"Dreiviertelblut" in Bad Tölz:Eine Feier des Lebens und des Todes

"Dreiviertelblut" in Bad Tölz: Dreiviertelblutsbrüder: Dominik Glöbl, Sebastian Horn, Benny Schäfer und Gerd Baumann (v.l.).

Dreiviertelblutsbrüder: Dominik Glöbl, Sebastian Horn, Benny Schäfer und Gerd Baumann (v.l.).

(Foto: Harry Wolfsbauer)

"Dreiviertelblut" zeigen sich im Tölzer Kurhaus hinreißend schwermütig und leichtfüßig. Musik und Publikum geraten in einen ekstatischen Rausch.

Von Petra Schneider

Von den ersten warmen Sonnenstrahlen lassen sich die Leute die Lust auf graue Finsterlieder und düsteres Unterholz offensichtlich nicht verderben. Das Kurhaus ist am Donnerstag voll, und noch ehe Sebastian Horn und seine Dreiviertelblutsbrüder den ersten Ton spielen, brandet Applaus auf. "Erstaunlich, wie viele Menschen sich an diesem fast frühlingshaften Tag in eine Depression stürzen", sagt Horn. Depression? Mitnichten. Was sich an diesem Abend einstellt, ist die reine Freude. Denn Dreiviertelblut spielen nicht nur erstklassige Musik, sondern transportieren ein Lebensgefühl: Eine Feier des Lebens und des Todes, tiefgründig und allumfassend, geerdet und entrückt.

Sänger Sebastian Horn und Komponist und Gitarrist Gerd Baumann sind ein kongeniales Gespann: Der sensible, schwerblütige Romantiker und der leichtfüßige Dadaist. Horn, der wie bei jedem Konzert mit seinem Stuhl verwachsen scheint, tanzt seinen elastischen Sitztanz und zappelt mit den Beinen - "bei einem Heimspiel" sei der Wastl immer nervös, merkt Baumann an.

Kaum vorstellbar, nach so vielen erfolgreichen Jahren mit den Bananafishbones und dem kometenhaften Aufstieg von Dreiviertelblut: Spätestens seit ihrem Auftritt im Oktober 2015 auf dem Münchner Königsplatz und ihrem Lied "Mia san ned nur mia" sind sie aus dem Unterholz ins helle Rampenlicht geschlüpft. Ihre zweite CD Finsterlieder haben sie im Herbst im Prinzregententheater gemeinsam mit den Münchner Symphonikern präsentiert. Aus dem Duo des ersten Albums ist inzwischen ein Septett geworden, zu dem Florian Rein (Schlagzeug, Posaune), Florian Riedl (Bassklarinette), Luke Cyrus Goetze (Gitarre, Lapsteel), Dominik Glöbl (Trompete, Flügelhorn) und Benny Schäfer (Kontrabass) gehören.

Glöbl reißt das Publikum vom Hocker: Fläzt sich breitbeinig auf seinen Stuhl und tut so, als könne man die anspruchsvollen Trompetensoli locker nebenbei spielen. Nach der Pause wird Goetze von der Leine gelassen, der seine E-Gitarren-Soli durchs Kurhaus peitscht. Etwa beim "Deifidanz" aus dem ersten Album, das mit "Wuist du mit mir danzen" der neuen CD "Finsterlieder" eine Fortsetzung findet.

Das Publikum jubelt und klatscht, immer schneller und schneller, fiebrige Bläser- und E-Gitarrensoli steigern sich zu einem ekstatischen Rausch. Im ersten Teil des Konzerts überwiegen die schwerblütigen Stücke und der schlichte Dreivierteltakt: "Himmeblau", "As erschde moi", "Wann i dann". Der eindringliche Sprechgesang "I lieg am Ruckn" des todessehnsüchtigen Ludwig Hirsch und das von Horn interpretierte Gedicht "Schläfer im Tal" des Expressionisten Arthur Rimbaud.

Einer der Höhepunkte ist das Lied "Der Sturm", komponiert für das Nockherberg-Singspiel 2016. Eine düstere Rockballade, "unser einziges Stück über das Wetter", wie Baumann sagt, die aber freilich viel mehr ist: Eine metaphorische Beschreibung der bedrohlichen Gesamtsituation. "Der Himmel verdunkelt sich und die ersten Bäume fallen. Wars doch grad erst no schee".

Über den bombastischen Rock legt sich ein enervierender Trompetenton, der schmerzt. Auch die Moderationen sind anregend: Horn strahlt eine romantische Entgrenzungssehnsucht aus, wirkt, als würde er am liebsten Himmel und Erde umarmen, die Sterne und unseren "kloana, blauen Stoa". Baumanns abgedrehte Gedankenspiele drehen Tod und Teufel eine lange Nase. Zum Beispiel die Geschichte über die traurigen, norwegischen Lachsfischer, die aus Mitleid ohne Haken angeln. "Das ist so ein bisschen unsere Klientel", sagt er mit heiligem Ernst.

Am Donnerstag ist großes Lichtspektakel angesagt, rote Nebel, tanzende Muster, grüne Lichtsäulen. Der Bayerische Rundfunk zeichnet auf, weil Regisseur Marcus H. Rosenmüller gerade eine Dokumentation über die Band dreht. Nach drei Zugaben und einem Vorgeschmack aufs "Paradies" ist Schluss. "Wir haben uns vorgenommen, dass es heute mittelschön wird, damit noch Luft nach oben bleibt", sagt Baumann. "Wir konnten ja nicht ahnen, dass es der schönste Abend unseres Lebens wird."

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