Benediktbeuern:Mit und ohne Plan

Lesezeit: 2 min

Über die Unterbringung von Flüchtlingen sprach Thomas Bigl. (Foto: wolfsbauer)

Landratsamt lobt Asylhelfer für Integrations-Strategie - und kritisiert den Freistaat

Von Klaus Schieder, Benediktbeuern

Als Thomas Bigl im Dietrich-Bonhoeffer-Haus an Rednerpult trat, hatte er gleich eine neue Zahl zu verkünden. Gerade an diesem Donnerstag habe der Landkreis die Marke von 1000 Flüchtlingen erreicht, sagte der für Asylbewerber zuständige Sachgebietsleiter vom Landratsamt. Dabei wird es bis zum Jahresende nicht bleiben. In den nächsten vier Monaten stehe man vor der Aufgabe, so viele Plätze zu schaffen wie in den dreieinhalb Jahren zuvor, sagte Bigl. "Das wird nicht ohne Pannen gelingen."

Mit dem Gesprächsabend zum Thema "Menschen auf der Flucht" begann die evangelische Kirchengemeinde Kochel ihre neue Reihe "Forum Bonhoeffer-Haus". Rainer Lenz grenzte den Diskussionsstoff schon zu Beginn ein. Es gehe nicht um große Politik, sondern um die Frage, was eine kleine Kommune bei der Aufnahme von Flüchtlingen leisten könne, sagte der Architekt, der Mitglied im Kirchenvorstand ist. Zugleich zitierte er das Ergebnis einer Umfrage, wonach 70 Prozent der Kriegsflüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren möchten, nur sieben Prozent wollten bleiben. Eine solche Statistik hat Bigl für den Landkreis nicht bekommen. Oftmals wisse man im Landratsamt ja nicht einmal, welche Religion, welche Schulbildung und welchen Familienstand ein Asylsuchender habe. "Wenn man keinen Plan hat für Integration oder Nicht-Integration, braucht man das auch nicht abzufragen", merkte er kritisch an. Bund und Freistaat hätten keine Strategie, "von staatlicher Seite passiert nichts". Im Landkreis funktioniere die Aufnahme der Menschen hingegen, da machten sich die 600 bis 800 ehrenamtlichen Helfer ihre Strategie selber. Sein Aufruf an alle: "Nehmen Sie die Flüchtlinge wahr!"

Ob der sprunghaft steigenden Zahl an Asylbewerbern räumte der Sachgebietsleiter ein, dass im Landratsamt ein planvolles Vorgehen nicht mehr möglich sei. Als Kapitulation apostrophierte er die Belegung der Turnhalle im Ickinger Gymnasium mit Schutzsuchenden. Aber das Konzept, die Menschen auf viele kleine Unterkünfte zu verteilen, musste der Landkreis längst aufgeben. Die Zukunft liege bei Objekten für bis zu 250 Personen, so Bigl. Wie es mit sozialem Wohnungsbau aussehe, wollten einige der knapp 50 Zuhörer wissen. Der liege im Landkreis derzeit brach, sagte der Sachgebietsleiter. Als "Leuchtturmprojekt" bezeichnete er deshalb das Vorhaben der Stadt Bad Tölz, ein Asylbewerberhaus zu bauen und später für Sozialwohnungen zu nutzen.

Deutlich mehr Arbeit als früher hat auch der ehrenamtliche Helferkreis in Kochel. Vor drei Jahren lebten acht Flüchtlinge in der Gemeinde, momentan sind es um die 80. Derzeit suche der Helferkreis dringend Familienpaten, sagte Sprecherin Elisabeth Voigt. Vor allem um junge Familien aus Eritrea kümmert sich der Helferkreis in Benediktbeuern, der aus "zwei kleinen homogenen Gruppen" besteht, wie Koordinatorin Marlies Jall berichtete. Ihr Wunsch: "Diese Familien brauchen deutsche Ansprechpartner." Ein Konzept für 18 bis 35 Jahre alte Asylbewerber vermisst Ralf Kriegel. Einige bekämen zwar einen Platz in der Berufsschule, andere fielen aber nach vier Monaten Deutschkurs in ein Loch, wieder andere bekämen gar nichts, monierte er. Handwerk und Industrie rief er dazu auf, den jungen Leuten eine Ausbildung zu ermöglichen. Dazu müssten sie aber die Sprache beherrschen, erwiderte Bigl. Auch der Landkreis habe für diese Altersgruppe keinen Plan.

Zohal Mohammadi saß manchmal bis 23 Uhr mit Kriegel zusammen, um Deutsch zu lernen. Vor zwei Jahren flüchtet die Zehntklässlerin aus Afghanistan und lobte im Interview mit Pfarrer Corvin Wellner die Hilfsbereitschaft der Menschen in Kochel. "Ich habe mich nie fremd gefühlt", sagte sie.

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: