Brexit:Briten im Landkreis wollen keine "Inselaffen" sein

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Briten, die im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen leben, zeigen klar Flagge für einen Verbleib ihres Landes in der EU. (Foto: Caroline Seidel/dpa)

Ausstieg aus der EU? "Crazy!" Hier lebende Engländer und Schotten wünschen sich eine viel stärkere Annäherung.

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Die Briten stimmen am Donnerstag in einem Referendum darüber ab, ob das Land in der Europäischen Union (EU) bleiben soll oder nicht. Für einen möglichen Austritt hat sich der Begriff "Brexit" etabliert. Befürworter und Gegner führen seit Monaten eine überhitzte und emotionale Debatte angesichts Einwanderungspolitik, Nettozahlungen und wirtschaftlicher Konsequenzen. Die Frage, ob die Briten Europäer bleiben wollen, bewegt aber nicht alleine die Bewohner der Insel. Der Entscheidung fiebern auch sogenannte "Expats" entgegen, also Briten, die im Ausland leben - zum Beispiel im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen.

Mike Toole, Ian Lyons und Simon Jones etwa sind sich einig: Sie verstehen sich als Europäer und hoffen inständig, dass Großbritannien Teil der EU bleibt. Wählen können sie allerdings am Donnerstag nicht: Britische Staatsbürger, die seit mehr als 15 Jahren im Ausland leben, bleiben nach dem Wahlgesetz von der Teilnahme am Referendum ausgeschlossen.

Simon Jones kennt für die ganze Diskussion um den Brexit nur noch ein Wort: "Crazy", verrückt sei das. Es wäre für ihn schlichtweg "ein Desaster für Großbritannien", sollte es zum Austritt kommen. Seit 18 Jahren lebt Simon nun schon in Deutschland, in Münsing, genauer gesagt. Im Herzen sei er Engländer geblieben, betont er. Trotzdem verstehe er derzeit nicht, was auf der Insel vor sich gehe. Dass sich Großbritannien gern ein wenig exzentrisch verhalte und Eigenheiten pflege, möge ja einen gewissen Charme ausmachen. Für ihn als Geschäftsmann seien jedoch solche Eigenheiten schon zu viel innerhalb der EU, etwa das Pfund als Währung, nicht der Euro. Gerade der Wechselkurs, der momentan aufgrund der Brexit-Debatte enorme Schwankungen erfahre, mache es ihm schwerer, mit den britischen Inseln Geschäfte zu pflegen als mit anderen europäischen Ländern. Deshalb hofft er nicht nur, "dass die Vernunft siegt am Donnerstag", sondern auch auf noch mehr Annäherung.

Ian Lyons hingegen sieht der Abstimmung mit solch typisch britischer Gelassenheit entgegen, dass man glatt eine Tasse Tee dazu reichen möchte: "Och, ich bin da ganz entspannt. Ich weiß ja, wie es ausgeht", sagt der gebürtige Schotte. Das Land bleibe, ist er überzeugt. Er selbst sei absolut für den Verbleib in der EU, er habe die Vorteile erlebt, welche die Union mit sich gebracht habe. "Alleine die Möglichkeit, innerhalb der EU frei zu reisen, ist doch gigantisch." Besonders für die Jugend, sagt der Vater zweier erwachsener Töchter, eröffne sich so die ganze Vielfalt kulturellen Austausches. Und sein Heimatort Hamilton sei ein Beispiel dafür, wie sehr die britischen Inseln auch wirtschaftlich von der Union profitiert hätten. Gerade angesichts der gewaltigen Herausforderungen der Zeit seien die Mitgliedsstaaten der EU gut beraten, miteinander zu reden und gemeinsame Lösungen zu finden, findet Lyons. Je näher aber das Referendum rücke, "desto realistischer und vernünftiger werden die Leute", ist der Golflehrer überzeugt.

Ganz so intensiv wie Lyons und Jones verfolgt Toole die Debatte um den Brexit nicht. Doch ein enges, auf eine Nation beschränktes Denken ist dem gebürtigen Briten trotzdem vollkommen fremd. Die Frage, ob Großbritannien ein Teil Europas bleiben soll oder nicht, ist für ihn "altmodisch, nicht nachvollziehbar und ein völliger Blödsinn". Als Musiker habe er offene Grenzen stets begrüßt und gerne genutzt - so wie im Moment, denn der in Tölz wohnende Brite ist gerade in Spanien auf Tournee. Toole vermutet hinter dem Referendum und dem Riss, der derzeit wegen des Brexits durch Britannien geht, ein Gefühl der Ungewissheit bei seinen Landsleuten, hervorgerufen durch ein undurchschaubares Netz von Geld, Macht und Lobbyismus in der Politik. Dieses Gefühl von Machtlosigkeit und Konfusion höre er auch dann durch, wenn er bei seinen Konzerten mit Zuhörern aus Großbritannien ins Gespräch komme. Seine Antwort aber ist einfach: "Mensch ist Mensch." Und die Europäer, inklusive der Briten, müssten "endlich lernen, Probleme auf menschlicher Ebene zu lösen, statt Inselaffen zu sein".

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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