Benjamin Idriz zu Gast in der Tölzer Berufsschule:Der Imam erklärt den Islam

Benjamin Idriz

Rund 200 Schüler hören dem Imam zu, ein Drittel davon Muslime.

(Foto: Manfred Neubauer)

Der Penzberger Geistliche plädiert für Freiheit, Rechtsstaat und die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die Lehrer aber beklagen Konflikte zwischen traditionellen und liberalen Muslimen

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Am Dienstagvormittag verwandelt sich die Aula der Tölzer Berufsschule kurzzeitig in ein muslimisches Gebetshaus: Imam Benjamin Idriz trägt auf die Bitte einer muslimischen Schülerin eine Sure aus dem Koran vor. Ganz still ist es, einige zücken ihre Handy und filmen, anschließend applaudieren alle. "Dass keiner etwas gegen das Gebet hatte, zeigt die Offenheit der Nicht-Muslime", lobt der Penzberger Imam.

Eingeladen hat ihn Peter Fick, Fachbereichsleiter für Religion und Ethik an der Tölzer Berufsschule. Viele junge Muslime besuchen dort die beiden Integrationsklassen, lernen Deutsch und setzen sich mit den Werten dieser Gesellschaft auseinander. Es ist ein Lernen auf beiden Seiten, auch für die einheimischen Schüler.

Die Voraussetzung für ein friedliches, tolerantes Zusammenleben nennt der Imam: "Nicht nebeneinander her leben, sondern sich kennenlernen und austauschen." Die Veranstaltung zum Thema "Islam zwischen Liberalismus und Fundamentalismus" ist dafür ein gelungene Beispiel: Etwa 200 Schüler sind gekommen, "freiwillig" wie Fick sagt. Gut ein Drittel der 16- bis 20-Jährigen sind Muslime, der Rest Christen oder solche, "die mit Gott gar nichts anfangen können oder Religion vorwiegend als Ursache von Konflikten sehen." Sie hören dem Imam zu und stellen nach anfänglicher Zurückhaltung Fragen.

Idriz, den Fick als "ausgewiesenen Islamexperten und ausgewiesen friedliebenden Menschen", vorstellt, plädiert in seinem Vortrag für einen liberalen "Euro-Islam": Engagierte Bürger islamischen Glaubens müssten sich einsetzen für Bildung, Freiheit, Rechtsstaat und Gleichberechtigung von Mann und Frau. "Wir müssen an vorderster Front gegen Radikalisierung und Missbrauch der Religion vorgehen", sagt Idriz. Muslime würden oft gleichgesetzt mit Terrorismus. Das führe zu Angst, Misstrauen und einem "anti-muslimischen Klima". Aber Hassprediger seien ebenso wenig repräsentativ für Muslime, wie Rassisten und Neonazis für die deutsche Gesellschaft. Radikalisierung finde nicht in der Moschee statt, sondern im Internet.

Idriz fordert Islamunterricht an allen Schulen, denn viele Muslime würden den Koran nur oberflächlich kennen. "Sie können Verse zwar auswendig, können sie aber nicht übersetzen", sagt Idriz, der einige Schlüsselstellen auf Arabisch und Deutsch zitiert. Falsche Übersetzungen führten zu einem "unverantwortlichen Umgang mit Menschen". Der Islam werde unterschiedlich praktiziert. "Aber der beste Muslim ist nicht der in Saudi-Arabien oder der Türkei, sondern der, der für die Gesellschaft am Nützlichsten ist" - ein Statement, das die jungen Leute mit Applaus quittieren. Idriz plädiert für eine Gleichberechtigung der Geschlechter, die im Koran verankert sei, aber sich in der Lebenswirklichkeit vieler Muslime nicht niederschlage. So seien etwa in der Tölzer Moschee, anders als in Penzberg, Frauen vom Freitagsgebet ausgeschlossen.

Den theoretischen Ausführungen des Imam stellen die Lehrer praktische Erfahrungen gegenüber: "Die Mehrheit der jungen Muslime lebt den Islam nicht so, wie sie das hier predigen", sagt Fick. So habe sich etwa eine junge Muslimin klar gegen das gemeinsame Beten von Frauen und Männern in der Moschee ausgesprochen, das sie als unschicklich empfinde. "Von unserer Seite kommt Offenheit", sagt Fick. "Von der anderen aber oft nur Blockade".

Cordula Allgäuer, Leiterin einer Integrationsklasse mit Schülern aus Syrien und Afghanistan, beklagt Konflikte zwischen traditionellen und liberalen Muslimen. Eine junge Muslimin will wissen, wie man sich verhalten solle, wenn man wegen seines Kopftuches keine Arbeit finde. "Ein Kopftuch darf kein Hinderungsgrund sein, an der Gesellschaft zu partizipieren", betont Idriz. Zur Religionsfreiheit gehöre auch Religionsausübung, und dazu gehöre für viele Musliminnen ein Kopftuch. Vollverschleierung, die in Bayern für Lehrerinnen oder Richterinnen verboten ist, sei auch im Islam nicht vorgesehen. Eine deutsche Schülerin fragt, wie der Islam zur "Ehe für alle" stehe. Es müsse diese Freiheit geben, sagt Idriz. Das bedeute aber nicht, dass der Islam dies gutheiße - was im Übrigen auch für die meisten Katholiken gelte.

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