Das nächste historische Haus:Wolfratshausen reißt seine Geschichte ab

Nach Isar-Kaufhaus und Knödler-Anwesen soll nun ein Bau in der Alpenstraße verschwinden. Historischer Verein und Kreisheimatpflege warnen: "Es geht nur ums Geld."

Von Barbara Briessmann

"Das Gesicht der Stadt wird ohne Not kaputt gemacht", schimpft Sybille Krafft, Historikerin und Vorsitzende des Historischen Vereins Wolfratshausen. Anlass für ihre Entrüstung ist ein Bescheid des Landratsamtes, der am Donnerstag zugestellt werden sollte, wie die SZ auf Anfrage erfuhr. Demnach darf das Haus in der Alpenstraße 14 abgerissen werden darf. Noch vor zwei Wochen hatte der Verein rund 60 Menschen zu einer Demonstration mobilisiert. Vergebens.

Dabei steht das Haus in einem Ensemble, das insgesamt denkmalgeschützt ist und in den 1940er-Jahren als Postkartenmotiv diente - Alpenblick in schwarz-weiß inklusive. Dass der Abriss rechtlich überhaupt möglich ist, erlaubt eine Gesetzeslücke, die noch nicht geschlossen ist: Im Ensembleschutz ist nur das Ensemble, nicht aber das einzelne Haus geschützt.

"So gehen die Wolfratshauser mit ihrer Geschichte um", kommentiert Kreisheimatpflegerin Maria Mannes den Abriss bitter. Und kritisiert, dass stadtprägende Bauten nach und nach verschwinden. "Geschichtsvergessenheit" nennt das Krafft. Dem Viertel schreibt das Landesamt für Denkmalpflege folgende Bedeutung zu: "Bei dem Ensemble Wohnsiedlung Alpenstraße/Schießstättstraße handelt es sich eine der wenigen qualitätvollen und sehr gut erhaltenen Siedlungen für die gehobene Angestelltenklientel, die in der NS-Zeit entstanden sind. Sie ist in ihrer Funktion und Entstehung unmittelbar mit dem Bau und Betrieb der benachbarten Sprengstoffwerke verbunden."

Die Siedlung zeige mit Grabendächern, passförmigen Giebelfenstern oder Erkern die für die Entstehungszeit typische vertiefte Beschäftigung mit den historischen Bauformen der Region. "Das Ensemble besitzt daher geschichtliche, künstlerische und städtebauliche Bedeutung nach Artikel 1 des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes", heißt es. In dem Viertel wohnten Ingenieure und gehobene Angestellte der Rüstungsfabriken in Geretsried. Die Arbeiter lebten im Lager Föhrenwald, dem heutigen Waldram. Dort konnte der Historische Verein das Badehaus retten, das als Gedenk- und Begegnungsstätte allmählich Gestalt annimmt.

"Jetzt helfen wohl auch Unterschriften nichts mehr", bedauert Architekturhistorikerin Kaija Voss das drohende Ende der Alpenstraße 14. "Das ist tragisch." Wie die SZ erfuhr, soll bereits ein weiteres Haus in dem Viertel zum Verkauf stehen. "Vor so einem Präzedenzfall habe ich gewarnt", sagt Historikerin Sybille Krafft. "Das ist unverantwortlich, weil ein ganzes Quartier, ein historisch intaktes Ensemble zerstört wird." Es sei unverständlich, dass die Anwohner, die sich bei Renovierungen an Denkmalschutzauflagen gehalten haben, "die Dummen" seien. "Diejenigen, die ihre Anwesen verlottern lassen, werden belohnt." Das sei "unglaublich", auch dass der neue Eigentümer, der die Alpenstraße 14 abreißen will, "von außen kommt", nichts mit Wolfratshausen und seiner Geschichte zu tun habe.

Wirklich fürchterlich findet Kreisheimatpflegerin Maria Mannes, "dass man in der Stadt historische Bauten so wenig wertschätzt". Wie etwa auch das Foto-Knödler-Haus an der Sauerlacher Straße 24. Es stammt aus dem Jahr 1862, ist also über 150 Jahre alt. Derzeit wird es vom neuen Eigentümer abgerissen, der Wohnungsbaufirma Leitner. Beschlossen ist auch das Ende des Isar-Kaufhauses im Untermarkt. "Die Entscheidung habe ich noch verstanden", sagt die Kreisheimatpflegerin. Aber: "Schade, dass das dritte Haus auch fliegt." Damit meint sie das angrenzende Seifensiederhaus. Zwar solle die Häuserzeile ans historische Vorbild angelehnt wieder aufgebaut werden, aber, wie es Krafft formuliert, "ist das Neue nie das Alte".

Große Befürchtungen hegen die Historiker und die Kreisheimatpflegerin auch wegen des alten Krankenhauses an der Sauerlacher Straße 15, einem zwar unspektakulären, aber denkmalgeschützten Biedermeierbau. "Ich hoffe bloß, dass die Stadt es als Eigentümerin erhält und renoviert", meint Mannes. Auch Kaija Voss sorgt sich, dass die Stadt das Gebäude weiterhin verfallen lässt. "Was ist, wenn dadurch Schädigungen eintreten?", fragt sie. Würden diese behoben oder stünde der nächste Abriss an?

"Es ist so endlos in Wolfratshausen", so Mannes. Ein stadtprägendes Haus nach dem anderen würde verschwinden. "Es geht nur ums Geld." Die Folgen seien dramatisch. Alles würde vom Erscheinungsbild her beliebig: "Groß und uniform statt klein und nett", sei die Devise.

Für den Kampf um das Haus Alpenstraße 14 "ist es dumm gelaufen", sagt Mannes. Denn ein neues Denkmalschutzgesetz sei bereits in der zweiten Lesung im Landtag. Wenn es verabschiedet wird, könnte auch das einzelne Haus geschützt sein. "In einem Vierteljahr wird das wohl schon Recht und Gesetz sein." Zu spät für die Alpenstraße 14, "sonst hätte man dem Abriss einen Riegel vorschieben können".

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