Feuerwehr-Übung:Krankenhaus brennt, neun Vermisste

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Vom Balkon retten die Tölzer Feuerwehrleute zwei Frauen bei der Übung an der Schlemmer-Klinik im Kurviertel. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Ein dramatisches Szenario haben sich die Tölzer Brandretter für eine Übung an der Schlemmer-Klinik ausgedacht. Vor zwei Wochen ist aus so einer Probe Ernst geworden.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Zwei Frauen stehen auf dem Mini-Balkon und schreien laut um Hilfe. Hinter ihnen quillt durchsichtiger Rauch aus der offenen Tür, der auch unten vor den Fenstern der zweiten Etage im Nebengebäude der Schlemmer-Klinik herumwabert. "Hilfe", immer wieder "Hilfe" rufen sie in die Nacht. Es sähe wirklich so aus, als wäre am Donnerstagabend ein Feuer in dem psychosomatischen Krankenhaus im Kurviertel ausgebrochen, gäbe es unter den Zuschauern nicht einige Spaßvögel: "Lauter! Wir hören nichts." Alles ist nur eine Übung der Tölzer Feuerwehr, die schnell mit 30 Einsatzkräften und fünf Fahrzeugen unter Blaulicht und mit Sirenengeheul anrückt. An der Schlemmer-Klinik haben sie noch nie trainiert. Ziel sei es, das Gebäude und die Örtlichkeiten des Komplexes kennenzulernen, sagt Kommandant Wolfgang Stahl.

Vor zwei Wochen war aus der obligatorischen Übung am Donnerstag rasch Ernst geworden. Die Feuerwehrleute hatten sich abends fürs Proben eines Gashochdruck-Einsatzes in ihre Montur geworfen, als der Alarm losging. Aus einem Wohn- und Geschäftshaus an der Salzstraße im Stadtzentrum schlugen meterhoch Flammen, eine Frau erlitt schwere Verbrennungen, andere Hausbewohner mussten vorsorglich ins Krankenhaus gebracht werden. Nur 20 Minuten brauchte die Feuerwehr, um die Flammen zu löschen. Es sei ein Glück gewesen, dass seine Leute schon vorbereitet waren, "so konnten wir schnell da sein", sagt Stahl.

Auch an der Schlemmer-Klinik dauert es nur wenige Minuten, bis die Fahrzeuge durch die schmale Stefanie-von-Strechine-Straße heranrollen und die Nachbarhäuser sekundenkurz in blaues Licht hüllen. Es sei das erste Mal, dass hier solch eine Übung stattfinde, sagt Maximilian Kastner von der Unternehmenskommunikation der CIP-Gruppe, die das Haus in Tölz betreibt. Damit die 126 Patienten nicht vor Schreck aus ihren Betten fallen, wenn das Martinshorn plötzlich die nächtliche Stille durchbricht, wurden sie schon eine Woche zuvor und am Donnerstag dann noch mehrmals informiert. Einige von ihnen sitzen denn auch ungerührt im erleuchteten Foyer und heben kaum den Blick von den Zeitschriften, während die Feuerwehr draußen ihre langen Schläuche ausrollt und das Einsatzfahrzeug mit der Drehleiter rückwärts in Position bringt. Auch in der Klinik kann unvermutet ein Feuer ausbrechen, das zeigte sich erst vor einigen Wochen. Damals gab es tatsächlich Alarm, weil im Zimmer einer Patientin ein Batterie-Pack explodierte. Sie habe das in Flammen stehende Gerät geistesgewärtig auf den Balkon geschleppt, erzählt Björn Schultz, kaufmännischer Leiter der Schlemmer-Klinik. "Wenn sie nicht so gut reagiert hätte, dann hätte das Zimmer durchaus ausbrennen können."

Brand im Krankenhaus, zwei bis drei Etagen, die verraucht sind, und neun Personen, die vermisst werden: Das ist das Szenario für die Feuerwehrleute. Die Drehleiter dreht sich um 180 Grad und fährt langsam zwischen Mini-Balkon und Dach des Nebengebäudes. Zwei Brandbekämpfer klappen eine kleine Treppe aus dem Rettungskorb aus, steigen hinab und helfen den beiden Frauen hinauf, ehe sie selbst durch die Tür im Rauch verschwinden. Unten eilen sechs Atemschutzträger in ihrer schweren Ausrüstung durch den Eingang und das Treppenhaus hinauf. Zwei ihrer Kollegen kommen aus dem Gebäude, sie haben junge Frauen an ihrem Arm und lächeln ein wenig verschmitzt - wodurch sie beinahe wie Galane aussehen, die eine Dame auf die Tanzfläche eines Balls führen. Die beiden Geretteten vom Balkon sitzen inzwischen etwas abseits an einem Tisch und bekommen Decken gegen die Kälte umgehängt. Alles läuft schnell, aber ohne Hektik, mit sicheren Handgriffen ab. Nach knapp 20 Minuten ist die Übung vorbei.

Der Rauch am Nebengebäude ist verschwunden. Das war nur eine Art Disco-Nebel, aber Christine Schultz hat es gereicht. Die Klinik-Angestellte hatte sich freiwillig für die Opferrolle auf dem Balkon gemeldet. "Das war beeindruckend", sagt sie. Durch den Qualm habe sie nichts gesehen, "es war unheimlich schwer, sich zu orientieren". Langsam habe sie auch das Zeitgefühl verloren. Als die Feuerwehrleute zu ihnen kamen, sei das sehr erleichternd gewesen. "Sie haben beruhigend mit uns gesprochen, und ich merkte, wie ich ruhiger wurde." Allerdings fragte sich Schulz, wie sie in den Rettungskorb gelangen sollte, der über dem Balkon schwebte. Aber dafür gab es ja die kleine Treppe.

Die Schlemmer-Klinik liegt in einem stillen Winkel des Kurviertels, eine Zufahrt gibt es lediglich über die schmale Strechine-Straße. Ein Problem für die Feuerwehr? Nein, erwidert Kommandant Stahl. "Am schlimmsten ist die Anfahrt in der Altstadt." Vor der Klinik sei die Straße hingegen breit genug, damit die 2,50 Meter breiten Einsatzfahrzeuge hindurchkommen. Außerdem passe das Personal des Krankenhauses immer auf, dass der Weg frei bleibe und auch nicht von Kurzzeitparkern verstellt werde. "Das ist vorbildlich", lobt der Kommandant. Nach der Übung ist vor der Übung, sagt Kliniksprecher Kastner. "Für die nächste Zukunft ist etwas für die Mitarbeiter geplant."

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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