "Da war wirklich das Saufen im Vordergrund."

Mit den "giftigen Schwammerl" auf Gaudi-Fahrt

Die Geschichte der Gaudifloßfahrten geht auf seinen Großvater Sebastian Seitner zurück. Der hatte schon 1909 erstmalig eine Vergnügungsfahrt von Wolfratshausen nach München veranstaltet, für den Verein "Die giftigen Schwammerl" aus München. Die Frauen und Männer seien mit der Isartalbahn gekommen und dann in Frack und Zylinder aufs Floß gestiegen, "wie in der Oper", sagt Seitner. Der Weitsicht seines Großvaters sei es auch zu verdanken, dass es die Floßfahrten auf der Isar heute überhaupt noch gebe, sagt der 69-Jährige. Als die Isar-Amper-Werke um 1920 ihre Kraftwerke errichteten, hätte Sebastian Seitner seine Floßrechte verkaufen und steinreich werden können, erzählt Seitner. Er habe jedoch beim Amtsgericht Wolfratshausen erstritten, dass die Wehre in Baierbrunn und Mühltal mit Floßrutschen ausgestattet werden.

In Angermeiers Heimatgemeinde Lenggries, zu Zeiten des großen Münchner Holzhungers um die Jahrhundertwende das Zentrum der Isar-Flößerei, gelang das nicht: Der Ort ist seit dem Bau des Sylvensteinspeichers und des Stausees in Tölz Mitte der 1950-er Jahre für Floße von der Landeshauptstadt abgeschnitten. "Das kann ich stolz als Enkel sagen: Geld hat ihn nicht interessiert", sagt Seitner. "Er wollte den Beruf seinen Nachkommen weitergeben."

So richtig lukrativ wurde der jedoch erst in den 1960-er Jahren - dank der Studentenverbindungen aus München, die die Floßfahrten für sich entdeckten. Zuvor waren es eher Trachtenvereine oder Veteranen, die sich die Isar hinab fahren ließen - und viele amerikanische Soldaten, die dem "bavarian beer" sehr zugetan waren und immer gut Trinkgeld gegeben haben, wie sich Seitner erinnert. Dann aber standen immer mehr Verbindungsstudenten mit ihren Kappen und Nadelstreifenanzügen an den Ablegestellen. "Mein Vater hat gesagt: Hoppla, da kann man ja richtig Geld verdienen", erinnert sich Seitner. An einem Sonntag habe er gleich neun Flöße die Isar hinab geschickt.

Die Verbindungsstudenten verfestigten auch den Brauch der Floßfahrt als Saufgelage, wie Angermeier berichtet. Das sei für die Flößer, die nüchtern bleiben mussten, durchaus lästig gewesen. Als junger Mann habe er so manchen handfesten Streit auf dem Wasser miterlebt, sagt der 66-Jährige. "Am Schluss warst du dann der Schlichter." Aber am Ende sei alles glimpflich ausgegangen.

Wie die Isar-Flößer zu Weltrum gelangten

Die Verbindungsleute machten aber auch sehr erfolgreich für Propaganda und ließen die Tradition der Floßfahrten nach dem Studium in ihren Firmen weiterleben. Endgültigen Weltruhm erlangten die Isar-Flößer mit den Olympischen Spielen 1972 in München. Das Organisationskomitee lotste ihnen die Mannschaften zahlreicher Nationen zu, berichtet Seitner. In besonderer Erinnerung sind ihm die Olympioniken der DDR "in ihren blauen Trainingsanzügen". Auf ihrer 30 Kilometer langen Fahrt von Wolfratshausen nach München habe es auf strenge Anweisung keinen einzigen Stopp gegeben: "Wir durften nirgends halten, damit keiner abhauen konnte".

Nach den Spielen boomte die Landeshauptstadt, was auf die Flößerei abstrahlte. Es kamen immer mehr Firmen, Privatgesellschaften und Touristengruppen. Die beste Zeit, schätzt Angemeier, dauerte von 1978 bis Ende der 1990er-Jahre. Die Nachfrage war groß, und die Flößer waren nun bei Betriebsausflügen immer mehr auch an den Wochentagen auf dem Fluss. Große Firmen wie Siemens hätten "fast jede Woche mit irgendeiner Abteilung eine Floßfahrt gemacht", erinnert sich Angermeier. Zudem seien die meisten im Sommer noch zuhause geblieben und nicht wie heute in ferne Länder gereist. Das Rekordjahr, an das sich Angermeier erinnert, war 1989 - mit 123 Saisontagen zwischen 1. Mai und Mitte September. "Da waren wir jeden Tag auf der Isar."

Immer mehr Paare heiraten auf dem Floß

Mit dem Klientel änderte sich aber auch das Verhalten auf den Fluss. 1976, erzählt Angermeier, habe er zum ersten Mal einen Kasten Überkinger aufs Floß getragen. Heute seien mindestens zehn Kisten alkoholfreie Getränke an Bord. Der Bierkonsum sei stark zurückgegangen. Auf ein Floß dürfen heute maximal 60 Gäste. 100 Liter reichten für sie in der Regel aus. Es gebe höchstens noch ein, zwei, die sich einen ordentlichen Rausch antrinken, sagt Seitner. "Das sind meistens die ganz Jungen." "Die Leute sind heute bewusster", stellt Angermeier fest. "Sie genießen die schöne Landschaft, die Musik und das Grillen." Für die Flößer sei es damit wesentlich angenehmer geworden.

Seitner klingt wehmütiger. Seine Mitarbeiter, sagt er, transportierten heute Freizeitleute, die etwas erleben wollen. Doch die Stimmung sei früher oft besser gewesen. "Die Leute hatten nur am Sonntag frei. Sie waren viel ausgelassener und haben sich mehr vergnügt." So sei es üblich gewesen, auf dem Floß zu tanzen. "Sie haben die Bänke auseinandergerutscht und geschuhplattelt", erinnert sich Seitner. "Des war a Gaudi."

Heute gebe es Gruppen, die statt einer Blaskapelle oder den bei den Studenten beliebten Dixieland-Combos lieber einen Discjockey mit Lautsprechern wollten. "Das ist eine ganz andere Atmosphäre." Der Flößer vermisst auch den Gesang. "Mein Großvater konnte viele Lieder, weil die Leute auf dem Floß soviel gesungen haben. Das war eben Ausdruck der Gemütlichkeit. Wenn das heute einer macht, sagen die Leute: Der spinnt oder hat einen Rausch." Stattdessen heiraten heute immer mehr Paare auf dem Floß. "Ein Trend der letzten zehn Jahre", sagt Seitner.

In einem aber sind sich die Flößer einig: dass eine Floßfahrt nach München immer noch ein besonderes, in Europa einzigartiges Erlebnis ist. Und eine Tradition, die bewahrt werden muss. Das alte Handwerk mit seinen Kenntnissen über das richtige Holz, seine Bearbeitung, und die Herstellung der Floße und Werkzeuge, das Angermeier und Seitner von ihren Vätern erlernt haben, geben sie deshalb weiter.

"Das Wissen ist in den drei Familien verankert und wird es auch bleiben", sagt Angermeier, dessen beide Söhne bei ihm Floß fahren. Bei Josef Seitner ist es der Schwiegersohn, das Familienunternehmen wird seine Tochter übernehmen, genauso wie bei seinem Cousin Franz Seitner, der das dritte Floßrecht hält. Die fünfte Generation, sagen die Flößer, stehe schon bereit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: