Kriegschronik der Aumühle:"Ein erbärmliches Vegetieren"

Kriegschronik der Aumühle: Auch die Sorge um die Brücken und Wehre an der Isar trieb Franz Langlotz 1945 nach Egling. Das Ickinger Wehr konnte vor der Sprengung bewahrt werden.

Auch die Sorge um die Brücken und Wehre an der Isar trieb Franz Langlotz 1945 nach Egling. Das Ickinger Wehr konnte vor der Sprengung bewahrt werden.

(Foto: Hartmut Pöstges)
  • Auf neun eng beschriebenen Schreibmaschinenseiten hat Franz Langlotz im Juni 1945 seine Erlebnisse kurz vor und nach Ende des Zweiten Weltkriegs unter der Überschrift "Kriegschronik der Aumühle" niedergeschrieben.
  • Vier Wochen verbrachte der Direktor und Geschäftsführer der Isarwerke München damals auf dem Hof von Therese Gar.
  • Langlotz berichtet von deutschen Soldaten und Offizieren, die auf ihrer Fußwanderung nach Hause bei Gar unterkamen und verpflegt wurden, "mit gebettelten oder letzten Resten ihrer Zivilkleidung, fußkrank, hautkrank vor Schweiß und Dreck".

Von Benjamin Engel

Ende April 1945, amerikanische Soldaten stehen kurz vor München: Franz Langlotz, Direktor und Geschäftsführer der Isarwerke München, notiert mit der Schreibmaschine:

"Dabei war ununterbrochen Luftalarm. Die weitere Umgebung des Umkreises von München wurde strategisch planmäßig in seinen Bahnanlagen verbombt. (. . .) Über München flogen Tag und Nacht Jagdbomber. (. . .) Unsere liebe Nachbarin in meinem Nebenhaus, schon einmal ausgebombt, wurde in ihrer mit viel Mühe mit Pappdeckelfenstern und ähnlichem zusammengestückelten Wohnung bei einem solchen Angriff verschüttet. Viele ihrer Hausbewohner waren tot - Gott und sorgfältig ausgrabende ausländische Arbeiter haben sie noch lebend, wenn auch mit Quetschungen und Lungenblutungen herausgebuddelt. (. . .) Die Herren der Regierung, die Führer - die Irreführer markierten Härte, obwohl klar war, dass sie aus Angst vor dem sich zusammenziehenden Gericht keine klare Anweisung mehr geben konnten."

Jahrelang in der Schublade gelegen

Auf neun eng beschriebenen Schreibmaschinenseiten hat Langlotz im Juni 1945 seine Erlebnisse kurz vor und nach Ende des Zweiten Weltkriegs unter der Überschrift "Kriegschronik der Aumühle" niedergeschrieben. Vier Wochen verbrachte er damals auf dem Hof von Therese Gar in der Aumühle. Dorthin war er kurz vor dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in die Landeshauptstadt geflüchtet.

Jahrelang hätten diese Aufzeichnungen in der Schublade ihres Vaters gelegen, erzählt Renate Fehenberger. Sie ist die Enkelin von Therese Gar, wurde 1952 geboren und ist in der Aumühle aufgewachsen. In den 70er Jahren hat sie von ihrem Vater eine Kopie des Kriegstagebuchs ausgehändigt bekommen Das Original ist heute verschwunden. Immer wieder habe sie die Kopien hervorgezogen, doch erst jetzt, 70 Jahre nach Kriegsende, habe sie daran gedacht, diese öffentlich zu machen, sagt Fehenberger.

Flucht des deutschen Leutnants

Langlotz fuhr am 28. April nach Aumühle, wo er bei der Familie Gar wohnen wollte. Grund war auch seine Sorge um das Kraftwerk Mühltal, das Ickinger Wehr und die Brücken über den Mühltalkanal. Überall hätten SS-Truppen Sprengladungen angebracht, schreibt er. Die Sprengung der hölzernen Bruckenfischerbrücke konnte Langlotz nicht verhindern, doch die Sprengladungen an der Kanalbrücke und dem Ickinger Wehr konnten nach der Flucht des verantwortlichen deutschen Leutnants entfernt werden.

Die "vermeintliche Ruhestätte", wie Langlotz notiert, fand er in der Aumühle nicht. Dorthin hatte sich nämlich auch eine ungarische Luftstaffel-Sanitätsabteilung geflüchtet. "Zusammen vielleicht 50 Mann und alle diesbezüglichen Frauen und Kinder." Einige Leute hatten ein Lager in der Pupplinger Au aufgeschlagen, manche lebten unter Zelten, in Lastkraftwagen oder Autos, in selbst gezimmerten Holzhütten. "Bei der einsetzenden Kälte und dem Schneefall ein erbärmliches Vegetieren", schreibt Langlotz. Dazu kamen 50 bis 60 deutsche Soldaten in Uniform.

Amerikanische Tieffliegerangriffe

Langlotz schildert amerikanische Tieffliegerangriffe, das Einschlagen amerikanischer Granaten in den umliegenden Wäldern. "Die einzige Zufluchtsstelle war ein mit Larsenspundwänden überdeckter Erdgraben im Wald, den man aber fast nie mehr erreichte und deshalb im Stall an geschützten Winkeln sich einnistete." Schließlich, schreibt Langlotz, ging ein elsässischer Weinbauer, der ebenfalls bei Therese Gar wohnte, zu den Amerikanern nach Schäftlarn, um ihnen zu sagen, dass hier "lauter ungefährliche Leute" wohnten.

Dieser Mann war laut Langlotz erst französischer und von 1940 an deutscher Soldat gewesen. Er gehörte zu einer Kompanie, welche beim Anrücken der Amerikaner die Brücken und das Ickinger Wehr sprengen sollte, sich stattdessen aber aus seiner Baracke verzog, um in der Landwirtschaft und im Sägewerk der Familie Gar zu arbeiten.

Der Weinbauer erreichte sein Ziel. Die Aumühle wurde nicht mehr beschossen. Stattdessen postierten die amerikanischen Streitkräfte auf der Kanalbrücke bei der Aumühle ein Maschinengewehr. Langlotz notiert weiter: "Ein einziger junger Soldat ging herunter und trieb die ganze Gesellschaft aus den Ställen und Höfen zusammen, ließ sie in Reihe antreten und dann over the little bridge fort mit ihnen."

"Hautkrank vor Schweiß und Dreck"

Langlotz berichtet von deutschen Soldaten und Offizieren, die auf ihrer Fußwanderung nach Hause bei Therese Gar unterkamen und verpflegt wurden, "mit gebettelten oder letzten Resten ihrer Zivilkleidung, fußkrank, hautkrank vor Schweiß und Dreck". Ganz anders die amerikanischen Soldaten, welche die Forellenbäche und die Fischzuchtanstalt der Aumühle entdeckt hatten. Sie bestellten sich etwa im Gasthaus Aumühle Fisch. "Das Schönste, dass im Wirtslokal eiskalt SS-Männer der Totenkopfstandarte in oberbayerischem Gebirgsdress saßen - diese Männer, streng gesucht von den Amerikanern (wir haben natürlich erst später davon erfahren), aßen sogar mit ihnen."

Über den Krieg wurde in der Familie Gar nie gesprochen, sagt Fehenberger. Ihre Großmutter hatte drei Söhne. Einer fiel im Zweiten Weltkrieg. Fehenbergers Vater übernahm das Sägewerk in der Aumühle, ihr Onkel das Gasthaus. In der Kindheit hat Fehenberger noch selbst im Gasthaus mitgeholfen. Sie hat ihre Großmutter, eine eher distanzierte und bestimmte Frau, sehr bewundert. "Sie war mein Vorbild." Noch heute sind das Gasthaus und das Sägewerk in Familienbesitz.

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