Erfolgreiche Renaturierung:Im Regenwald an der Isar

Erfolgreiche Renaturierung: Anton Hofreiter (links), Grünen-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, erklärt die Vielfalt der Lebensräume an der Isar.

Anton Hofreiter (links), Grünen-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, erklärt die Vielfalt der Lebensräume an der Isar.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Bei der Wanderung am Fluss erklärt Anton Hofreiter die Lebensräume in der Aue und weist auf die immense Bedeutung der Artenvielfalt hin

Von Ingrid Hügenell, Schäftlarn/Icking

Es ist eine Exkursion für Leute, die den direkten Kontakt mit der Natur schätzen, in Form von Schlamm, knietiefem Wasser, das es zu durchwaten gilt, oder kratzenden Wacholderbüschen, die in den Weg hängen. Seit 20 Jahren findet diese Exkursion im Frühsommer statt, entlang der Isar, von der Schäftlarner Isarbrücke bis zum Ickinger Wehr. Allerdings ist es nicht immer so feucht wie an diesem Samstag, als sich 20 Teilnehmer auf den Weg machen um zu sehen, wie sich die Flusslandschaft der Isar verändert hat. Vor 20 Jahren wurde der Fluss unterhalb des Wehrs renaturiert: Die Seitenverbauungen wurden entfernt, das Wasser kann seither frei fließen, es kann Ufer auswaschen und abreißen, Bäume entwurzeln und Kiesbänke aufschütten.

Seit 20 Jahren ist auch Anton Hofreiter dabei, damals Sprecher des Grünen-Kreisverbandes München-Land, heute Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag. Der Abgeordnete hat einen Doktortitel in Biologie, und wie er so durchs Unterholz pflügt, ist der Botaniker ganz in seinem Element. Immer wieder bleibt er stehen, um auf ein Knabenkraut hinzuweisen, eine heimische Orchideenart oder um ein Blatt des Ferkelkrauts abzureißen und herumzureichen. Es riecht wie frisch gekochte Kartoffeln. Gleich daneben wächst Zypressenwolfsmilch. Mache dieser Pflanzen haben keine Blüten ausgebildet, nur lange Triebe - die seien von einem Pilz befallen. "Der Pilz hat die Pflanze komplett übernommen und sie in seine Dienste gestellt", erklärt Hofreiter, nun ganz Biologe. Statt eigener Samen verbreite sie nun die Sporen des Pilzes. Doch bei dieser Wanderung geht es um viel mehr als um spannende Biologen-Geschichten. Es geht auch darum zu zeigen, welch immense Bedeutung die Artenvielfalt für das Überleben der Menschheit hat und dass Renaturierungsmaßnahmen einen großen Beitrag zur Artenvielfalt leisten können.

"Viele meinen, die Bewahrung der Artenvielfalt ist eine ethische Aufgabe", sagt Hofreiter nach der Exkursion. Das greife aber zu kurz. Denn der Mensch sei auf funktionierende Ökosysteme essenziell angewiesen - um sauberes Trinkwasser zu haben oder um Landwirtschaft betreiben zu können. "Die Artenvielfalt ist wie ein Netz, das uns Menschen hält. Jede Art ist ein Knoten in diesem Netz, und mit jeder Art, die ausstirbt, wird ein Knoten herausgeschnitten und das Netz wird schwächer" erklärt er. Natürlich sei es um jede einzelne Art schade, die ausstirbt. Doch derzeit gebe es einen massiven Artentod, ausgelöst durch den massiven Einsatz von Agrargiften wie Glyphosat und Neoniktotinoiden in der Landwirtschaft: "30 Prozent der Tier- und Pflanzenarten in Deutschland sind bedroht - da wird es auch für uns bedrohlich." Susanna Tausendfreund, Pullacher Bürgermeisterin der Grünen, fasst es so zusammen: "Artenschutz ist Menschenschutz."

Die Renaturierung der Isar zwischen dem Ickinger Wehr und Baierbrunn ist für Hofreiter ein Beispiel, dass man auch etwas Positives bewirken kann. "Das ist einfach schön zu sehen - relativ wilde Natur ein paar Kilometer südlich von München." Denn es sind in den 20 Jahren viele Biotop-Typen entstanden, und in jedem dieser Lebensräume gibt es andere Tier- und Pflanzenarten. Der Auwald, der an diesem warmen, feuchten Tag tatsächlich einem Regenwald gleicht, ist ebenfalls ein Wald mit großer Biodiversität. Hofreiter nennt solche Gebiete "Inseln der Artenvielfalt". Sie seien besonders wichtig, um die Ökosysteme insgesamt zu stabilisieren.

Unterwegs hat Hofreiter an vielen Stellen erklärt, wie die Vielfalt entsteht: Abgestorbene Bäume, die im Fluss liegen, bieten jungen Fischen und Insektenlarven Schutz vor Fressfeinden. Die neu aufgeschütteten Kiesbänke sind Lebensraum für Blumen, die auf solche Rohböden angewiesen sind, und wichtige Brutstätten für Vögel. An die Kiesbänke schließen sich Auen mit Weiden an, es folgen solche mit Eichen, Ulmen und Ahornen - Weichholz- und Hartholz-Auen nennt der Botaniker sie. Jede Pflanzenart ist ein Lebensraum für andere Tiere.

Totholz im Wald wird von Pilzen und Insektenlarven als Nahrung aufgenommen, die wiederum Vögel wie Spechte ernähren. Die kleinen Bäche im Auwald nennt Hofreiter "Biotope von unschätzbarem Wert". Dazwischen liegen mitten im Auwald Trockenstandorte, auf denen Schneeheide und Thymian ebenso gedeihen wie die Zypressenwolfsmilch, die Knabenkräuter und der Wacholder. Diese Lebensgemeinschaften sind auf Streifen aus grobem Kies entstanden, die die Isar vor Hunderten von Jahren hinterlassen hat.

Mit dem Bau des Wasserkraftwerks Mühltal in den 1920er Jahren wurde die Isar in ein enges Korsett gezwängt, der Kanal wurde abgezweigt. An den Hängen stand nur noch Wald mit vielen Fichten, der Auwald verschwand, neue Kiesbänke konnten nicht mehr entstehen. Der Fluss grub sich immer tiefer in den Boden. Vor 20 Jahren wurde die Isar wieder befreit, als die wasserrechtliche Genehmigung für das Kraftwerk mit dem Stromerzeuger neu verhandelt wurde. Nun entwickelt sie sich wieder zum Wildfluss. Die Gewässerdynamik hat Gerd Zattler von den Schäftlarner Grünen genau im Blick: "Der Fluss ist drei- bis viermal so breit wie zuvor", sagt er, "jedes Jahr sieht es hier anders aus."

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