Ultimate Frisbee:Ein Sport wie aus einer besseren Welt

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Kein Schiedsrichter, keine Fouls: Das sind die Grundsätze der Disziplin. In Geretsried werden die ersten bayerischen Meisterschaften ausgetragen.

Von David Costanzo, Geretsried

Der Angreifer wirft die Scheibe nicht, sondern setzt sie mit einem wahnsinnigen Drall aus dem Handgelenk in die Luft. Das Frisbee hebt ab und schwebt und schwebt über die Köpfe der Spieler, zwanzig, dreißig Meter durch die Halle, wie an einer unsichtbaren Schnur entlang, lautlos. "Up!", schreit ihm noch ein Verteidiger nach, um seine Mitspieler zu warnen. Zu spät. Der Gegenspieler hechtet und fischt die Scheibe aus der Luft. Punkt für die Angreifer, Jubel in der Sporthalle des Schulzentrums in Geretsried.

Es sind die ersten bayerischen Meisterschaften im "Ultimate Frisbee". So heißt der Mannschaftssport mit der schwebenden Scheibe: Fünf Spielerinnen und Spieler stehen sich in der Halle gegenüber und versuchen sie in der Endzone des Gegners zu fangen. Besonders gut gelingt das an diesem Wochenende der Mannschaft "Disc-o-Fever" aus Würzburg, die sich in einem spannenden Finale den Titel gegen das Team "Hormonspaß Augsburg" sichert. Die beiden jungen, einheimischen Geretsrieder Mannschaften mit dem Namen "Friss die Frisbee" müssen "Lehrgeld bezahlen", wie es Organisator Sebastian Dorn nennt. Sie landen auf den Plätzen elf und vierzehn - von vierzehn. Aber Gewinnen ist gerade hier nicht alles.

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(Foto: Hartmut Pöstges)

Wenn einer gut wirft, freuen sich alle, nicht nur die Mannschaftskollegen.

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(Foto: Hartmut Pöstges)

In Geretsried konnten die Zuschauer am Wochenende 160 Spieler in 14 Mannschaften erleben.

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(Foto: Hartmut Pöstges)

Die Geretsriederin Franziska Meyer ist Junioren-Nationalspielerin und zeigt einen Rückhand-Wurf bei den bayerischen Meisterschaften im Team.

Denn Ultimate Frisbee ist ein Sport wie aus einer besseren Welt, es zählt der "Spirit of the Game", der Geist des Spiels, der auch durch die beiden Hallen des Schulzentrums weht: Es gibt keine Schiedsrichter, keinen Körperkontakt und keine Fouls. Meinungsverschiedenheiten klären die Spieler untereinander, im Zweifel wird der Spielzug wiederholt. Gelingt einem Sportler ein guter Wurf oder ein guter Fang, wird er als Anerkennung nicht nur von seinen eigenen Leuten, sondern auch vom Gegner abgeklatscht. Mädchen und Jungs, Frauen und Männer können gemeinsam aufs Feld gehen. "Es ist einfach der tollste und fairste Mannschaftssport der Welt", sagt Manuela Geier, die für die "Seichtwasserschnorchler München" auf den Platz geht und den erst vor einem Jahr gegründeten bayerischen Landesverband vertritt.

Der Sport wird seit Jahrzehnten in Deutschland gespielt, gerade München gilt mit einem halben Dutzend Teams und Meistertiteln in Serie als Hochburg. Nun will die Disziplin den lustigen Mannschaftsnamen zum Trotz professioneller werden, denn sie befindet sich weiter im Aufwind - und zwar ziemlich genau so, wie ein Frisbee aufsteigt: langsam und lautlos. Die Zahl der Spieler wächst stetig. Von rund 10 000 Sportlern und einem Wachstum von zehn Prozent jährlich spricht der Bundesverband. Früher schleuderten praktisch ausschließlich Studenten in Uni-Städten die Wurfscheiben in den Wind. Mittlerweile fliegen auch in 24 000-Einwohner-Städten wie Geretsried Frisbees - die Disziplin stellt sich breiter auf. Und ist immer noch meist nur Insidern bekannt. "Viele Eltern der Spieler kommen in die Halle", sagt der Geretsrieder Organisator Dorn, "weil sie noch nie gesehen haben, was ihre Kinder da eigentlich spielen."

In Geretsried hat alles vor sieben, acht Jahren angefangen, als sich Jugendliche aus der Leichtathletik-Abteilung des TuS zum Aufwärmen die Scheiben zuwarfen. Zehn von ihnen gründeten die erste Mannschaft. Mittlerweile verzeichnet die Abteilung 40 Aktive. Mit Felix Haimerl hat der erste Sportler eine C-Trainer-Lizenz erworben. Und mit Franziska Meyer haben die Geretsrieder sogar eine waschechte Juniorennationalspielerin in ihren Reihen. Als 17-Jährige war sie im Sommer bei der U20-Weltmeisterschaft in Breslau Teil der Mannschaft, die den siebten Platz holte.

Der große Traum der deutschen Scheiben-Schleuderer sind die Olympischen Spiele. Dafür müssen sie aber erst einmal vom Sportbund anerkannt werden - darum wollen sie besonders an Schulen neue Mitglieder gewinnen und ihren Verband stärken. Wie weit es mit dem Geist des Spiels her ist, wenn es um Gold, Silber und Bronze geht, wird sich dann zeigen. Schon heute ist es eine Gratwanderung: Die US-Amerikaner setzen längst Unparteiische ein, die sie aber nicht Schiedsrichter, sondern "Observer" nennen, also Beobachter. Und in der deutschen Frisbee-Liga gibt es vom kommenden Jahr im Finale Doping-Tests. Die Geretsrieder Organisatoren fürchteten, dass vor lauter Ehrgeiz kaum Sportler zur Spieler-Party kommen.

Die Sorgen waren aber unbegründet. Seinen Hippie-Charme hat sich der Sport nämlich erhalten. Nicht nur auf dem Feld, auch auf der Party wird ein Sieger gekürt - das Team, das am längsten durchhält. Weil ein Ende nicht abzusehen war, musste der Feier-Wettbewerb im TuS-Vereinsheim um vier Uhr nachts per Partyspiel entschieden werden. Diesen Titel nahmen die "Tiefseetaucher" mit nach München.

© SZ vom 14.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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