Forstarbeiten:Erntezeit im Wald

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Im Winter sind die Forstwirte unterwegs, ganz gleich bei welcher Temperatur. Deswegen ist es gut, dass die Motorsäge eine Heizung im Griff hat.

Christiane Funke

"Obacht!" Der Warnruf von Joachim Giovanella durchbricht die Stille. Erst wenn seine beiden Kollegen zwei Baumlängen von ihm entfernt sind, greift der Forstwirt zur Motorsäge und setzt zum letzten Fällschnitt an dem rund 40 Meter hohen Baumriesen an. Sägespäne wirbeln durch die Luft, vor denen den Waldarbeiter sein Visier und die Brille schützen.

Ein Jahrhundert ist es her, dass Bäume wie dieser in Richtung Himmel zu wachsen begannen. Jetzt, im Winter, ist es Zeit, sie zu fällen, sagt Revierleiter Ulrich Dreyer-Eberl. (Foto: Carmen Wolf)

Donnerndes Getöse von 114 Dezibel erfüllt das einsame Waldstück zwischen Neuried und Wangen, wo an diesem kalten, windstillen Vormittag zuvor nur ein gedämpftes Rauschen von Blättern und leises Rascheln im Unterholz zu hören waren. Bald neigt sich die Fichte, die sich rund 120 Jahre lang vertikal dem Sonnenlicht entgegengereckt hat, dem Waldboden zu, den eine weißsamtene, feine Schneedecke überzieht.

"Obacht!" Ein zweites Mal ertönt der Schrei des Arbeiters. Wenige Sekunden später kracht das Baumungetüm knarzend zu Boden, in eine Schneise - wie gewünscht. "Es ist auch Routine und Gefühlssache, dass man weiß, in welche Richtung der Baum fällt", erklärt Vorarbeiter Michael Veitweber.

Er ist mit Uwe Köhler, dem dritten Mann im Team, herbeigeeilt, um die Fichte von Ästen zu befreien und die Qualität des Holzes zu taxieren. Waldarbeit erfordert auch Präzision. Jeder Arbeitsschritt muss sitzen. Der Fallkerb, der Spalt, der zunächst in den Stamm gesägt wird, bestimmt die Richtung, in die der Baum stürzen wird. Er erlaubt auch einen ersten Blick in das Innere hinter der Rinde. Im Fall der Fichte kann Revierleiter Ulrich Dreyer-Eberl schnell Entwarnung geben: "Es ist kein Faulfleck erkennbar."

Andernfalls drohten unwägbare Risiken. Wäre der Baum auf einer Seite vermodert, könnte er in der falschen Richtung abreißen. Sich in Sicherheit zu bringen, kann dann schwierig werden. Veitweber und seine Kollegen kennen die Gefahr. Schließlich ist erst vor zwei Jahren ein Forstwirt im Nachbarrevier von einem Baum erschlagen worden. Schwere Unfälle? "Nein, die hatten wir noch nicht", sagt Veitweber, nur kleine Verletzungen, er habe sich schon mal den Fuß "oknackst".

Vor Schnittwunden schütze die Hose, deren Futter aus mehreren Lagen spezieller Fasern besteht. Diese blockieren den Antrieb, falls die Säge abrutscht und in die Hose schneidet. Auch die Maschinen bieten den Arbeitern mehr Sicherheit als früher, dank der Kettenbremse bleibt die Säge sofort stehen, wenn sie hochschlägt. Für Köhler sind die Zecken "das Schlimmste".

Im Sommer, wenn das Trio mit der Jugendpflege beschäftigt ist, also zum Beispiel die schlechten, jungen Bäume schneidet, wird der Forstwirt besonders von den blutsaugenden Parasiten geplagt. Vor einigen Wochen erst musste der Thüringer, der seit einem Quereinstieg kurz nach der Wende in den Revieren um München arbeitet, wegen einer Borreliose ein Antibiotikum nehmen.

Ob sie Bäume pflanzen, pflegen oder fällen, stets arbeiten die Forstwirte in gebückter Haltung. Bandscheibenvorfälle sind eine typische Berufskrankheit, auch Köhler hatte bereits einen. Veitweber erzählt von Krämpfen in den Lendenwirbeln. Bis ins Rentenalter hält so gut wie kein Waldarbeiter durch. "Die meisten hören im Alter zwischen 58 und 62 Jahren auf", erklärt Revierleiter Dreyer-Eberl. Schließlich erfordert jeder Tag Kraft und Ausdauer.

Auch an diesem Morgen ist der kleine Trupp wie stets im Winter um 7.30 Uhr schwer bepackt aufgebrochen. Sieben Kilo wiegt allein die Motorsäge, hinzu kommen Kanister, Axt, Maßband, mehrere Keile und die Kluppe, mit der der Durchmesser des Stammes gemessen wird, sowie der Wendehaken, der das Drehen der gefällten Bäume ermöglicht.

Die Männer tragen Helme mit Visier und Ohrenschutz, Schuhe mit Stahlkappen und orangefarbene Schutzkleidung, damit sie auch im Dickicht dicht stehender, nachwachsender Buchen gut zu sehen sind. Von dem kleinen Schutzwagen, in dem die Forstwirte eine kurze Brotzeit- und Mittagspause verbringen, führt der Weg über verflochtene Wurzeln vorbei an Brombeerbüschen, zarten, jungen Buchen und gewaltigen Baumriesen mit bemoosten Ästen.

In der Waldwirtschaft ist im Winter Erntezeit. Dann stehen die Bäume nicht im Saft und der gefällte Stamm trocknet schneller als im Sommer. An diesem Tag ist die Luft besonders kalt, minus sechs Grad zeigt das Thermometer. Durch Gestrüpp gelangt das Trio auf den Pfad für den Rücker, der das Holz aus dem Wald bringt, und zu der Stelle, an der etliche Fichten fallen werden. Nur in der ersten Viertelstunde, sagt Veitweber, spürt er die Kälte, die den warmen Atem zu kleinen Wölkchen kondensieren lässt.

Zum Glück hätten die Motorsägen mittlerweile Griffheizungen. Die ist nach kurzer Zeit überflüssig. Nach ein bis zwei gefällten Bäumen kommt der Vorarbeiter trotz der Minusgrade so ins Schwitzen, dass er seine Fleecejacke ausziehen muss. Drei Kubikmeter Festholz schlägt jeder Forstwirt pro Stunde. Mit der Erntemaschine, dem Harvester, sind laut Wilhelm Seerieder, Leiter des Forstbetriebs München, rund 30 Kubikmeter, also das Zehnfache, pro Stunde möglich.

Deshalb ist die Angst von Veitweber und seinen Kollegen, durch die Maschine ersetzt zu werden, nicht ganz unbegründet. Die Zahl der Forstwirte, die in den zehn Revieren um München arbeiten, ist seit 2005 von 45 auf 21 geschrumpft. "Aussterben wird der Beruf nicht", versichert Seerieder, der Schwerpunkt werde sich aber in Richtung Baumpflege und Beurteilung des Holzes verlagern.

Ob das gefällte Gut zum Bau von Musikinstrumenten oder lediglich für Latten und Pellets taugt, kann nur ein geschultes Auge beurteilen. Veitweber, Giovanella und Köhler sehen ihrem zuletzt gefällten Stamm sofort an, ob es sich um Holz der Kategorie A, B, C oder D handelt. Wegen leichter Verfärbungen kann der untere Teil des Stammes nur als B-Qualität verkauft werden. Er geht an eine Firma, in der 14 bis 20 Meter lange Balken für den Hausbau gefertigt werden.

Rund 100 Euro kostet der Festmeter Fichtenholz der Güteklasse B. Ein drei- bis viermal so hoher Preis lässt sich laut Dreyer-Eberl für Holzstämme der Kategorie A erzielen. Richtung Krone wird der Fichtenstamm immer astiger und die Qualität des Holzes schlechter, für die Fertigung von Fensterrahmen ist es aber noch gut genug. Auf dem Waldboden liegt auch noch ein Stamm mit vielen Faulflecken, er hat lediglich D-Qualität.

Seine Zukunft wird das Dasein als Europalette sein. Dass kein Baum dem anderen gleicht, das weiß Veitweber seit Kindesbeinen. Sein Vater und sein Großvater waren bereits Förster. So lag es nahe, dass er 1982 nach der Schule eine dreijährige Ausbildung zum Forstwirt machte. In einem Büro hinter dem Schreibtisch sitzen? Nein, das wäre für diesen Mann unvorstellbar. Auch wenn der Job gerade zur Erntezeit im Winter besonders hart ist: "Bei der Arbeit bist du froh, wenn du nachts dahoam bist", sagt der Vorarbeiter.

Dann legt er allerdings nicht gleich die Füße hoch. Die Motorsäge muss gereinigt und geölt werden - für den nächsten Einsatz. Mit jedem Tag rückt jetzt das Frühjahr näher, die Pflanzzeit, in der die Waldarbeiter wieder viele Buchen unter Fichten setzen werden. Das sei seine Lieblingstätigkeit, sagt Veitweber. "Das Schönste ist doch die Brotzeit", scherzt Giovanella. "Nein", korrigiert Köhler lachend, "der Feierabend".

© SZ vom 28.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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