Ehrgeizige Pläne:"Kultur gehört zur Marke Geretsried"

Kunst ist kein Luxus. Und Kultur spielt sich nicht nur im Festzelt ab. Deshalb wollen Bürgermeister Michael Müller und Anita Zwicknagl ein paar grundlegende Dinge auf den Weg bringen

Interview von Stephanie Schwaderer und Felicitas Amler

Wenn Sie frei fantasieren: Welches Kunstwerk würden Sie gern im Geretsrieder Stadtzentrum sehen: eine Nana von Niki de Saint Phalle, einen in Stein gemeißelten Karl Lederer oder ein von Christo verhülltes Rathaus?

Anita Zwicknagl: Als Frau müsste ich jetzt Niki de Saint Phalle nennen. Karl Lederer ist sicher würdig, dass man ihn darstellt. Das verhüllte Rathaus würde ich nicht wollen, weil das Gebäude ja historische Authentizität hat. Ich würde sagen, Geretsried verträgt alle möglichen Skulpturen, von konservativ bis topmodern. Aber ein Bezug zur Stadt wäre nicht schlecht.

Michael Müller: Ich hätte das à la Christo eingepackte Rathaus vorgezogen. Ich bin damals als Student extra nach Berlin gefahren, um mir den Reichstag anzuschauen. Ich fand das unglaublich klasse.

Herr Müller, Sie hatten ein ausgearbeitetes Wahlprogramm. Ein Kapitel Kultur gab es nicht. Jetzt haben Sie angekündigt, ein Kultur-Gesamtkonzept vorzustellen. Hatten Sie ein Erweckungserlebnis?

Müller : Nein, das gehört zur Marke Geretsried. Wir können uns nicht über eine jahrhundertelange Geschichte identifizieren, auch nicht dauerhaft über Krieg und Vertreibung. Die Frage ist: Was ist denn eigentlich die große Leistung Geretsrieds? Das ist Wiederaufbau im Sinne des Nachkriegsdeutschlands, aber auch Aufbau im Sinne der neuen Stadt. Und wie kann sich diese Stadt nun identifizieren und Identifikationspunkte schaffen? Dazu gehört für mich die Kultur.

Gab es ein Erlebnis, das Sie auf diese Idee gebracht hat?

Müller: Eigentlich die städtebauliche Auseinandersetzung. Und: Ich bin ins Amt gekommen und hatte sofort mit dem Kulturherbst zu tun. Nun frage ich mich, wie kann man Impulse schaffen, die auch nachhaltig sind? So begeisternd der Kulturherbst ist, aber wie kann ich, wenn ich so viel Geld ausgebe, auch etwas schaffen, was eine Nachhaltigkeit hat?

Sie haben angekündigt, dass im Kulturausschuss ein Kultur-Gesamtkonzept vorgestellt wird. Damit haben Sie den Kulturherbst-Leiter Günter Wagner beauftragt.

Müller: Jein. Es gab im Dezember ein Gespräch zwischen mir und Herrn Wagner, der mit Kulturschaffenden gesprochen hatte und einen Entwurf gebracht hat. Was jetzt vorgelegt wird, hat der Kulturausschuss selber ausgearbeitet. Kulturreferent Hans Ketelhut hat sich mit dem Ausschuss zusammengesetzt, um einen Vorschlag für ein Gesamt-Kulturkonzept zu liefern. Es gibt momentan zwei Papiere als Diskussionsgrundlage.

Und was fällt alles in dieses Konzept?

Müller: Ausgangspunkt war der Kulturherbst - die Frage, wie man ihn fördert. Ich sage: Der Kulturherbst ist nur ein Teil. Wir müssen eine Leitlinie haben: Wohin wollen wir überhaupt mit der Kulturförderung? Da reicht das, was im Stadtleitbild festgeschrieben ist, nicht. So was muss man differenzieren. Und gerade wenn man knappe Mittel zu verteilen hat, braucht man einen Entscheidungsrahmen, um zu sagen, ich fördere mehr dies oder das. Dann kann man sagen: Gemäß unserem Kulturkonzept ist uns das besonders wichtig. Also, wir brauchen eine Handlungslinie.

Eine Handlungslinie und einen Etat.

Müller: Ja, das kommt noch dazu.

Wie viel steht bisher im Haushalt für Kultur zur Verfügung?

Zwicknagl: Die besonderen Projekte sind mit 15 000 Euro im Jahr relativ knapp bemessen. Und das verteilt sich bisher auf Kultur, Sport und Soziales - da würde ich mir mehr wünschen. Man muss aber sagen, dass die Stadt immer Projekte unterstützt hat. Jede Ausstellung im "Kunstbunker" ist gefördert worden, jede Veröffentlichung des Arbeitskreises Historisches Geretsried.

Geretsried Museum Stadtmuseum

Bürgermeister Michael Müller (CSU) nennt auf die Frage nach seiner ersten Single "Nur geträumt" von Nena.

(Foto: Manfred Neubauer)

Welche Ausgaben für Kultur gibt es im Etat noch?

Zwicknagl: Die Musikschule hat einen Etat, die Partnerschaft Geretsried-Chamalières, der Verein Städtefreundschaft, die Stadtkapelle, das Stadtmuseum.

Müller: Man muss das politisch sehen. Wenn man ein Konzept hat und dazu übergeht, sagen wir ein Prozent des Haushalts für Kultur auszugeben, dann hat man einen Grundsatzbeschluss gefasst, und der ist nicht angreifbar. Allein auf meinen Vorschlag eines Skulpturenparks habe ich Zuschriften gekriegt: So ein Schmarrn, da gebt ihr's Geld aus, und die Mittelschule ist immer noch nicht gebaut. Und im Ausschuss haben zwei Stadträte unterschiedlicher Fraktionen jetzt den geplanten Ausbau des Rathausdachs zu einem Foyer und Kunstausstellungsraum kritisiert.

Wie reagieren Sie darauf?

Müller: Ich sage, mit diesem Totschlagargument, "es gibt Wichtigeres", kann ich jedes und alles in Frage stellen. Das ist ein Brachialargument, um Dinge zu verhindern. Man muss doch sehen, wie identitätsstiftend gerade die Kultur ist. Mit Kultur schaffe ich etwas. Und da argumentiere ich auch als Ökonom: Es wird vergleichsweise billig etwas geschaffen, was bleibend ist und identitätsstiftend. Jede Werbekampagne würde mehr Geld kosten.

Sie haben einen Skulpturenpark vorgeschlagen vom Stadtmuseum übers Rathaus und den Karl-Lederer-Platz bis zur evangelischen Kirche. Wie wollen Sie das angehen?

Müller: Wir stellen einen bestimmten Anteil an Haushaltsmitteln ein und sagen: Für diesen Platz hätten wir gern eine Skulptur, die mit Geretsried etwas zu tun hat. Warum? Einerseits wollen wir die Kunst fördern, andererseits das Zentrum interessant machen. Einen Museumsbesucher können wir noch auf den Skulpturenweg verweisen. Damit können wir die Stadt für Besucher interessanter machen.

Geretsried Museum Stadtmuseum

"Von Bayern 1, Volksmusik am Sonntag, bis Bayern 2, Radiospitzen", so umreißt Kulturamtsleiterin Anita Zwicknagl ihren Kulturgeschmack.

(Foto: Manfred Neubauer)

Wie ist es mit den geplanten Skulpturen-Ankäufen: Wollen Sie darüber freihändig entscheiden?

Müller: Über das Pferd von Hans Neumann mit dem Titel "Flucht" habe ich allein entschieden, so soll es aber nicht bleiben. Wenn wir einen bestimmten Anteil unseres Haushalts dafür hernehmen, solche Skulpturen anzuschaffen, dann haben wir eine feste Größe. Was dann gekauft wird, das möchte ich gar nicht selber entscheiden müssen, dazu verstehe ich zu wenig von Kunst, ich bin dann gern eine Stimme von vielen. Der Kulturausschuss kann ein Gremium einsetzen mit wie auch immer gearteter Repräsentanz. Die Entscheidung soll auf breiter Basis fallen.

Wer sind Ihre Verbündeten? Frau Zwicknagl?

Zwicknagl: Ich bin bekennende Verbündete. Ich werde als Kulturamtsleiterin alles versuchen, auch wenn es nicht so das große Geld gibt, um eine kulturelle Grundversorgung zu schaffen. Man könnte sich etwa überlegen, ob man Abo-Reihen schafft, zum Beispiel nach Gattungen: Klassik, Schauspiel/Theater, Jazz, Liedermacher - da haben wir schon das Festival -, Kabarett, Literatur, Kunst. Wir haben ja auch sehr viele gute Künstler in der Stadt, die Chöre, das Philharmonische Orchester, Professor Adt, Dozent an der Musikhochschule München, wieso soll der hier nicht auch mal ein Konzert geben. Titus Vollmer, der überregional bekannt ist, jede Woche hört man im Fernsehen tolle Filmmusik von ihm.

In welchem Raum sähen Sie all dies?

Zwicknagl: In den Kirchen, im Ratsstubensaal - den müsste man natürlich entsprechend umdekorieren . . .

Müller: . . . diesen Achtzigerjahre-Charme . . .

Zwicknagl: . . . ich denke, die Landsmänner werden es mir verzeihen, wenn man die Wappen mal herunternimmt.

Müller (lacht): Frau Zwicknagl, Sie wissen, was Sie jetzt sagen?

Zwicknagl: Ja, das muss man schon mal sagen: Das wäre eine tolle Bühne, ein Flügel ist auch da. Die Infrastruktur ist da. Wir haben auch tolle Mensen, Schulaulen, die man durch Lichtinstallationen gut herrichten kann. Daran soll es nicht scheitern. Eine gewisse kulturelle Grundversorgung muss sich eine Stadt in der Größenordnung wie Geretsried leisten könne . . .

Müller: . . . sehe ich auch so.

Zwicknagl: Man könnte sich auch Themen vornehmen: Flusslandschaft zum Beispiel, die Donau spielt ja für uns mit den Donauschwaben eine große Rolle, und das groß aufziehen, dass auch die Wirtschaft mitmacht; mal eine böhmische Woche mit böhmischen Dichtern - das muss nicht Adalbert Stifter sein -, böhmischen Komponisten. Da könnte man sich literarische Wochen und Kulturthemen ausdenken.

Wäre das Ihr Job?

Zwicknagl: Ich würde es auf jeden Fall vorschlagen und Mitstreiter suchen.

Das ist ja toll. Wer hat Sie bisher von all dem abgehalten?

Zwicknagl: Tja, wer hat mich abgehalten?

Haben Sie unter Bürgermeister Müller neue Entfaltungsmöglichkeiten?

Zwicknagl: Sagen wir mal so: andere Entfaltungsmöglichkeiten.

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