Draußen im Wald:Hungerkünstler und Schmankerlfresser

Mit Ruhephasen und dem Stoffwechsel auf Sparflamme überstehen Rehe den Winter - wenn sie nicht zu gestört werden.

Marlene Pratschke

Mit den Hufen scharren die Rehe den Schnee zur Seite, legen sich hin und schlafen, bis der Hunger kommt. Sie und die anderen Wildtiere im Wald haben zahlreiche Strategien entwickelt, wie sie gut über die kalte Jahreszeit kommen. "Energiesparen", also mit möglichst wenig Nahrung auskommen, steht dabei an oberster Stelle. Rehe tun das etwa, indem sie an einer sicheren Stelle möglichst viel ruhen.

Rehe im Schnee

Rehwild ist gut ausgerüstet, um den Winter auch dann zu überstehen, wenn es kalt ist und viel schneit. Wichtig ist, dass die Tiere nicht zu viel gestört werden, weil sie sonst wertvolle Energiereserven verlieren.

(Foto: dpa)

Beobachtet werden sie dabei im Wald bei Dietramszell von einer "Wildkamera", die in ungefähr 15 Meter Entfernung zur Ruhestätte in 80 Zentimetern Höhe an einem Baum befestigt ist. Am Anfang seien einige Versuche nötig gewesen, die Kamera, die auf Bewegung reagiert, an der passenden Stelle anzubringen, berichtet Toni Miller, Jagdberater des Landkreises Bad Tölz-Wolfratshausen. "Es kann sein, dass man beim ersten Mal nur die Läufe sieht."

In die "Fotofallen" der Jäger getappt, verraten die Rehe unfreiwillig, wann, wo und zu wievielt sie auftauchen werden. "Neben den Rehen kommen auch der Fuchs und der Hase vorbei", sagt Miller. Der Einsatz der Kameras sei aber umstritten, da es nicht der Jagdtradition entspreche, das Wild in seiner Deckung zu beobachten. Interessante Erkenntnisse liefern die Bilder dennoch.

Hungern oder frieren müssen die Rehe in der Regel nicht, das hat die Natur so eingerichtet. Schließlich kommen die Tiere seit Zehntausenden Jahren mit dem oft rauen Klima in Mitteleuropa zurecht. "Es kann sein, dass ihnen unwohl ist, aber nicht zu kalt", sagt Stefan Rührgartner, Vorsitzender der Jagdkreisgruppe Wolfratshausen. Im Winter 2006 war die Schneedecke ein halbes Jahr lang geschlossen und es war kaum Futter zu finden. "Da sind uns schon paar Uhus vom Stangerl gefallen", sagt Rührgartner. Die Rehe aber hätten das ausgehalten. Der vergangene Herbst war warm und auch der Winter insgesamt mild, so dass die Rehe lange Bucheckern und Eicheln gefunden hätten und genügend Fettreserven anlegen konnten, um die niedrigen Temperaturen zu überstehen, die jetzt im Februar herrschten.

Außerdem verlangsame sich im Winter der Stoffwechsel der Rehe, wodurch sie weniger Nahrung zu sich nehmen müssten, erklärt Rührgartner. Um den Energieverbrauch möglichst gering zu halten, ist vor allem Ruhe wichtig, die sie im Schutz des Waldes finden. Am Waldrand, wo immer wieder Spaziergänger vorbeikommen, werden sie oft aufgeschreckt und verbrauchen so wertvolle Reserven. Wie sich die Rehe in ihrer Deckung verhalten, verraten den Jägern die Bilder der "Wildkameras", die nach drei bis vier Tagen vom Baum genommen werden, erklärt Miller. Auf dem Bildschirm zeigt sich der Rhythmus der Tiere, die abwechselnd vier bis sechs Stunden schlafen und äsen. "Schnee fressen die Rehe nicht", sagt Rührgartner. Verdursten müssten sie aber ebenso wenig wie verhungern, da sie mit der Äsung ausreichend Flüssigkeit aufnähmen.

Laut bayerischem Jagdgesetz sind die Jäger angehalten, die Tiere in der "Notzeit" zusätzlich zu füttern, sagt Rührgartner. Notzeit sei aber ein schwammiger Begriff, und es sei schwer zu bestimmen, wann von einer solchen zu sprechen ist. Jeder Jäger müsse für sich entscheiden, ab wann er die Tiere füttere. Miller befüllt die Futterstationen derzeit regelmäßig mit gepresstem Getreideschrot und Apfeltrester und stellt einen großen Andrang fest. Ob man die Tiere überhaupt füttern solle, führte schon des öfteren zu Debatten mit Tierschützern, die davon abraten, sagt Miller.

Zum einen könne die Äsung bei falscher Lagerung feucht werden, schimmeln und Krankheiten verursachen. Um das zu vermeiden, wird Waldspaziergängern davon abgeraten, altes Brot oder Kastanien am Waldrand liegen zu lassen. Das andere Problem der zusätzlichen Fütterung sei, dass man sie konsequent fortführen müsse, da sonst stärkerer Wildverbiss die Folge sei. Falsche Fütterung im Winter, beispielsweise mit Kraftfutter, kann nämlich den verlangsamten Stoffwechsel der Tiere wieder anregen, wodurch sie mehr Nahrung benötigen. So machen sie sich über junge Pflanzen her, die im Frühjahr nicht mehr austreiben können. Nicht nur Rehe stürzen sich auf die Knospen, auch Eichhörnchen, Hasen oder Mäuse.

Unter den Waldbewohnern seien aber die Rehe die "Schmankerlfresser" und die größten Übeltäter, sagt Wolfgang Neuerburg, Bereichsleiter des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Miesbach. Sie begnügen sich nicht mit einer Baumart, sondern fressen von allem, was der Wald hergibt.

Um die Rehe nicht in ihrer Ruhephase zu stören, ist gerade Schonzeit in den Wäldern, die Tiere werden nicht gejagt. Durch die Jagd würden sie aufgescheucht, verbrauchten mehr Energie, der Wildverbiss nähme zu und mehr Bäume stürben ab. Im Winter können den Rehen also weder Kälte noch die Jäger etwas anhaben. Eine der wichtigsten Aufgaben der Jäger sei neben "der Hege und dem Schutz des Wildes" die Pflege des Gleichgewichts zwischen Vegetation und Wild. "Da ist schon viel Arbeit dran, die man gewissenhaft erledigen muss", sagt Miller.

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