Ebenhausen:Cocktail mit lauter Leichen

Jahrelang jagte Josef Wilfling Mörder. Nun liest der ehemalige Leiter der Münchner Mordkommission aus seinem Buch - und sorgt für einen Hauch von Hitchcock.

Felicitas Amler

Es ist eine todernste Sache, die hier in allen - auch den blutigsten, auch den grausamsten - Facetten geschildert wird, und doch wird an diesem Abend in der Buchhandlung Isartal nicht selten geschmunzelt, gelegentlich leise gelacht. Zum Beispiel als Josef Wilfling, der bodenständige Franke mit der gemütlichen Ausstrahlung und der kerzengeraden Art, über seinen Ausgleich zum seinerzeit harten Job sagt: "Ich bin seit vierzig Jahren mit ein und derselben Frau verheiratet. Das mag langweilig sein, aber 's is' sehr beruhigend."

Ebenhausen: Ebenhausen: Der ehemalige Mordermittler Josef Wilfing liest aus seinem Buch.

Ebenhausen: Der ehemalige Mordermittler Josef Wilfing liest aus seinem Buch.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Beruhigender jedenfalls als alles, was der ehemalige Leiter der Münchner Mordkommission, die auch die spektakulären Fälle Walter Sedlmayr und Rudolph Moshammer aufgeklärt hat, sonst zum Besten gibt. Sein Buch trägt den Titel "Abgründe" sehr zu Recht. Im Laufe des Abends blicken die siebzig Zuhörer in viele gruselige, schwarze, beängstigende Tiefen.

Da ist der Mann, der zwei Menschen aus schierer Habgier bei lebendigem Leib den Kopf abgehackt hat - und im Geständnis noch zu Protokoll gibt, ob es mit einem oder zwei Axthieben gelang; die Frau, die den Mord an ihrem Mann von langer Hand und mit äußerster Raffinesse geplant hat; der psychisch schwerst kranke Student, der eine lange Spur unterschiedlicher Verbrechen durch München zieht, die am Ende in Vergewaltigung und Mord mündet. Wir hören von listig verabreichten Schlafmitteln, vergrabenen Leichenteilen, im Blutrausch Dutzende Male zustechenden Tätern...

Heimtücke, Wollust, Habgier: Es reicht einem eigentlich schon nach den ersten drei von sieben Todsünden, nach denen der Autor seine Fälle im Buch sortiert hat. Wilfling dagegen - pensioniert, aber immer noch ganz Profi - berichtet mit der Fähigkeit zur innerlichen Distanz. Ohne diese ist nach seinen Worten an eine Berufsausübung auch gar nicht zu denken. Junge Polizisten, die nach den ersten Leichenschocks die Hilfe eines Psychologen suchen? Sollen in ein anderes Ressort wechseln, meint er. Wer die Bilder nicht aus dem Kopf kriege, sei für die Mordkommission nicht geeignet.

Er selbst ist offenkundig besser im Verdrängen. Erstaunt liest man in einem Zeitungsinterview, dass Wilflings Ehefrau erst aus dem Buch, das er nach seiner Pensionierung geschrieben hat, Details seiner Arbeit erfuhr. "Jetzt weiß sie, was ich in all den Jahren wirklich gemacht habe", sagt er trocken.

"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realität", hat der kriminalistische Autor zu Beginn seiner Lesung Alfred Hitchcock zitiert. Und über die Realität erfährt der Zuhörer auch aus seinen Moderationen zwischen den eigentlichen Lese-Phasen eine ganze Menge: Dass Deutschland im EU-Vergleich "eine Insel der Glückseligen" sei (viertletzter Platz mit 1200 Tötungsdelikten pro Jahr; Rekordhalter dagegen die baltischen Staaten mit dem Zehnfachen). Oder dass auf jeden entdeckten Mord ein unentdeckter komme.

Und natürlich das Allerwichtigste: dass die eigenen vier Wände der gefährlichste Ort der Welt seien. Wilfling macht in Ebenhausen nach zwei prallen Lese- und Erzählstunden einen scherzhaften Rausschmeißer daraus: Man möge, wenn man jetzt zu Mann oder Frau nach Hause komme, immer daran denken: Die meisten Morde seien Beziehungstaten. - Wie das wohl mit der Bemerkung über die angeblich "beruhigende" Dauer-Ehe zusammenpasst?

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