Bakterien in Wurst:Das Risiko der industriellen Fleischproduktion

Bakterien in Wurst: Die Listerien wurden in einem "Original Bayerischen Wacholderwammerl, 300 Gramm" gefunden.

Die Listerien wurden in einem "Original Bayerischen Wacholderwammerl, 300 Gramm" gefunden.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)

Jahrelang hatten die Behörden an der Metzgerei Sieber nichts zu beanstanden. Und doch stehen deren Produkte nun im Verdacht, für den Tod mehrerer Menschen verantwortlich zu sein.

Von David Costanzo

Selbst als die Lebensmittelkontrolleure bereits Bierwurst, Leberkäse und Lyoner der Großmetzgerei Sieber aus den Kühlregalen räumen, wundert sich der Tölzer Landrat Josef Niedermaier noch: "Das ist einer der fortschrittlichsten und saubersten Betriebe bei uns." Jahrelang habe es keine Beanstandungen gegeben. Nicht einmal die Spezialeinheit des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit entdeckt größere Mängel in der Geretsrieder Fleischfabrik.

Sieber gilt den Behörden nicht nur als Betrieb wie jeder andere auch, sondern als vorbildlich. Galt, muss es inzwischen wohl heißen, das vorläufige Ende ist bekannt: Die Gesundheitsbehörden haben den Verdacht, dass Wurst und Wammerl der Firma für die bislang größte bekannte Erkrankungswelle durch Listerien in Deutschland verantwortlich sind. 76 Kranke, acht Tote, vier davon in Bayern, zwei Fehlgeburten - einer der saubersten Metzger?

Wie das zusammenpasst, zeigen Informationen, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Sie zeichnen den Weg allen Fleisches in der modernen Industrie nach, vom Hunderte Kilometer entfernten Schlachthof, durch die Wurstfabrik, auf die Teller der Kunden - welche in seltenen Fällen auf der Intensivstation landen.

Dort liegt nach jüngsten Angaben noch eine 86-jährige Patientin aus Franken. Ein zweijähriges Kind war erkrankt. Die letzte Infektion des Listeriose-Ausbruchs datieren die Experten auf den 3. Mai, ein Rheinland-Pfälzer kämpft mit einem schweren Verlauf. Keine drei Wochen später stellen die Behörden die Verbindung zu Sieber her. Das hatte niemand kommen sehen.

Die Metzger beobachten den Fall mit Sorge

Natürlich meckerten die Kontrolleure immer wieder. Die Verpackung könnte in einen noch reineren Reinraum verlegt werden. Die Zwischengarung könnte auf höheren Temperaturen stattfinden. Darmreste könnten aus der Kutterei entfernt werden, also aus dem Bereich des Fleischwolfs. Und die Mitarbeiter mit Nagelpilz könnten aus der Produktion entfernt werden. Das waren die Ratschläge des Landratsamts an die Großmetzgerei. Geringe Mängel seien das, Standard, heißt es, komme immer wieder auch anderswo vor.

Wobei Großmetzgerei vielleicht gar nicht der richtige Begriff ist: Er klingt nach Hackbeil und Holzbrett, nach Kittel und Blut, nach aufgekrempelten Ärmeln und Schweiß. So derb ging es bei Sieber nicht zu. Es ist wohl eher eine Fleischfabrik: Alles weiß, alles gekachelt, an der Spitze ein Manager.

Die Laster kamen teils von weit her, von Schlachthöfen aus Nordrhein-Westfalen, aus Baden-Württemberg sowie aus Bayern. Hundert Tonnen rohes Fleisch, das sind drei bis vier große Sattelzüge, fuhren die Mitarbeiter pro Woche auf der einen Seite in die schmucklose 3000-Quadratmeter-Halle im Gewerbegebiet. Dort wurde es weiter gelagert, gekühlt, zerlegt, gewolft, gewürzt, gebrüht, geduscht, gekühlt, geschnitten, verpackt und verschweißt. Auf der anderen Seite der Halle verließen wiederum Hundert Tonnen verarbeitetes Fleisch die Fabrik - eben Wurst und Wammerl, aber auch vegetarische Aufschnitte mit Gürkchen oder extrafein, die übrigens auf eigenen Produktionslinien hergestellt wurden. Dazu braucht es heutzutage insgesamt nur 120 Mitarbeiter, inklusive Verwaltung.

Der Ton wurde rauer, als die ersten Listerien auftauchten - im berüchtigten "Original Bayerischen Wacholderwammerl", das Mitte März in einem Geschäft in Franken entdeckt wurde. Jetzt sollte auch das Schneiden der Wammerl verlagert werden, die Listerienüberwachung wurde verschärft und um ein externes Labor erweitert. Kochanlagen und Prüfthermometer wurden kontrolliert und justiert.

Aber auch das alles, so die Darstellung der Behörden, hat nichts geholfen. Was kommt, ist ebenfalls bekannt: Der Bakterienstamm auf dem Wammerl passt laut den Gesundheitsbehörden mit größter Wahrscheinlichkeit zur Erkrankungswelle. Es folgen Lebensmittelwarnung, Rückruf, Produktionsstopp, Insolvenz, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, Razzia - schließlich bestätigt das Verwaltungsgericht die einschneidenden Maßnahmen der Behörden. Mittlerweile liegen mehr als ein Dutzend positiver Proben vor, viele davon rangieren unter dem Grenzwert. Die Branche beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Der Hauptgeschäftsführer des bayerischen Fleischerverbands, Rainer Hechinger, nimmt Sieber einerseits in die Pflicht, wenn er sagt: "Ein Metzger, der sauber arbeitet, muss sich vor nichts fürchten. Und sein Kunde auch nicht." Andererseits gelte in der modernen Industrie: Je mehr Stationen zwischen Zucht und Verkauf, je größer die Betriebe, je weiter das Handelsnetz, desto eher kann auch etwas schiefgehen, sagt Hechinger. Und desto schwieriger kann es fallen, Mängel aufzudecken: Die Überwachung obliegt immer noch den Landratsämtern - vom Backshop bis zur großen Fleischfabrik. Diese Kleinstaaterei passt vielen Verbraucherschützern nicht mehr in eine globalisierte Lebensmittelwelt. Früher genügte es vielleicht, dem Bäcker am Eck auf die Finger zu schauen und seine Kunden in der Nachbarschaft zu ermitteln. Heute tüfteln Dutzende Wissenschaftler jahrelang an epidemiologischen Puzzlen wie diesem Listeriose-Ausbruch seit 2012 in ganz Süddeutschland. Noch immer haben die Experten nur einen starken Verdacht, aber keine Gewissheit. Noch schwerer macht es ihnen dieser besonders gemeine Keim, der sich selbst im Körper von Gesunden wohlfühlt. Die Sieber-Mitarbeiter mussten Stuhlproben abgeben. Listerien wurden gefunden, bestätigen die Behörden, jetzt läuft die genaue genetische Analyse.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: