Barrierefreiheit:Endstation Bordsteinkante

Behinderte haben es in Bad Tölz schwer - für sie tun sich im Alltag eine Menge unüberwindbare Hürden auf. Jetzt will die Stadt das Thema Barrierefreiheit in Angriff nehmen und ein Konzept entwickeln.

Von Klaus Schieder

Stadtrat Bad Tölz

Vier Helfer waren nötig, um Dieter Höflich samt Rollstuhl in den Sitzungssaal des Tölzer Rathauses zu befördern, wo der Stadtrat über das Thema Barrierefreiheit diskutierte. Unser Bild entstand entstand Ende des vergangenen Jahres.

(Foto: Manfred Neubauer)

Dieter Höflich kommt mit seinem Rollstuhl in Bad Tölz bisweilen nicht vorwärts. Möchte er in die Stadtbibliothek, muss er klingeln, damit ihn ein Mitarbeiter über die Eingangsstufe hievt. Im Rathaus, das 2014 umgebaut wird, geht es ihm kaum anders. "Da muss ich jemanden bitten, damit er mir hilft", sagt Höflich, der dem Seniorenbeirat des Landkreises angehört. Vor allem aber moniert er, dass etliche Bordsteine in der Kurstadt noch immer viel zu hoch seien. "Mit dem Rollstuhl kommt man da nicht drüber, sondern bleibt hängen."

Vor knapp zwei Jahren hat die Stadt das Thema Barrierefreiheit auf ihrer Agenda nach oben gesetzt. In ihrem Auftrag erstellten das Handwerker-Bündnis "Barrierefreie Gestaltung von Lebensräumen" (BGvL) und das Logistik-Kompetenzzentrum Prien eine Dokumentation. In der ersten Phase wurden darin 20 Objekte aufgelistet, unter anderem die Tourist-Information, das Haus des Gastes, der Bahnhof, Bushaltestellen, Spielplätze, Freizeiteinrichtungen, Kirchen, Stadtmuseum, Stadtbibliothek und Wanderwege. Zu all dem liegen detaillierte Beschreibungen, Analysen und Verbesserungsideen vor. "Das ist ein dicker Ordner", sagt Bürgermeister Josef Janker (CSU). Im Oktober soll der Stadtrat nun über größere Umbauten zur Barrierefreiheit entscheiden und dafür Geld im Haushalt 2014 und 2015 bereitstellen.

Ein paar kleine Vorschläge hat die Stadt im vergangenen Halbjahr schon umgesetzt. Sie brachte Geländer an, baute Toiletten um und große Waschbecken ein. Zudem stellte sie die Beschreibungen aus der Dokumentation auf ihre Homepage, damit gehbehinderte Touristen vorab einschätzen können, ob und wie sie in bestimmte Gebäude gelangen, etwa ins Kurhaus. Ein Rollstuhlfahrer sehe dadurch, ob er aus eigener Kraft über eine Rampe komme oder einen Helfer brauche, sagt Janker. Dass dies noch nichts mit Barrierefreiheit zu tun hat, ist dem Bürgermeister bewusst. "Aber für Menschen mit Handicap ist es von Nutzen, zu wissen: Was erwartet mich da?"

Noch immer etliche Barrieren, bislang jedenfalls. Das zeigt auch die Liste, die Therapeuten und Patienten von "Neurokom Isarwinkel", einer Reha-Einrichtung für Schädelhirnverletzte, zusammengestellt haben. Darin beklagen sie neben zu hohen Bordsteinen unter anderem zu schmale Gehsteige wie an der Königsdorfer Straße und der Nockhergasse, zu steile Rampen - sofern vorhanden - zu Läden oder Arztpraxen, zu kleine Umkleidekabinen im Freibad. Im Kino am Moraltpark gibt es zwar einen Aufzug, der aber nur bis zur Kasse führt und nicht weiter über die Stufen hinauf zu den Vorführsälen.

Am Busbahnhof am Isarkai ist das Behinderten-WC lediglich über die Herrentoilette zu erreichen. Schiefe Blicke und dumme Sprüche habe es dort schon mehrmals gegeben, berichtet Ergotherapeutin Dolores Wiedemann. Solche Erfahrungen sind für Höflich nichts Neues. In den Münchner Kammerspielen müsse er mit dem Rollstuhl auch durch die Damentoilette aufs behindertengerechte WC, erzählt er. "Da werden wir als Neutrum angesehen."

Janker hat die Liste studiert, schränkt jedoch ein, dass sich nicht alle Wünsche erfüllen lassen. Als Beispiel nennt er die engen Gehsteige an der Königsdorfer Straße und der Nockhergasse. Wegen der vorgeschriebenen Straßenbreite könne man sie nicht erweitern, sagt er. Ein anderes Problem: Viele Häuser in Tölz stehen unter Denkmalschutz und dürfen nicht einfach umgebaut werden. Das weiß auch Silvia Ulze, Geschäftsführerin von Neurokom. Eine komplette Barrierefreiheit sei "in einer historischen Stadt mit Baudenkmälern einfach nicht möglich", sagt sie. "Die Welt besteht nun mal aus Barrieren, wir müssen nur lernen, damit gemeinsam umzugehen."

Janker zufolge ist es mitunter auch schwierig, wegen einer hohen Eingangsstufe eine Rampe anzulegen. Die dürfe nicht mehr als sechs Prozent Steigung haben, "aber wenn nur ein Meter zu überbrücken ist, dann wird sie ewig lang". Was die hohen Bordsteine anbelangt, so werde die Stadt sie bei Umbaumaßnahmen absenken, verspricht er. Und mit dem Kino-Betreiber am Moraltpark will er über einen Zugang für behinderte Menschen zu den Filmsälen reden. "Ich bin sicher, dass sie ein offenes Ohr haben."

Barrierefreiheit hat für den Bürgermeister allerdings nicht bloß mit Baumaßnahmen zu tun. Es gehe auch darum, "Barrieren in den Köpfen" bei Menschen ohne Behinderungen zu beseitigen, betont er. Deshalb habe die Stadt alle Mitarbeiter im Rathaus und der Tourist-Information, die Publikumsverkehr haben, im Umgang mit gehandicapten Besuchern geschult. Die Stadt gebe sich wirklich Mühe und habe "ein offenes Ohr für Behinderte", attestiert Höflich. Einen Kritikpunkt hat er aber doch noch: Die Stadt sollte einmal darauf achten, dass manche Cafés in der Marktstraße mit ihren Stühlen und Tischen nicht das flache Trottoir vor ihren Eingangstüren für Rollstuhlfahrer versperren.

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