Besuch im Atelier:Natürlich Kunst

Lesezeit: 3 min

Die Bewahrung der Schöpfung ist das Anliegen Erwin Wiegerlings alias e.lin. Grundlagen seiner Werke sind Bäume, Moos und Gras

Von Sabine Näher, Gaißach

Das neuste Ausstellungsstück im Forum Lin ist wirklich nicht zu übersehen: Ein mächtiger Ahornbaumstamm, circa fünf Meter hoch, lehnt im Eingang eindrucksvoll an der Wand. "Da er innen komplett hohl ist, lässt sich sein Alter nicht mehr genau bestimmen", erklärt e.lin alias Erwin Wiegerling. "Er dürfte aber drei- bis vierhundert Jahre alt sein." Das Prachtstück stand in der Jachenau, wo es vom Sturm gefällt wurde. Ein befreundetes Ehepaar bewahrte den Baum in seinem Garten in Benediktbeuern. Wiegerling liebäugelte jahrelang mit dem Fundstück, bis er endlich darum bat, den Ahornbaum in seinem Forum aufstellen zu dürfen. "Hier ist er, anders als im Freien, gut gesichert und bleibt in seiner Schönheit erhalten", argumentiert der Künstler.

Da Wiegerling in seinem Gaißacher Atelier aber keine botanische Ausstellung präsentiert, hat der Baum auch einen künstlerischen Aspekt: "Ich habe ihn gekippt und an die Wand gelehnt. Als ein Zeichen dafür, dass in unserer Gesellschaft so einiges aus dem Lot geraten ist." Der Ausstrahlung dieses Baums, der in dieser Kippe etwas anrührend Verletzliches hat, kann sich keiner der zahlreichen Besucher entziehen, die Wiegerlings Einladung zu Konzert und Rundgang durch das Forum am Donnerstagabend gefolgt sind. Neben dem Ahorn sind einige weitere neue Arbeiten zu bestaunen. So eine Installationen mit Kakteenblüten, auf Silberfäden aufgezogen, die wie ein transparenter, zarter Vorhang in einem Objektkasten hängen. "Dadurch sind sie geschützt und bleiben erhalten", erklärt e.lin. Es gehe ihm eigentlich immer um natürliche Substanzen, die er künstlerisch konservieren wolle. "Damit möchte ich die Schöpfung auf meine Art bewahren."

Schnüre vor einem pigmentierten Hintergrund - ein gestreutes Blau mit roten Einsprengseln - sind im nächsten Kasten zu sehen. "Das ist Moorgras aus dem Benediktbeurer Moor, das als Streu geerntet wird", erzählt der Künstler. Hier wird Natur auf ganz schlichte, aber eindrückliche Weise Kunst. Der dritte große Kasten zeigt, wie e.lin sagt, "eine Situation im Moor": Moorgras, gebündelt, dicht nebeneinander angeordnet, darin eingestreut blaue Irisblüten. "Das Moorgras hat einen hohlen Halm, ähnlich wie Stroh, deshalb lässt es sich so bearbeiten", erklärt Wiegerling. "Die Irisblüten bestehen aus gegossenem blauen Stein. Das stellt für mich die Landschaft um Benediktbeuern dar." Da die Glaskästen 2,20 auf 2,20 Meter groß sind und zwei davon nebeneinander stehen, lässt das in der Tat die Ahnung einer Landschaft aufkommen.

Zwei weitere große Kästen stellen einen Schnitt durch die Erde im Moor dar. Neulich sei ein Geologe aus München zu Besuch gewesen, sagt Wiegerling, der fragte, wieso er eine Ascheschicht unter dem Gras angeordnet habe. "Das war einfach meine Intuition. Und dann sagt mir der Fachmann, damit habe ich die Situation im Moor vor 800 Jahren dargestellt, nachdem die Benediktbeurer Mönche die Oberfläche abgebrannt hatten. Mir zeigt das: Ich bin auf dem richtigen Weg!"

Auf eine Kuriosität weist der Künstler abschließend noch hin: ein anziehendes großes Bild mit merkwürdigen, ultramarinblauen Strukturen auf Leinwand. "Die Leinwand liegt am Boden, ich tauche ein Straußenei in den Farbeimer und rolle damit über die Leinwand. Das ist ein toller Effekt, den man nur auf diese Weise erzielen kann."

Wie kommt man auf solche Ideen? "Da spreche ich jetzt von mir in der dritten Person", meint der Künstler: "Weil er immer auf der Suche ist nach neuen Materialien und Werkzeugen, die aus der Natur stammen." Konservieren beim Neuschaffen, so lautet Wiegerlings Credo. "Nur wenn man die Vergangenheit bewahrt, gewinnt man die richtige Einstellung zur Gegenwart und Zukunft."

Und da ihm die Bewahrung kultureller Werte insgesamt am Herzen liegt, gibt es an diesem Abend im Atelier noch ein Konzert mit der Organistin und Cembalistin Olga Kotlyarova aus St. Petersburg, die beim I. Internationalen Festival der Klavierkunst "Clavis" in Reichersbeuern zu Gast ist. Dessen Initiator Marcus Rummel bereichert den Abend zudem mit dem von ihm geleiteten Oktett 9/8tel und spielt mit der Organistin gemeinsam auf der zweimanualigen Orgel, die das Forum aufzubieten hat. Ein rundum gelungener Kunst-Abend.

© SZ vom 05.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: