Briefwahl ist auch möglich:Bei Nein geht alles von vorne los

Briefwahl ist auch möglich: Die Benachrichtigung müsste inzwischen bei allen angekommen sein.

Die Benachrichtigung müsste inzwischen bei allen angekommen sein.

(Foto: Pöstges)

Die Stadt Wolfratshausen ruft ihre Bürger zum Entscheid über einen Bürgerladen am Untermarkt 10. Wenn die Mehrheit diesen Standort ablehnt, sind wieder fast alle Fragen offen

Von Matthias Köpf, Wolfratshausen

Genau 14 838 Wolfratshauser sollten gerade Post aus dem Rathaus bekommen haben. Die Stadt bittet per amtlicher Benachrichtigung ihren Souverän in einer Streitfrage um das letzte Wort: Alle kommunalwahlberechtigen Bürger sollen am 6. Dezember über einen Bürgerladen im Untermarkt 10 entscheiden. Die SZ hat die wichtigsten Fragen und Antworten zu diesem vierten Bürgerentscheid in der Stadtgeschichte zusammengestellt.

Worüber sollen die Bürger entscheiden?

Die Frage, die auf dem Stimmzettel mit Ja oder Nein zu beantworten ist, lautet: "Sind Sie dafür, dass der Beschluss des Stadtrates vom 07.07.2015 aufgehoben und im städtischen Gebäude in Wolfratshausen, Untermarkt 10, ein Bürgerladen eingerichtet wird?" Der Bürgerentscheid richtet sich gegen einen seit Juli mehrmals bekräftigten Stadtratsbeschluss, den Laden nach anfänglicher Zustimmung nicht mehr in genau diesem Haus einrichten zu lassen.

Was ist der Bürgerladen?

Ein Lebensmittelgeschäft, das die Nahversorgung in der Altstadt sichern soll, nachdem die Tengelmann-Filiale vor eineinhalb Jahren geschlossen hat. Ein Schwerpunkt soll auf regionalen Produkten liegen. Zudem ist geplant, Inklusions-Arbeitsplätze zu bieten. Betreiben soll den Laden eine genossenschaftsähnliche Gesellschaft. Einen solchen Laden haben sowohl der heutige Bürgermeister Klaus Heilinglechner (BVW) als auch sein unterlegener Stichwahl-Gegner Fritz Meixner (SPD) im Wahlkampf 2014 propagiert.

Wer will den Laden an dieser Stelle?

Mindestens knapp 3000 Wolfratshauser und mehr als 300 auswärtige Gäste, die im Sommer das Bürgerbegehren unterzeichnet haben. Die etwa 70 Aktivisten, die das Projekt seit einem Jahr vorantreiben, und die rund 300 Bürger, die Genossenschaftsanteile im Wert von etwa 100 000 Euro gezeichnet haben, sind vermutlich schon unter diesen Unterzeichnern. Auch Heilinglechner steht zu dem Projekt und - anders als Meixner - auch zum Standort.

Warum soll der Laden unbedingt im Untermarkt 10 entstehen?

Weil es nach Ansicht der Bürgerladen-Gruppe kein anderes freies Ladenlokal gibt, das groß genug wäre. Auf kleineren Flächen müssten die Betreiber nach eigenen Angaben auf Inklusion und Regional-Sortiment verzichten, das wegen der Gewinnspanne aber entscheidend für einen Erfolg sei. Alternativen wie gegenüber am Reisereck oder im ehemaligen Tchibo-Laden erfüllen die Vorstellungen der Gruppe nicht. Zudem gehört das Haus im Untermarkt 10 der Stadt, die es für rund die Hälfte des marktüblichen Preises an den Bürgerladen vermieten soll. Nur wenn sie das tut, könnte die Stadt im Gegenzug bis zur Hälfte der Sanierungskosten vom Freistaat als Städtebauförderung erhalten. Sie müsste ihr Gebäude nach 40 Jahren ohnehin sanieren und eine neue Nutzung finden, was für Ladenflächen im Markt nicht einfach ist.

Warum ist die Stadtratsmehrheit gegen den Standort?

In- und außerhalb des Rats gibt es grundsätzliche Kritik an dem Bürgerladen, weil die Gewerbetreibenden auf die Tengelmann-Schließung reagiert und die Lücken durch eigene Sortimenterweiterung gefüllt hätten. Die Hauptkritik bezieht sich jedoch auf den Standort. Dass die Stadt die Fläche zum reduzierten Preis vermieten soll, halten viele Räte und Händler für eine ungerechte Bevorzugung. Die Stadträte, die bereits 460 000 Euro für die Sanierung genehmigt hatten, schrecken vor dem Vorhaben zurück, seit sich die Kostenschätzung im Juli auf mehr als 820 000 Euro erhöht hat. Der Bürgermeister hat zugegeben, diese absehbare Erhöhung nicht sofort mitgeteilt zu haben, um das Vorhaben nicht zu gefährden. Damit hat er das Projekt und sich selbst aber erst recht in schweres Fahrwasser manövriert. Die Bürgerladen-Gruppe wertet die Ablehnung der Räte auch als Denkzettel und vorgezogenen Wahlkampf gegen Heilinglechner.

Warum müssen die Bürger entscheiden?

Weil die Gruppe auf die Kehrtwende im Rat mit ihrem Bürgerbegehren reagiert hat. Weil der Rat trotz ausreichender Unterschriften bei seinem Nein blieb, kommt es nun automatisch zum Bürgerentscheid.

Wer darf wann und wo abstimmen?

Alle EU-Bürger, die seit mindestens zwei Monaten ihren Erstwohnsitz in Wolfratshausen haben, können am 6. Dezember in die Wahllokale in den Schulen am Hammerschmiedweg, in Waldram und in Weidach sowie in der Farcheter Mehrzweckhalle kommen. Sollte letztere bis dahin mit Flüchtlingen belegt werden, steht die Wahlurne dort im Keller. Weil der Entscheid nicht gleichzeitig mit einer Wahl stattfindet, ist die Mobilisierung besonders schwierig - zumal der Stadtrat den Termin auf den Nikolaustag verschoben hat, weil am von der Stadtverwaltung favorisierten 29. November mit dem Christkindlmarkt schon zu viele Menschen in der Stadt unterwegs seien. Unabhängig von einer Mehrheit an Ja- oder Nein-Stimmen ist der Entscheid nur dann gültig, wenn diese Mehrheit aus mindestens 20 Prozent der Stimmberechtigten, also aus mindestens 2968 Bürgern besteht. Der bisher einzige Wolfratshauser Bürgerentscheid ohne gleichzeitige Wahl, mit dem 2003 die Verlegung des Kindergartens vom Hammerschmiedweg in die Badstraße verhindert werden sollte, scheiterte trotz einer relativen Mehrheit klar an der mangelnden Beteiligung. Angesichts dessen wirbt die Bürgerladen-Gruppe für die Briefwahl. Die Unterlagen sind laut Stadtverwaltung etwa per Vordruck auf der Benachrichtigung oder "mit wenigen Klicks" im Internet auf wolfratshausen.de anforderbar. Bei den jüngsten Wahlen stimmten oft mehr als ein Viertel der Bürger per Briefwahl ab, die Tendenz geht zu einem Drittel.

Was passiert bei einem ungültigen Entscheid?

Das gleiche wie bei einem mehrheitlichen Nein: Die Entscheidung des Rats bleibt in Kraft. Demnach müsste die Stadt das Haus in Erbpacht an eine privaten Investor vergeben und das in den oberen Etagen gelegene Heimatmuseum von diesem zurückmieten, was Immobilienexperten allerdings für ein denkbar schlechtes Geschäft halten. Allerdings ist diese Entscheidung ursprünglich auf ungültige Weise zustande gekommen und wird vom Landratsamt als teilweise rechtswidrig erachtet, weshalb der Bürgermeister den Beschluss außer Vollzug gesetzt hat. Mit dieser Problematik müssten sich die Räte dann aufs Neue selbst auseinandersetzen.

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