Integration:Vom Krieg in Syrien in die Reichersbeurer Schreinerei

Schreinerei Höß

Der Reichersbeurer Schreinermeister Max Höss ist sehr zufrieden mit seinem neuen Mitarbeiter: Der 22-jährige Ali Mohammad Qouja floh 2014 aus Syrien.

(Foto: Manfred Neubauer)

Ali Mohammad Qouja bekommt als einer der ersten Syrer im Kreis eine Stelle. Ein Besuch.

Von Klaus Schieder, Reichersbeuern

So recht wohl scheint sich Ali Mohammad Qouja in seiner Haut nicht zu fühlen. Vermutlich wäre der junge Mann lieber in der Schreinerei von Max Höss in Reichersbeuern und fertigte in der Werkstatt ein Fenster an, als im Besprechungsraum des Jobcenters auf der Tölzer Flinthöhe zu sitzen und Fragen in einer noch fremden Sprache zu beantworten. Das bewältigt der 22 Jahre alte Syrer aber ruhig und konzentriert. Als alles vorüber ist, steht ihm die Erleichterung dennoch ins Gesicht geschrieben. Seit Mitte Januar ist er bei Höss als Schreinerhelfer angestellt, und sein Chef ist mit ihm hochzufrieden. "Geschick, Gespür, rationelles Arbeiten, das ist alles da", lobt Max Höss. Für Andreas Baumann, den Leiter des Jobcenters, ist die Geschichte von Qouja ein Paradebeispiel dafür, "wie man sich schnell hier integrieren kann".

2014, nach Monaten auf der Flucht vor dem Krieg in seinem Heimatland, kam der 22-Jährige über Rumänien und Bulgarien nach Bad Tölz, wo er mit seinem kleinen Bruder und Verwandten in der General-Patton-Siedlung lebt. Die Eltern blieben zurück in Syrien. Qouja arbeitete dort bereits als Schreiner. "Ich habe sehr lange gelernt", sagt er.

Für den jungen Syrer ist klar: Er will arbeiten

In Tölz musste er zunächst einmal Deutsch büffeln. Sechs Monate saß er voriges Jahr im Deutschkurs, absolvierte den Integrationskurs. Danach gab es für ihn nur eines: "Ich will arbeiten." Als anerkannter Flüchtling hatte er die Erlaubnis dazu, im Jobcenter half ihm Vermittler Michael Klingseisen. Dem machte er gleich klar, dass er nicht in Ausbildungskursen sitzen wollte. "Er sagte mir ganz direkt, ich möchte arbeiten", erzählt Klingseisen. Der Vermittler hatte eine Liste von ortsansässigen Schreinereien, zugleich schickte er Qouja, der keinerlei Papiere hatte, in ein Bewerbungscoaching. Am 11. Januar war es soweit: Der junge Syrer erhielt zunächst ein Praktikum für zwei Wochen, danach wurde er als Schreinereihelfer angestellt.

Max Höss hatte die zweiseitige Bewerbung im Advent bekommen. Weil seine Auftragslage erfreulich und kurz vor Weihnachten in seinem Betrieb mit zwei Gesellen und seiner Frau als Bürokraft viel zu tun war, beschäftigte er sich erst ein paar Tage vor Weihnachten damit. "Meine Frau hat gesagt, du musst Mohammad jetzt sagen: Ja oder Nein." Also lud er ihn ein.

Der junge Syrer kam auch gleich. Nach einem Rundgang durch den Betrieb habe Qouja sofort gesagt, "ich komme morgen, ich mache alles". Das ging Höss dann doch zu schnell, er bat sich Bedenkzeit aus. "Ich habe eine Nacht darüber geschlafen, dann wusste ich schon, ich probiere es."

Der Meister sieht gleich: Qouja hat Geschick

Der Beginn einer Erfolgsstory. In der Werkstatt, wo Fenster und Türen vor allem für denkmalgeschützte Gebäude gefertigt werden, verleimte der 22-Jährige anfangs Fensterflügel, bearbeitete Glasleisten und Sprossen. Nicht lange, da baute er schon selbstständig eine Glasscheibe in eine Tür ein. Max Höss erkannte rasch, dass er einen guten Griff getan hatte. "Man sieht am ersten Tag, ob jemand willig ist und Geschick hat." Qouja hat beide Eigenschaften. Besonders gefiel seinem Chef, dass der junge Syrer in den Pausen des Arbeitsprozesses nicht herumstand, sondern zum Beispiel die Werkstatt putzte.

Das Deutsch des 22-Jährigen ist ordentlich, wenngleich nicht perfekt. Ja, sagt er, die Sprache müsse er noch verbessern, "aber jetzt brauche ich Arbeit". Wenn es mit der Verständigung mal Probleme gibt, spielt dies im Handwerk keine übermächtige Rolle. "Da kann man etwas vormachen, das wird nachgemacht und geübt", sagt Höss.

Die Fachwörter für Werkzeuge oder auch Holzarten muss Qouja aber dennoch lernen, auch die Maschinen sind andere als in seiner Heimat. Aber auch ein deutscher Lehrling müsse den Betrieb ja erst einmal kennen lernen, sagt der Schreinermeister. Die Sicherheitsvorschriften hat er dem Flüchtling mit Postern vor jeder Maschine erklärt. Deutschkenntnisse seien zwar durchaus wichtig, sagt er. Noch entscheidender ist für ihn jedoch, dass jemand Eigeninitiative zeigt und mitdenkt. Wie eben Ali Mohammad Qouja.

Wegen Fachkräftemangels hat Höss den neuen Mitarbeiter nicht eingestellt. Er hat eher das Problem, dass seine Gesellen und Lehrlinge - einer von ihnen erhielt den Preis "Die gute Form" - sich schnell selbstständig machen oder in größere Betriebe wechseln. "Es ist die Erfahrung, dass sie nicht bleiben." Einen Rodeo-Ritt auf dem Amtsschimmel musste er im Übrigen nicht hinlegen, um es mit dem talentierten Schreiner aus Syrien zu versuchen. "Das mit den Behörden ist schnell gegangen." Etwa 200 Asylberechtigte, die einen Arbeitsplatz suchen, hat das Jobcenter in Tölz derzeit in seinen Computern. Diese Zahl dürfte sich heuer um einiges erhöhen.

Unternehmer sollen offen und geduldig sein

Ob Qouja mit seinem starken Willen eine erfreuliche Ausnahmeerscheinung bleibt? Klingseisen glaubt dies nicht. "Ich bin sicher, dass es noch mehr geben wird", betont der Vermittler. Ein großer Teil der Schutzsuchenden sei "sehr motiviert". Unternehmern rät er dazu, offen und geduldig zu sein, weil die Flüchtlinge nun mal aus einem anderen Kulturkreis kommen. Aber: "Der eine oder andere bringt Potenzial mit, und wenn man so jemanden hat, kann man als Arbeitgeber nur gewinnen."

Mit seinem Job in Reichersbeuern, wo er derzeit etwas mehr als den Mindestlohn verdient, ist der Syrer glücklich. "Meine Arbeit ist gut, mein Chef hilft mir - alles gut." Anderen Flüchtlingen empfiehlt er, erst einmal Deutsch zu lernen, dann aber auch Wünsche zu haben, sich ein Ziel zu setzen und sich möglichst gut in die hiesige Gesellschaft zu integrieren. Als er schon alle Fragen beantwortet hat, fügt sein Arbeitgeber noch nachdenklich etwas zu seinen Motiven hinzu, ihn einzustellen. "Wenn ich als Vater denke, dass mein Sohn mit 22 Jahren auf der Flucht ist, dann bin ich auch froh zu wissen, dass er wo unterkommt", sagt Max Höss.

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