Bichl:Mehr auf die Möglichkeiten schauen als auf die Probleme

Bichl: Die Bürgermeister Holz (links), Pössenbacher (3.v.l.) und Gründl (rechts) sowie Leiterin Marianne Neumayr (2.v.l) bei der Feier in Bichl.

Die Bürgermeister Holz (links), Pössenbacher (3.v.l.) und Gründl (rechts) sowie Leiterin Marianne Neumayr (2.v.l) bei der Feier in Bichl.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Vor fünf Jahren wurde die Jugendhilfe im Landkreis dezentralisiert. Beim Jubiläum im Bichler Sozialraumbüro fällt die Bilanz positiv aus

Von Petra Schneider, Bichl

"Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf", sagt ein afrikanisches Sprichwort. Ein schöner Gedanke, der auch gut zum Sozialraum-Konzept des Landkreises passt: Fünf Jahre ist es her, seit die Jugendhilfe umstrukturiert, dezentralisiert und in Städte und aufs Dorf verlagert wurde, um näher an den Familien zu sein. Und auch, um die galoppierenden Sozialausgaben im Zaum zu halten, weil so vorhandene Strukturen besser genutzt und teure Heimaufenthalt oft vermieden werden können.

Kürzlich wurde das fünfjährige Jubiläum des Regionalbüros in Bichl gefeiert. Das Konzept sei aufgegangen, die Umstellung die richtige Entscheidung gewesen, befanden der Bichler Bürgermeister Benedikt Pössenbacher und sein Kochler Kollege Thomas Holz bei der Feier im Rathaus einmütig - auch, wenn die Skepsis in den Kommunen anfangs groß gewesen sei. Warum gewachsene Kooperationen auflösen? Was bringt es, wenn das Jugendamt aufs Land geht?

Inzwischen ist die Skepsis breiter Zustimmung gewichen. Bürgermeister Holz betonte, dass die Transparenz gestiegen und das Bewusstsein in den Kommunen gewachsen sei, welche wertvolle Arbeit die Jugendhilfe leiste. Vor allem aber profitierten die Familien von der größeren Nähe. Wenn es Probleme gibt, müssen Eltern aus dem Landkreis seit dem Jahr 2011 nicht mehr ins Jugendamt auf die Tölzer Flinthöhe fahren. Rat und Hilfe bekommen sie in den vier Regionalbüros in Wolfratshausen, Geretsried, Bichl und Bad Tölz. Das Büro des Sozialraums "Loisachtal", das zentral im Dachgeschoss des Bichler Kindergartens beheimatet ist, wurde als erstes eröffnet und ist das kleinste: Die vier Mitarbeiter, allesamt Sozialpädagogen, betreuen Familien aus den Gemeinden Bad Heilbrunn, Benediktbeuern, Bichl, Kochel am See und Schlehdorf. 150 bis 190 Familien pro Jahr holen sich dort Rat, sagte Leiterin Marianne Neumayr.

Verhaltensauffälligkeiten, Schulprobleme, Essstörungen, Erziehungsfragen, akute Krisen wegen Krankheits- oder Todesfällen in der Familie, Drogenmissbrauch; am häufigsten suchen Eltern Rat bei Trennungs- und Scheidungsproblemen. Die Mitarbeiter in den Regionalbüros wollen frühe Ansprechpartner sein. Wenn zum Beispiel ein Kind im Kindergarten nur in der Ecke sitze und weine, könne die Erzieherin den Eltern eine Beratung empfehlen. "Und wir klären dann, welche Hilfe sinnvoll ist", sagte Neumayr.

Je nach Fall kann das ein einmaliges Informationsgespräch sein, die Vermittlung zu Therapeuten, Ärzten oder zu den Erziehungsberatungsstellen in Bad Tölz und Wolfratshausen. Wenn nötig, wird eine ambulante Erziehungshilfe mit wöchentlichen Besuchen in der Familie organisiert. Sie ist in der Regel auf ein Jahr angelegt und wird von Kooperationspartnern der Regionalbüros geleistet.

In Bichl sind das der Verein "Brücke Oberland" und das Team von "ZsamFit". Neumayr kennt auch Fälle, wo ein Kind aus der Familie genommen und im Jugendhaus in Bad Tölz oder in einer Pflegefamilie untergebracht werden musste. Seit 15 Jahren arbeitet die Sozialpädagogin aus Penzberg beim Amt für Jugend und Familie im Landkreis. Bei den Fallzahlen beobachtet sie eine Steigerung, weil die Situation von Familien immer komplexer werde. Die beruflichen Anforderungen an die Eltern steigen, mehr Flexibilität und Mobilität werden gefordert, und auch der schulische Druck auf die Kinder wächst. Dass die Ansprechpartner nun näher an ihre Klienten gerückt und die Atmosphäre in dem kleinen Büro in Bichl persönlicher sei als in einer anonymen Behörde, werden von den Eltern geschätzt. "Ich bekomme viele positive Rückmeldungen", sagte Neumayr.

Freilich gebe es auch Rückschläge: "Wenn man zu Familien keinen Kontakt aufbauen kann und Maßnahmen abgebrochen werden." Denn nach wie vor gebe es Vorurteile: Das Jugendamt wolle die Kinder aus den Familien nehmen oder greife zu spät ein. Dabei habe sich die Ausrichtung der Jugendhilfe mit dem Sozialraumkonzept stark verändert: "Von einer Problem- hin zu einer Ressourcenorientierung", wie Neumayr erklärte. Dazu gehört, dass vorhandene Strukturen in den Gemeinden genutzt werden: Nachbarschaftshilfe, Familienpaten, Angebote der offenen Jugendarbeit, Kindergärten, Schulen, ehrenamtliche Helfer oder die Kommunen seien bestens vernetzt.

Um Familien zu unterstützen, damit es erst gar nicht zu Problemen kommt, will das Beratungsteam auch neue Angebote schaffen. In Kooperation mit dem Benediktbeurer Don-Bosco-Club ist so eine Ferienbetreuung entstanden und eine Mutter-Kind-Gruppe in Kochel. Bei solchen Projekte haben die Regionalbüros Mittel, um die Anschubfinanzierung zu leisten. So sei in den vergangenen fünf Jahren eine "Verantwortungsgemeinschaft" für Familien aufgebaut worden, sagte Neumayr. "Und die möchte niemand mehr missen."

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