Bad Tölz-Wolfratshausen:Verzweifelt auf der Suche

Bad Tölz-Wolfratshausen: Elfie Blank-Böckl ist Geschäftsführerin des sozialen Netzwerks Wolfratshausen. Sie hilft Menschen bei der Wohnungssuche, die immer schwieriger wird.

Elfie Blank-Böckl ist Geschäftsführerin des sozialen Netzwerks Wolfratshausen. Sie hilft Menschen bei der Wohnungssuche, die immer schwieriger wird.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Die Mieten im Landkreis steigen. Vor allem diejenigen, die es ohnehin schon schwer haben, finden kaum mehr eine bezahlbare Wohnung - etwa Alleinerziehende oder Arbeitslose

Von Pia Ratzesberger, Bad Tölz-Wolfratshausen

Von außen wirkt es so als hätte es die Familie Stadel ziemlich gut getroffen mit ihrem neuen Zuhause. Bodentiefe Fenster, strahlende Fassade, ein kleiner Garten - wer würde da nicht gerne einziehen. Hinter der Haustüre aber, schon im Flur, trübt das Bild. Kabel stechen aus den Mauern, offene Fugen klaffen am Boden, in einem Raum im Erdgeschoss hausen Enten in einem Verschlag. Wer zu Familie Stadel will, muss die Treppe hinauf, in diesem Gebäude, das so viel mehr nach Baustelle aussieht als nach Wohnhaus. Ute Stadel öffnet die Türe, hinter ihr zwei Betten, Fernseher, Ofen und Esstisch. Das hier ist Küche, das hier ist Wohnzimmer. Das hier ist Schlafzimmer. Das hier ist alles, was ging.

Aus ihrer alten Wohnung musste die Familie, die mit ihrem echten Namen nicht in der Zeitung stehen will, Ende vergangenen Jahres kurzfristig ausziehen. Ute Stadel arbeitet in Teilzeit, sie ist alleinerziehend, ihre beiden Töchter haben keine feste Anstellung. Jetzt wohnt die 48-Jährige mit ihren zwei erwachsenen Kindern und dem Freund der einen Tochter hier im zweiten Stock, in zwei Zimmern. 750 Euro warm zahlen sie im Monat. Das ist alles, was ging.

Vor allem diejenigen, die es ohnehin schwer haben, etwa Arbeitslose oder Alleinerziehende, finden im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen immer seltener ein bezahlbares Appartement. Die Durchschnittsmiete beträgt einer neuen Studie des Immobilien- und Maklerverbandes zufolge pro Quadratmeter etwa zwischen acht und dreizehn Euro, Tendenz steigend. Weil in München die Mieten immer höher klettern, ziehen auch in den umliegenden Landkreisen wie Bad Tölz-Wolfratshausen die Preise an. Schon eine Einzimmerwohnung koste oftmals mehr als 500 Euro, sagt Ines Lobenstein von der Wohnungslosenhilfe der Caritas. "Wenn Sie sich mit Ihrem Einkommen im Hartz-IV-Niveau bewegen, können Sie den freien Immobilienmarkt vergessen."

Auf Ute Stadel trifft das zu. Die 48-jährige verdient im Supermarkt etwa 1000 Euro netto monatlich. Ihr Vertrag geht über 20 Stunden, eine Vollzeitstelle gibt es nur für die Marktleitung - aber nicht für Kassiererinnen. Stadel sitzt am Esstisch, ihre Hände klammern sich um eine Kaffeetasse, der Freund der Tochter klappt die Lasche seines Energydrinks nach oben. "Wir kommen schon gut aus miteinander, oder?", sagt Stadel zu ihrem Mitbewohner. "Klar, doch", sagt der und nimmt einen Schluck. Sie müssen das auch. Da drüben beim Fenster schlafen Freund und Tochter, weißes Bett, lila Decke. Daneben der Fernseher, gerade läuft RTL. Die Mutter legt sich abends nur ein paar Schritte weiter in ein schmales Holzbett neben der Küchenzeile, die andere Tochter wohnt im Zimmer nebenan. Gerade hat sie einen Termin zur Probearbeit, die 23-Jährige hat ihre Anstellung erst am vorigen Tag verloren. Kurz nach Arbeitsbeginn rief sie bei Ute Stadel an, die Mutter könne sie jetzt direkt wieder abholen, nachdem sie die Tochter eben erst zur Arbeit gebracht hatte. "Dann bin ich halt noch einmal losgefahren", sagt Stadel. Sie seufzt.

Elfie Blank-Böckl amtet tief aus und richtet sich auf. "Kriegen wir schon hin", sagt sie und steckt ihre Brille ins krause Haar, zum Zopf gebunden. Die Geschäftsführerin des sozialen Netzwerks Wolfratshausen sitzt heute mit am Esstisch, sie hilft Familie Stadel bei der Wohnungssuche und bei den Anträgen für die Sozialhilfe. "Du brauchst unbedingt einen offiziellen Mietvertrag, das weißt Du, ja?", sagt sie zu Ute Stadel gegenüber. Milde, aber bestimmt. Blank-Böckl weiß, was zu tun ist, wenn andere nicht mehr weiter wissen - die Supermarktmitarbeiterin ist nicht die Einzige, die sie am Immobilienmarkt derzeit unterstützen muss.

Auf dem Schreibtisch von Blank-Böckl, am im dritten Stock des Hans-Urmiller-Rings 46 in Wolfratshausen, liegt ein handgeschriebener Brief, vom Oktober vergangenen Jahres: "Vielleicht weißt Du jemanden, der mir eine kleine Hütte vermieten würde? Ich bräuchte nur Strom und fließendes Wasser, ich würde natürlich Miete zahlen und könnte Hausaufgabenbetreuung oder andere Verpflichtungen grundsätzlich übernehmen", heißt es darin.

Eine ältere Dame, der Blank-Böckl in der Vergangenheit bereits geholfen hat, wandte sich in ihrer Not an die Geschäftsführerin des sozialen Netzwerkes. Wie so viele in diesen Tagen. "Fällt Ihnen was auf?", fragt Blank-Böckl. "Die schreibt nur von Strom und Wasser, aber was ist mit Heizung? Will die sich ernsthaft Kerzen anzünden?"

Ach, das sei doch alles verrückt, sagt die 49-Jährige und lässt sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen. Um sie herum, an Computerbildschirm und Wand viele kleine Botschaften, die wohl Mut vermitteln sollen in einem Job, in dem man den Mut schon einmal verlieren kann: "In der Ruhe liegt die Kraft" steht da oder "Jeder Tag ohne Lächeln ist ein verlorener Tag".

Sieben Tage die Woche arbeitet Blank-Böckl momentan, von zehn bis fünfzehn Leuten weiß sie, die derzeit ganz akut eine Wohnung suchen. Sie weiß aber auch, dass sie für manche Paare oder Familien schon seit Jahren nach bezahlbaren Appartements sucht - und seit Jahren keine gefunden hat. Der alten Dame etwa, der Absenderin des Briefes vom Oktober, konnte sie noch nichts vermitteln. Auch keine kleine Hütte, nur mit Strom und Wasser. Nicht einmal das.

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