Energiewende:Werkzeug für die Praktiker

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Die Energiewende Oberland und zahlreiche Wissenschaftler präsentieren ein Forschungsprojekt zur Autarkie bis 2035.

Von Matthias Köpf, Bad Tölz-Wolfratshausen

Der Pumpspeicher am Jochberg zum Beispiel: Dient er der Energiewende, ist er für sie womöglich sogar unerlässlich? Oder zerstört er einen beliebten Ausflugsberg für Einheimische und Tagesausflügler, zum Schrecken der Naturschützer und der Tourismus-Werber? Oder alles zusammen? Und dann? Nach Angaben des Tölzer Stadtwerke-Geschäftsführers Walter Huber liegen die Pumpspeicher-Pläne nicht nur auf Eis, sondern gleichsam ganz unten im Tiefkühlfach. Fragen wie diese könnten sich aber auch in ähnlichen Zusammenhängen stellen, gerade in einer Region, die bis 2035 energieautark werden will.

Wie Bürger und Politik in den drei Landkreisen Bad Tölz-Wolfratshausen, Weilheim und Miesbach damit umgehen können, soll in den kommenden fünf Jahren ein Forschungsprojekt der Bürgerstiftung Energiewende Oberland und zahlreicher Wissenschaftler beleuchten, das vom Bund mit 3,4 Millionen Euro dotiert ist.

Hinter den Kulissen wird schon seit Oktober geforscht, Erkenntnisse aus der Praxis von EWO und Tölzer Stadtwerken sollen dabei genauso wichtig sein wie die theoretischen Schlüsse daraus, die wiederum in die Praxis zurückwirken sollen. Mit der Auftaktveranstaltung am Dienstagabend im Tölzer Landratsamt präsentierten die EWO und ihre Partner das Vorhaben öffentlich - die Bürgerstiftung mit einigem Stolz, sieht sie sich innerhalb des Projekts doch auf Augenhöhe mit der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, dem Ifo-Institut und der Hochschule Kempten. Von dort kommen die gut zwei Dutzend beteiligten Forscher, darunter Ingenieure, aber vor allem auch Sozial-, Wirtschafts- und Naturwissenschaftler.

Professor Wolfram Mauser vom Lehrstuhl für Geografie und Fernerkundung an der LMU München beteiligt sich am Forschungsprojekt. (Foto: Manfred Neubauer)

Im Zentrum stehen nicht technische, sondern geografische und gesellschaftliche Fragen, zu denen zehn Doktorarbeiten entstehen sollen: Wie in der Landwirtschaft die Lebensmittelproduktion mit den Anbau von Energiemais für Biogasanlagen konkurriert, zum Beispiel. Was Solarpaneelen auf allen Dächern mit alten Bauerndörfern und den Ortskernen von Tourismusgemeinden machen oder warum die Energiewende auch eine große Umverteilungsaktion ist: Von allen Stromkunden hin zu denjenigen, die ein Eigenheim besitzen, um sich darauf eine Solaranlage subventionieren zu lassen, oder die jedenfalls genug Geld haben, um es in einen Bürgerwindpark zu investieren.

So nannte der EWO-Aufsichtsratsvorsitzender Wolfgang Seiler als wichtigsten Körperteil, an dem man die Menschen für die Energiewende packen müsse, weder Hirn noch Herz, sondern den Geldbeutel. Aus seiner Sicht ist die Energiewende ein komplexes System, in dem viele Faktoren ineinandergreifen müssten. Das System sei sogar so komplex, dass es am besten technisch simuliert werden müsse, hieß es von den Wissenschaftlern bei der Auftaktveranstaltung. Ein wichtiges Ziel des "Innovationen für ein nachhaltiges Land- und Energiemanagement auf regionaler Ebene" oder kurz "Inola" genannten Projekts ist es daher, ein "Konsenstool" zu entwickeln. Das soll am Computer verschiedene Vorhaben zur Engewende unter verschiedenen Einflüssen wie politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen simulieren können. Das Werkzeug soll den Konsens in Politik, Wirtschaft und Bürgern, ohne den die Energiewende nach Ansicht aller Beteiligten nicht funktionieren kann, dadurch herstellen helfen, dass es Bedingungen und Auswirkungen einzelner Entscheidungen so sichtbar macht, dass aufgeklärt darüber diskutiert werden kann.

Eine solche Debatte wird trotzdem kontroverser Verlaufen als die Podiumsdiskussion vom Dienstag, bei der die Professoren Claudia Binder und Wolfram Mauser sowie Seiler, Huber, Wolfratshausens Bürgermeister Klaus Heilinglechner, der Miesbacher Touristiker Harald Gmeiner und Bauern-Kreisobmann Peter Fichtner mögliche Interessengegensätze zwar nicht gänzlich verschwiegen, aber vor allem die Chancen der Energiewende und des Forschungsprojekts betonten.

© SZ vom 30.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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