Dampfer als Konzertraum:Poesie mit 13 Knoten

Konstantin Wecker spielt auf der MS Starnberg

Von Gerhard Summer, Starnberg

Weiße Wolken betten den schmächtigen Mond zur Ruh', da steuert die Nostalgiefahrt auf die Achtundsechziger zu. Konstantin Wecker schlägt am Flügel d-Moll an. Er sagt: Das sei ein sehr trauriger Akkord, der sich aus den Tönen a, f und d zusammensetzt, also aus AfD. Und dann spielt er das Lied, das ihn mit einem Schlag berühmt gemacht hat: "Willy", die Geschichte eines Aufrechten, der keinen Zentimeter zurückweicht vor Faschisten und eines Abends in einer Kneipe von einem Idioten erschlagen wird. Wecker macht mit langen Erzählpassagen ein dramatisches Hörspiel aus seinem alten Song, und für die allermeisten Passagiere wäre es tröstlich, wenn sie sagen könnten, dass dieser Text nicht mehr so sonderlich aktuell sei. Aber leider: Er passt nach wie vor.

Wecker auf dem noblem Ausflugsdampfer MS Starnberg: Ja, das ist grotesk. Zum einen kriegen die 270 Zuhörer zeitweise gar nicht mit, dass sie auf einem Schiff sitzen, weil der Katamaran ruhiger als jeder Linienbus dahingleitet und die Nacht schwarz ist wie Pech. Zum anderen ist das eine sehr bourgeoise Veranstaltung: Die Leute haben einen Haufen Geld für ein Ticket hingelegt, vorher dürfen sie sich an einem feinen Imbiss stärken, sollen dann aber nicht mehr mit dem Besteck klappern, wenn der Meister begonnen hat. Hätte Wecker nicht früher auf solche Regeln gepfiffen? Der Alt-68er und Revoluzzer, der gegen die Spießer und die satte Gesellschaft angesungen hat, die theoretisch alles gibt, solange sie ihre Villa am See, die Yacht oder wenigstens den Mercedes behalten darf. Andererseits ist aber auch wahr, dass dieser durchaus eitle Wecker, der vielleicht wichtigste unter den deutschen Liedermachern, immer Genussmensch war.

Wecker gibt auf dem flott fahrenden Dampfer mit kleinen Änderungen sein Programm "Poesie und Widerstand", eine Mischung aus Konzert und Lesung. Doch in der ersten Hälfte überwiegt die Poesie mit 13 Knoten. Wecker blendet zurück, singt "Ich liebe diese Hure", sein "Liebeslied", "Fangt mi wirklich koaner auf", das sehr witzige "Weil ich dich liebe" und natürlich "Wenn der Sommer nicht mehr weit ist" und "Genug ist nicht genug". Er erzählt von dem Knaben, der mit seinem Vater, einem Opernsänger, romantische Arien schmetterte und hohe Frauenpartien übernahm. Von dem Buben, der schon mit zwölf von zu Hause ausriss, weil er freier Dichter werden wollte, und mit 18 die Kasse der Daglfinger Galopprennbahn plünderte. Von der Zeit im Knast, wo sich "der Mond in kleinen Karos an der Wand brach". Von "Punkte", seinem Zellennachbarn in Stadelheim, der die Operette liebte und in Wahrheit ein weicher, "zur Härte geprügelter" Zuhälter war. Und von der Zeit, da er, der Ex-Bodybuilder, mit einem bodenlangen Nerzmantel durch München stolzierte, weil auch er als Zuhälter durchgehen wollte. Mit einem Firebird samt Adler auf der Motorhaube zu seinen Protestkonzerten brauste. Und sich in seinem Glaspalast in Grünwald Kokain reinzog. Ja, sagt Wecker, er sei nicht immer im Einklang mit seinen Texten und Inhalten gewesen, das habe ihm viel Ärger eingebracht. Aber: Seine Lieder seien immer ehrlich gewesen, manche habe er erst Jahre später verstanden.

So viel Aufrichtigkeit ist nicht selbstverständlich. Noch überraschender aber ist, dass dieser Wecker auch mit 70 in Hochform dahinsaust. Okay, er nutzt einen als Monitor getarnten Teleprompter, seine Lyrics sind nun mal kompliziert. Aber seine Tenorstimme klingt fast genauso wie in den Achtzigerjahren: kraftvoll, satt und mit viel Präsenz. Das leichte Operntimbre, die ungewöhnlich exakte Aussprache, die feinen Zurücknahmen bis hin zum Flüsterton - Wecker ist als Sänger und Sprecher nach wie vor ein Erlebnis, als impulsiver Pianist sowieso. Denn am Flügel pflügt er wie durch aufgewühlte See. Je später der Abend, desto politischer wird die Fahrt in die Vergangenheit. Und der Auftritt des heftig beklatschten Liedermachers dauert erstaunlich lange. Sein Œuvre gäbe das her: 600 Lieder, 42 Alben, 31 Bücher, daneben noch die vielen Musicals und Bühnenmusiken. Wecker singt "Die weiße Rose" und erklärt, wie man die Rassisten kriegen könnte - "auf dem Airport-Scheißhaus: Knöpfchen drücken, runterspülen, fertig". Und er legt an Tempo zu. Sein flotter "Wedam"-Blues und "Questa Nuova Realta" zeigen aber auch, dass es vorher fast eine Spur zu gemächlich zuging.

Ob man dem so gereift wirkenden Wecker alles glauben kann? Dem Mann, der sagt, dass eine Dampferfahrt ein Traum für die Künstler ist, weil keiner vom Schiff runterkommt. Und verschweigt, dass er das Konzert um eine Stunde verlängert, weil er noch nicht aufhören will. Quatsch. Wäre auch fad.

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