Bad Tölz-Wolfratshausen:Wie alles anfing

Von Klaus Schieder, Bad Tölz-Wolfratshausen

Es war am 9. Dezember 2011, als Landrat Josef Niedermaier (FW) einen überraschenden Anruf und gleich darauf auch eine E-Mail erhielt. Die Regierung von Oberbayern teilte ihm mit, dass sie dem Landkreis zehn Asylbewerber zuweist, die sie selbst nicht mehr unterbringen kann. Im Landratsamt herrschte zunächst Ratlosigkeit. "Die erste Frage war, wer ist dafür zuständig", erinnert sich der Landrat. Das war Eugenie Grünwald, die sich auf ihrer Vollzeitstelle allerdings bloß zu einem Drittel dem Thema Asyl widmen sollte. Die zweite Frage: Wo sollten die Asylbewerber unterkommen? Sie wurden in ein Haus in Bad Heilbrunn gebracht. So weit, so gut. "Aber uns war schnell klar, dass wir nicht so verfahren können wie in den Neunzigerjahren zur Zeit des Jugoslawienkriegs - und so ist die Maschinerie angelaufen", sagt Niedermaier im Rückblick auf fünf Jahre Flüchtlingspolitik im Landkreis.

Viel hat sich seither geändert. Aus einer Vollzeitstelle wurde ein Sachgebiet mit 29 Mitarbeitern, 14 weitere in andren Abteilungen des Landratsamts sind ebenfalls mit Unterbringung, Grundversorgung und Integrationsmaßnahmen für Schutzsuchende befasst. Aus zehn Asylbewerbern wurden mehr als 180-mal so viele. Auf dem Höhepunkt der Zuwanderung im Herbst vorigen Jahres kamen jede Woche 57 Flüchtlinge auf der Tölzer Flinthöhe an. Die Regierung aktivierte den Notfallplan, worauf die Turnhallen der Geretsrieder Mittelschule und des Tölzer Gymnasium belegt wurden und für den Sportunterricht ausfielen. Das sollte erst sechs Wochen lang so sein, am Ende wurden es sechs Monate. Im Landratsamt gab es kaum noch einen Beamten oder Angestellten, der nicht mit der Unterbringung von Flüchtlingen beschäftigt war. "Eine solche Hochphase möchte ich nicht noch einmal erleben", sagt der Landrat. Seinen Mitarbeitern zollt er ein "großes Dankeschön". Das sei "eine super Truppe".

Einen ausfüllenden Nebenjob bekam Thomas Bigl, Sachgebietsleiter Sozialwesen im Landratsamt. Unverdrossen tourte er monatelang landkreisauf, landkreisab durch die Städte und Gemeinden, um in Vorträgen über die aktuelle Flüchtlingssituation zu informieren und Missverständnissen vorzubeugen. In manche Kommunen kam er deshalb gleich drei Mal. Die offene und frühzeitige Aufklärung von Bürgermeistern und Gemeinderäten, aber auch der Bevölkerung ist für den Landrat ein gewichtiger Grund, weshalb die Aufnahme der Schutzsuchenden fast immer geräuschlos verlief. "Es gab kritische Stimmen, aber letztendlich waren die Leute da und haben geholfen", sagt er. Nur einmal befürchtete er, dass die Stimmung kippen könnte, als falsche Gerüchte kursierten, die Flüchtlinge bekämen umsonst teure Handys und Designerturnschuhe. Der Unsinn habe ihn verstört, sagt er. "Wir hätten das mit Argumenten nicht mehr einfangen können." Seine Angst vor einer gefährlichen Atmosphäre verschwand jedoch wieder. "Es ist nichts passiert."

Eine Szene ist Niedermaier aus den fünf Jahren besonders im Gedächtnis geblieben: Eines Tages sah er Eugenie Grünwald, wie sie selbst eine Palette mit Wischtüchern und Haushaltsmitteln in eine Asylunterkunft schob. "Das ist für meine Asylbewerber", habe sie gesagt. Unter den zehn Flüchtlingen, die 2011 nach Bad Heilbrunn kamen, befand sich auch ein kurdischer Syrer aus Aleppo. Der Schreiner reiste mit seiner Frau und seinem damals einjährigen Sohn ein. Mittlerweile hat der 32-Jährige auch eine Tochter, arbeitet für eine Spedition und lebt mit seiner Familie in einer Wohnung. Geld vom Staat braucht er nicht.

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