Dietramszell:Böses Erwachen nach dem Votum

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Holocaust-Überlebende, Historiker und Politiker sind entsetzt über den Beschluss des Gemeinderats, Hitler und Hindenburg die Ehrenbürgerwürde zu belassen. So würden Rechtsradikale ermutigt, fürchten viele.

Von Isabel Meixner

"Skandal", "entsetzlich", "verheerende Symbolik", "peinlich": Mit deutlichen Worten haben Holocaust-Überlebende, Historiker und Politiker auf die Entscheidung des Dietramszeller Gemeinderats reagiert, sich nicht von der Ehrenbürgerwürde für Adolf Hitler und Paul von Hindenburg zu distanzieren. Mit diesem Votum ermutige Dietramszell Rechtsradikale, derart zweifelhafte Personen zu ehren, warf der KZ-Überlebende Max Mannheimer der Gemeinde vor. Schriftsteller Peter Probst, der im Vorfeld einen "symbolischen Akt" gefordert hatte, äußerte sich empört: "Das ist ein Zeichen, das die Ewiggestrigen beflügelt." Er bezweifle, dass die Wortmeldungen einiger Gemeinderäte gut bedacht waren. Die Abstimmung sei fatal für Lehrer, die Jugendliche über die NS-Zeit aufklären sollen.

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, äußerte Unverständnis: "Es entspricht unserer politischen Kultur, unmissverständlich klarzustellen, dass aus heutiger Sicht eine Ehrerbietung gegenüber Hitler und von Hindenburg nicht mehr mit unserem Wertesystem kompatibel ist."

Auch Bürgermeisterin Leni Gröbmaier (BLD), die zwar für eine Distanzierung gestimmt, das Thema aber nicht in ihrem Sinn vorangetrieben hatte, zeigte sich zwei Tage nach der Entscheidung noch geschockt: "Jedem erwachsenen Menschen ist klar, was es heißt, mit Nein zu stimmen." Nach so viel Elend wie im Zweiten Weltkrieg "rein mechanisch ohne Herz" zu entscheiden, sei verantwortungslos und beschädige das Ansehen der Gemeinde, sagt Gröbmaier: "Dietramszell ist nicht so, wie es die Abstimmung vermuten lässt."

Dietramszell hatte 1926 den damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, der in der Gemeinde häufiger Urlaub machte, zum Ehrenbürger ernannt. 1933 folgte Adolf Hitler. Auch in den Archiven anderer Kommunen wie Bad Tölz, Münsing und Schäftlarn waren in jüngster Vergangenheit ähnliche Dokumente aufgetaucht, weshalb sich die dortigen Gremien umgehend von den Verleihungen distanzierten.

Nicht so Dietramszell. Gemeinderätin Barbara Regul (CSU), die gegen die Distanzierung gestimmt hatte, konnte an der Ablehnung auch zwei Tage später nichts Verwerfliches finden: "Man kann Entscheidungen rückblickend nicht bewerten oder revidieren." Das wäre "Geschichtsverknitterung". "Es ist doch sonnenklar, dass die Ehrenbürgerwürde keine Bedeutung mehr hat", findet die CSU-Rätin. Für Historikerin Sybille Krafft, Vorsitzende des Historischen Vereins Wolfratshausen ist dieses Argument, das in der Gemeinderatssitzung auch Traudi Fröstl (CSU) und Ingrid Grimm (FW) geäußert hatten, "völlig verquer": "Man muss doch die Größe haben, eine falsche Entscheidung zu revidieren."

Auch Bürgermeisterin Gröbmaier betont: Es gehe nicht darum, die damaligen Gemeinderäte zu verurteilen, aber "wir wissen jetzt, wie die Geschichte gelaufen ist und dass die Entscheidung falsch war". Warum sie sich vor der Abstimmung dann nicht stärker für eine Distanzierung eingesetzt hat? "Ich dachte nicht, dass das notwendig ist. Ich war völlig überrascht, dass das jemand ablehnt", gibt die Bürgermeisterin unumwunden zu. Sie habe nach den Wortmeldungen mit maximal zwei Gegenstimmen gerechnet. Am Ende waren es acht.

Dritter Bürgermeister Hans Kanzler (FW) erachtet es als Fehler, dass vor der Abstimmung so wenig diskutiert wurde: "Vielleicht hätte man noch ein paar Sätze sagen wollen." Das hatte Gröbmaier nicht, mit der Begründung, das Thema nicht hochkochen zu wollen. Die Bürgermeisterin zeigt sich ernüchtert von der Arbeit im Gemeinderat: "Immer diese Spielchen statt ehrlicher Politik . . ."

Wie es nun weitergeht? Schriftsteller Peter Probst glaubt nicht, dass das Thema mit dieser Entscheidung beendet ist. Leni Gröbmaier sieht dagegen diejenigen gefordert, die die Distanzierung abgelehnt hatten: "Ich wünsche mir, dass diese Gemeinderäte selbst an einer Lösung arbeiten. Das ist deren Verantwortung."

© SZ vom 13.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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