Wiedersehen:Das schönste Geschenk von allen

Wiedersehen: Weihnacht bei der Flüchtlingsfamilie Raufi aus Afghanistan in Peretshofen. Hinten Vater Abdul Raufi und Ehefrau Narges Raufi, Vorne von links die Kinder Sana, Shieda, Oranus, Bilal und Yusuf. Foto: Harry Wolfsbauer

Weihnacht bei der Flüchtlingsfamilie Raufi aus Afghanistan in Peretshofen. Hinten Vater Abdul Raufi und Ehefrau Narges Raufi, Vorne von links die Kinder Sana, Shieda, Oranus, Bilal und Yusuf. Foto: Harry Wolfsbauer

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Abdul Raufi wird bei der Flucht aus Afghanistan von Frau und Kindern getrennt. Drei lange Jahre. Jetzt feiern alle zusammen Weihnachten.

Von Petra Schneider

Drei Schlauchboote haben die Schlepper organisiert, sie sind völlig überfüllt, es herrschen Chaos und Gedränge vor der Überfahrt aus der Türkei nach Griechenland. Abdul Raufi, seine Frau Narges und die fünf Kinder verlieren sich aus den Augen, werden getrennt.

Der Familienvater strandet auf Lesbos, seinen ältesten Sohn Bilal findet er in Ungarn. Von den anderen fehlt jede Spur. Mehr als ein Jahr lang weiß er nicht, ob seine Frau und die Kinder Shieda, Orannus, sein behinderter Sohn Yusuf und das Baby Sana noch leben. Drei Jahre waren sie insgesamt getrennt. Jetzt feiern sie zusammen Weihnachten in Peretshofen bei Dietramszell.

Ihre Geschichte ist eine Weihnachtswundergeschichte

An Heilig Abend stellt Abdul Raufi einen Christbaum in der kleinen Küche auf. Seit einer Woche sind die 28-jährige Narges und die vier Kinder nun beim Vater und ihrem Bruder Bilal in Peretshofen. Die Kleinen lächeln. Abdul und seine Frau wirken vertraut, die lange Trennung scheint sie nicht entfremdet zu haben.

Sie sprechen Dari miteinander, einen von 22 afghanischen Dialekten. Narges stellt Tee und Stollen auf den Tisch und hört zu, wie ihr Mann erzählt. Manchmal schaut der 31-Jährige seine Frau einfach nur an. Dass sie es alleine mit den vier Kindern geschafft hat, macht ihn stolz. Die Geschichte von Abdul, Narges und den fünf Kindern ist eine Weihnachtswundergeschichte.

Drei Jahre schuftet er für den Schleuser

Sie beginnt vor sechs Jahren. Abdul arbeitet beim Sicherheitsdienst der Isaf-Truppen in Kabul. Aus Sicht der radikalen Taliban ist er ein Verräter, er und seine Familie bekommen Morddrohungen. Als der Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan beschlossen wird, flüchten sie in den Iran. Sie sind illegal im Land, Abdul arbeitet schwarz in einer Porzellanfabrik. Im Iran wird ihre jüngste Tochter Sana geboren. Drei Jahre braucht Abdul, bis er das Geld für den Schleuser zusammen hat, der sie nach Deutschland bringen soll. Mehrere tausend Euro verlangt er und sagt, dass die Reise über die Türkei und Griechenland drei Tage dauere.

Im Gewirr der Flüchtlinge wird die Familie zerrissen. Abdul erhält auf Lesbos nur auf Sohn Bilal Hinweise. Ein Schleuser sagt, der damals Siebenjährige sei in ein Auffanglager nach Ungarn gebracht worden. Drei Monate lebt der Bub ganz allein in einem fremden Land, dann findet ihn der Vater. Zusammen flüchten sie weiter nach Deutschland, im September 2013 werden sie vom Erstaufnahmelager in München nach Peretshofen verlegt. Von seiner Frau und den anderen Kindern fehlt weiter jede Spur. Abdul fahndet über das Rote Kreuz und im Internet nach ihnen.

Abdul findet seine Frau über Facebook

Die Ungewissheit macht ihn krank. Er kann nicht mehr schlafen, wird depressiv. Monatelang schluckt er Tabletten. Ein iranischer Arzt aus München sagt zu ihm: "Du musst leben für deinen Sohn Bilal. Er braucht dich jetzt." Abdul sucht weiter, dann findet er Narges über Facebook. Sie war nicht in den Schlauchbooten und ist mit den Kindern von Izmir in ein Asylbewerberheim nach Ankara verlegt worden.

Dort sagt ihr eine Frau, sie solle sich bei Facebook anmelden, damit ihr Mann sie finden könne. Abdul findet sie. Wie das für ihn war, fasst er in ein Wort: "Unglaublich." Weil eine legale Ausreise aus der Türkei schwierig ist, organisiert Abdul erneut Schlepper, die er wieder teuer bezahlen muss. Diesmal steigen Narges und die Kinder in ein Schlauchboot nach Athen. Acht Monate warten sie dort auf ihre Ausreisegenehmigung.

Am 1. Dezember um 10.10 Uhr landen sie in München. Abdul holt sie am Flughafen ab, er ist nervös. "Als sie gekommen sind, war alles gut", sagt er. Am Tag zuvor ist er zur Anhörung zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach München gefahren. Endlich, nach zwei Jahren. Und in der vergangenen Woche bekommt er seinen Bescheid: Er und Bilal erhalten einen Flüchtlingsstatus, dürfen mindestens drei Jahre in Deutschland bleiben. Abdul Raufi sagt: "Unglaublich."

Abdul hofft, dass auch seine Frau und die anderen Kinder bleiben können. Wenn nicht, müssen sie in ein anderes Land, nach Italien vielleicht, Abdul weiß es nicht genau. Nur eines: "Wenn wir gehen müssen, dann zusammen."

Warum die muslimische Familie einen Christbaum aufstellt

In ihre Heimat zurück können sie nicht mehr. "Da haben wir Angst." In Afghanistan herrsche seit 40 Jahren Krieg. "Das ist nicht besser geworden, sondern immer schlimmer", sagt er. Es gebe keine Schulen, keine Arbeit, keine Zukunft für seine Kinder. Narges und die Töchter waren noch nie in einer Schule. "Die Taliban haben das verboten", sagt Abdul. Aber er will, dass seine Töchter in die Schule gehen.

Nach den Weihnachtsferien werden die elfjährige Shieda und die achtjährige Orannus in die erste Klasse der Dietramszeller Grundschule gehen. Der fünfjährige Yusuf, dessen Kopf sehr groß ist, muss erst von Ärzten untersucht werden, sagt Abdul. Das Baby Sana ist inzwischen vier und soll in den Kindergarten gehen.

Die Schuldirektorin habe ihn bei der Anmeldung gefragt, ob Shieda und Orannus beim Sport- und Schwimmunterricht mitmachen dürfen. Für Abdul ist das selbstverständlich. Er will, dass sie ein neues Leben anfangen und möglichst schnell die Sprache lernen. So wie Bilal, der nach zwei Jahren in Peretshofen fließend Deutsch spricht und in die vierte Klasse geht. "Er hat viele afghanische Wörter vergessen", sagt Abdul.

1594 Asylsuchende

leben derzeit im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, wie die aktuellen Zahlen aus dem Landratsamt belegen. Die Flüchtlinge sind auf insgesamt 139 Liegenschaften in 20 Städten und Gemeinden verteilt. Aktuell werden dem Landkreis wöchentlich 57 weitere Asylbewerber zugewiesen, die es unterzubringen gilt. Die derzeit 1594 Flüchtlinge stammen aus 29 Nationen, den größten Anteil machen Menschen aus, die aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland flohen, gefolgt von Asylsuchenden aus Eritrea.

JedenTag fährt er sieben Kilometer mit dem Rad zur Arbeit

Seit eineinhalb Jahren arbeitet Abdul in der "Klosterschänke". Er hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag und ist froh, dass nun nicht mehr das Landratsamt die Miete für ihn zahlen muss. Jeden Tag fährt er die sieben Kilometer zur Klosterschänke mit dem Rad. Seine Kollegen seien nett und die Leute vom Verein Miteinander-Füreinander hätten ihn immer unterstützt; einen Rechtsanwalt organisiert, mit ihm Deutsch gelernt, ihn zum Einkaufen oder zum Arzt gefahren. "Und natürlich Oma und Opa, die sich kümmern", sagt Abdul.

Oma und Opa, das sind Walter und Elvira Burger, die in ihrem Haus zehn Flüchtlinge aufgenommen haben. Zurzeit leben außer den Raufis noch drei Syrer dort. Vorige Woche ist Walter Burger abends nach Waldkraiburg gefahren und hat Narges und die vier Kinder in einer Flüchtlingsunterkunft abgeholt.

"Wir leben hier, wir feiern Weihnachten"

Aus unerfindlichen Gründen wurden sie nach ihrer Registrierung in München nicht nach Peretshofen, sondern nach Waldkraiburg gebracht. Burger hat mit dem Landratsamt gesprochen und das geklärt. Den Kindern bringt er Fahrradfahren bei. In einem abgelegen Ort wie Peretshofen ist das wichtig.

An Heiligabend stellt Abdul, der Moslem, also einen Christbaum für seine Familie auf. Yusuf und Maria, Koran und Bibel, die Botschaft sei doch die gleiche. "Wir leben hier, wir feiern Weihnachten", sagt er. Auch einen Weihnachtswunsch hat er, einen einzigen: "Dass wir alle zusammen bleiben können."

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