"Eine Oase der Entschleunigung":Springerle statt Playstation

"Eine Oase der Entschleunigung": Elisabeth Hinterstocker bietet Kindern in der museumspädagogischen Werkstatt des Stadtmuseums das Kerzengießen und Kerzenziehen an.

Elisabeth Hinterstocker bietet Kindern in der museumspädagogischen Werkstatt des Stadtmuseums das Kerzengießen und Kerzenziehen an.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Tölzer Museumsleiterin Elisabeth Hinterstocker backt in der Vorweihnachtszeit mit Kindern Plätzchen und erklärt ihnen Traditionen

Interview Von Stephanie Schwaderer, Bad Tölz

Elisabeth Hinterstocker ist Kunsthistorikern, Theologin und gelernte Restauratorin. Seit fünf Jahren leitet sie das Tölzer Stadtmuseum, wo sie derzeit nebenbei noch ganz andere Talente an den Tag legt: als Wachszieherin und Lebzelterin zum Beispiel und notfalls auch als Witze-Erzählerin. Dreimal die Woche bietet sie in der neuen museumspädagogischen Werkstatt ein Advents-Programm für Kinder und Jugendliche an, das den Wert von traditionellem Handwerk und Brauchtum vermitteln soll.

SZ: Sie backen mit Kindern Springerle, die wohl aufwendigsten Plätzchen überhaupt. Wo haben Sie das gelernt?

Elisabeth Hinterstocker: Ich bin in einem Mehrgenerationenhaushalt in Valley aufgewachsen. Springerle habe ich schon als Kind mit meiner Oma gebacken. Das Rezept könnte von meinem Großvater stammen: Er hat eine Ausbildung zum Konditor in Tölz gemacht.

Was ist das Geheimnis, damit sie gelingen?

Geduld. Das beginnt damit, dass man die Eischaummasse wirklich eine ganze Viertelstunde lang schlägt. Und wenn die Springerle geformt sind, muss man sie 24 Stunden ruhen lassen. Beim Backen darf der Ofen nicht zu heiß werden, man muss ihn immer wieder herunterkühlen.

Wie geht das mit einem Nachmittagkurs zusammen?

Das Backen übernehme ich, die Plätzchen können dann zwei Tage später abgeholt werden. Mir geht es darum, dass die Kinder für ein paar Stunden zur Ruhe kommen, weg von Reizüberflutung, Konsum und Leistungsdruck. Die Atmosphäre in unserer Werkstatt ist heimelig. Die Gewürze bringen einen Hauch von Orient hinein. Viele Kinder haben noch nie zuvor Anis gegessen, die naschen gleich vom Blech.

Welche handwerkliche Tradition steckt in dem Gebäck?

Früher hat man die Modeln mit Wachs und Öl geglättet, damit sich danach der Teig wieder löste. Dieselben Formen wurden auch zum Wachsziehen hergenommen. Süßbäcker, die sogenannten Lebzelter, und Wachszieher hingen eng zusammen. Beide bezogen bei den Zeidlern, also den Imkern, ihre Grundprodukte: Wachs und Honig. Während meines Studiums hatte ich die Gelegenheit, eine komplette historische Wachszieherei zu erwerben. Mit diesen Formen arbeiten wir. Allerdings habe ich mir Abgüsse gemacht, so dass Teig und Wachs bei uns sauber getrennt werden.

Sie verstehen die Werkstatt als "Oase der Entschleunigung". Lassen sich Kinder und Jugendliche sofort darauf ein?

Das ist recht unterschiedlich. Unser Angebot richtet sich ja auch an Touristen, die in Ruhe über den Weihnachtsmarkt bummeln möchten. Zuletzt hatten wir plötzlich vier Kinder in der Werkstatt sitzen, die pitschnass und entsprechend quengelig waren. Zugleich war aber auch ein Mädchen aus dem Reha-Zentrum Gaißach da, das eine solche Freude an der Arbeit hatte, dass sie alle damit angesteckt hat. Am Ende waren alle entspannt. Ansonsten lese ich, wenn die Aufmerksamkeit schwindet, eine Adventsgeschichte vor. Oder erzähle einen Witz.

Welches Wissen wollen Sie vermitteln?

Ich versuche, deutlich zu machen, was ein typisches Weihnachten im Isarwinkel ausmacht. In einigen Familien gibt es ja bis heute noch Paradeisl, die Vorläufer des Adventskranzes: Vier Äpfel mit Kerzen werden durch Stäbchen zu einem Tetraeder verbunden. Das soll nicht etwa einen Christbaum symbolisieren - der kam ja erst viel später in Mode. Das Paradeisl vereint vielmehr die göttliche Zahl drei mit der weltlichen Zahl vier. Diese Erklärung ist etwas sophisticated, aber man kann mit Kindern Paradeisl nachbauen. Oder einen Adventskranz binden und darüber sprechen, warum ein viereckiger Kranz vielleicht todschick ist, aber vom Symbolgehalt völlig falsch.

Warum ist er das?

Weil der Kranz die Unendlichkeit symbolisiert. Ebenso wie Kreis- und Ringmuster. Das Leben im Glauben ist unendlich.

Sie sind mit einem runden Adventskranz groß geworden?

Als ich klein war, kam noch die alte Mesnerin zu uns in die Küche zum Adventskranzbinden. Die Zweige, die übrig blieben, haben wir hinter die Bilder der Verstorbenen gesteckt. Das war immer die erste Adventsdeko. Von meinen Eltern habe ich gelernt, dass man nicht viel Geld braucht, um Kindern ein schönes Leben zu machen. Wir haben nie große Reisen unternommen. Das Jahr war dadurch abwechslungsreich, dass wir in den kirchlichen Jahreszeiten gelebt haben. An Ostern wurde gefastet, und im Advent brannte jeden Sonntag eine weitere Kerze. Und wenn der Nikolaus kam, hat er uns Nüsse und Orangen gebracht. Keine Playstation.

Die Werkstatt hat bis Weihnachten jeweils am Mittwoch-, Donnerstag- und Samstagnachmittag geöffnet, Stadtmuseum Bad Tölz, Infos zum Programm unter www.bad-toelz.de, Anmeldung unter Tel. 08041/793 51 57

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