Benediktbeuern:Keine Breitmaulfrösche!

Oder: Was ist ein Halbton unter Freunden? Workshop zur Aufführung der "Carmina Burana"

Von Sabine Näher, Benediktbeuern

Die entscheidende Frage wurde in einem Schuhgeschäft in Prien am Chiemsee gestellt: "Könnten Sie sich vielleicht vorstellen, bei uns in Iffeldorf den Evangelisten in der Matthäus-Passion zu singen?" Fragestellerin: Andrea Fessmann, Sängerin und Chorleiterin in Iffeldorf. Adressat: Martin Petzold, Kammersänger aus Leipzig. Beide sind im Sommer 2010 bei den Festspielen auf Herrenchiemsee in der "Zauberflöte" engagiert und treffen zufällig beim Schuhkauf aufeinander. Ostern 2011 singt Petzold den Evangelisten in Iffeldorf. Seither sind viele gemeinsame Konzerte, auch in Leipzig, gefolgt.

Jüngstes Kind der Sängerfreundschaft ist die Aufführung der "Carmina Burana" von Carl Orff an dem Ort, der als Fundort der Texte dem Werk den Namen gab: Gesänge aus Benediktbeuern. Wie schon bei der Premiere 2014 geht der Aufführung heuer ein Workshop voran, in dem Martin Petzold für die Stimmbildung verantwortlich ist. 80 Chorsänger sind am Sonntag angereist. Montag, 9.30 Uhr, geht es los. Während Fessmann im Barocksaal mit dem Gros des Chores probt, lädt Petzold einen Stock tiefer zur Stimmbildung. "Es geht nicht nur ums Singen, sondern um das Wecken eines ganzkörperlichen Bewusstseins, um ein Frei-Werden, ein Entschlacken der Seele", hatte der Kammersänger, dessen Karriere im Leipziger Thomanerchor begann, zuvor erklärt.

Rasch wird deutlich, was er damit meint. Eine fünf-köpfige Gruppe des zweiten Soprans wird direkt nach vorne ans Klavier komplimentiert: "Nicht die Nähe scheuen!" Und auch nicht den direkten körperlichen Kontakt. Denn ein Instrumentallehrer kann dem Schüler sehr viel am Instrument demonstrieren; beim Singen spielt sich dagegen alles im Körper des Sängers ab. So lässt Petzold als erstes alle den Rumpf vorbeugen, bis Kopf und Arme locker nach unten hängen, und tastet dann die Wirbelsäule langsam aufwärts. Jede Berührung ist ein Signal zum weiteren Aufrichten. "Das bringt uns die absolute Lockerheit, die wir unbedingt brauchen." Dehn- und Atemübungen folgen.

Andrea Fessmann Letzing, Gesamtleitung

Andrea Fessmann Letzing (rechts) hat die Gesamtleitung der Carmina-Aufführung in Benediktbeuern.

(Foto: Manfred Neubauer)

An die Wandtafel hat Petzold, der auch leidenschaftlicher Zeichner und Karikaturist ist, einen herrlichen Sängerkopf gemalt, an dem er die 1927 veröffentlichte Lehre eines Leipziger HNO-Arztes erläutert: "Vom Sprechen zum Singen wird oft der falsche Weg beschritten. Singen ist eine Art Sport mit dem Kehlkopf, der dazu aber den ganzen Körper benötigt . . ." An dem Kopf zeichnet er ein, wo die verschiedenen Vokale gebildet werden: "Diese auszugleichen ist die Herausforderung, die es zu bewältigen gilt."

Bevor es zu theoretisch wird, kommen die Töne ins Spiel. Petzold gelingt es, eine lockere Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Seine Kommentare sind humorvoll verpackt: "Montagfrüh. Was ist ein Halbton unter Freunden . . .?" Und - angesichts der spontanen Reaktion der Sänger, bei steigender Tonhöhe den Mund in die Breite statt in die Länge zu öffnen: "Breitmaulfrösche kann ich überhaupt nicht leiden!" Oder: "Ihr singt hier nicht über den schweren Traktor, der übers Feld holpert, sondern über den lieblichen Frühling. Denkt an kleine Frühlingsgötter, die durch die Lüfte schweben."

Derweil hat Fessmann im Barocksaal mit den Problemen zu kämpfen, die jeder Chorleiter kennt. "Habt ihr alle einen Stift dabei? Ihr sollt nicht ratschen, wenn ich etwas ansage." Doch ihre langjährige Praxis gibt ihr die nötige Gelassenheit. Mit ihrer dynamischen Art, den begeistert strahlenden Augen vertreibt sie alle Morgenmüdigkeit und lässt die Sänger vertrackte Passagen erst einmal "trocken" üben: Der Text wird rhythmisch gesprochen und Betonungsverschiebungen geübt. "Das ist typisch Orff: Der macht immer wieder solche rhythmischen Spielchen. Ihr müsst total übertreiben: Wenn ihr auf der Bühne 150 Prozent gebt, kommen vielleicht 100 Prozent rüber."

Kammersänger Martin Petzold

Kammersänger und Karikaturist: Martin Petzold studiert mit dem Chor die Carmina ein.

(Foto: Manfred Neubauer)

Zurück zu Petzold: Dort steht eine Passage an, die den Sängerinnen ein langes, emphatisches "Aaaah!" abverlangt: "Es muss so eine Art Verzückung sein. Ich weiß zwar nicht genau, was sich Orff da gedacht hat, aber es was bestimmt etwas ganz Schönes." Die Spitzentöne, die Orff dem Sopran abverlangt, sind dagegen schwerer zu bewältigen. "Ihr müsst hier eher an ein 'ü' denken, sonst kriegt ihr das nicht hin", rät Petzold. "Na güt!", tönt es zurück.

Klangkunst im Pfaffenwinkel: Carmina Burana, Samstag, 22. August, 18 Uhr, Kloster Benediktbeuern; Barbara Fleckenstein, Sopran, Martin Petzold, Tenor, Jens Müller, Bariton, Anne Horsch und Klaus Fessmann, Klavier, Chor der Klangkunst and friends, Munich Percussion Ensemble, Leitung: Andrea Fessmann Letzing. Karten unter 08856/36 95

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