Flüchtlinge:Hemdsärmeliges Willkommen

Die Mitarbeiter des Landratsamts wissen fast nichts über die Flüchtlinge, die spät am Mittwochabend in Bad Tölz ankommen. So bereiten sie Obst und Semmeln vor und schaffen einen ziemlich reibungslosen Ablauf

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Im Sitzungssaal, wo normalerweise nüchterne Haushaltszahlen und Sozialetats entschieden werden, liegt am Mittwochabend mitten auf dem Boden ein großer rosa Plüschhase. Ein kleines Mädchen hat ihn abgelegt, ganz kurz nur, um einen Schluck Wasser zu trinken und eine Banane zu nehmen, ehe sie den Stoffkameraden wieder ganz fest an sich drückt. Andere haben für ein paar Minuten ihr ganzes Leben im Sitzungssaal abgelegt, das sie mal in Plastiktüten, mal in Koffern bei sich tragen: Am Mittwochabend kamen rund 100 von insgesamt 150 Flüchtlingen am Landratsamt an. Dort wurden sie registriert, versorgt und anschließend in die Unterkünfte im Jodquellenhof und in die Containeranlage an der Lenggrieser Geiersteinstraße gebracht. Denn seit Mittwoch ist im Landkreis der sogenannte Notfallplan aktiv: Weil die Erstaufnahmeeinrichtungen derzeit voll belegt sind und keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen können, schickt die Regierung von Oberbayern insgesamt 150 Flüchtlinge nach Bad Tölz, wo das Landratsamt nun als Erstaufnahmeeinrichtung fungiert. Konkret: Wer am Mittwochabend und Donnerstagvormittag aus den Bussen stieg, war zuvor noch auf der Flucht. Sie haben folglich einen anderen Status als diejenigen, die bislang im Landkreis Unterkunft gefunden haben. Denn bei ihnen läuft bereits das Asylverfahren, das die neu Angekommenen erst noch beantragen müssen.

Notfallplan Asyl, Flüchtlinge Asylbewerber

Beim ersten Notfall-Plan im Juni kamen die Flüchtlinge zunächst im Tölzer Landratsamt an.

(Foto: Manfred Neubauer)

Rund 25 Mitarbeiter des Landratsamtes waren deshalb am Mittwochabend im Einsatz. Sie hatten organisatorisch Einiges zu bewältigen: Zum einen hätte die Regierung erst nachts einen Bus finden können, um die Flüchtlinge nach Tölz zu bringen. Weil das aber zu spät gewesen wäre, organisierte das Landratsamt kurzerhand den Transport mit eigenem Fuhrpark. Weil sich die Ankunft trotzdem bis in die Abendstunden zog, gab es keine Einkaufsmöglichkeit mehr. Darum schnürten die Mitarbeiter "Care-Pakete" mit Obst, Wasser und belegten Semmeln. Zu bedenken galt es auch, dass für muslimische Flüchtlinge derzeit Ramadan herrscht. "Wir wussten vorher gar nichts über die Ankommenden, weder ob es eher Familien oder Alleinreisende sind, noch woher sie kommen", sagte Hans-Ulrich Menrad, Pressesprecher des Landratsamtes.

Notfallplan Asyl, Flüchtlinge Asylbewerber

Die Armbänder zeigen, wer wo unterkommt.

(Foto: Manfred Neubauer)

Wie die Regierung die Kommunen informiere, "darüber verkneife ich mir jede Bemerkung", sagte Sachgebietsleiter Thomas Bigl. Aber: "Wir sind eben hemdsärmlig und packen einfach an", lobte Michael Foerst, Abteilungsleiter im Landratsamt die Beteiligten, die aus dem Notfallplan eine Tugend gemacht hätten und einen reibungslosen Ablauf schafften.

Als der erste Bus vor dem Eingang hielt, hatten sich die Mitarbeiter, Helfer und Übersetzer in weiße Kittel gekleidet. "Das dient zum Selbstschutz. Wir wollen nicht, dass irgendwas in die Kleidung geht, denn wenn man monatelang auf der Flucht ist, fängt man sich schon mal Krätze, Läuse oder Flöhe ein", erklärte Franz Hartmann, Leiter des Gesundheitsamtes. Die Stimmung bei den Ankommenden, bei denen der überwiegende Teil aus Afrika stammte, andere aus Osteuropa, war indes gut. Geduldig, manchmal auch freudig lachend warteten sie, bis sie an der Reihe waren. Zunächst wurden die persönlichen Daten erhoben wie Name, Herkunftsland und die Anzahl der mitgereisten Familienmitglieder. Daraufhin teilte Eugenie Grünwald den Flüchtlingen entweder eine Unterkunft im Jodquellenhof oder in Lenggries zu, was ein farbiges Band markierte. Alfred Krämer übergab jedem 100 Euro zu, die später mit den Leistungen verrechnet werden. "Damit sie sich morgen etwas zu essen kaufen können", erklärte er.

Donnerstagmorgen begann das Gesundheitsamt mit den medizinischen Untersuchungen. "Ein nicht unkomplizierter Vorgang", sagte Hartmann. Unter anderem würde den Flüchtlingen Blut entnommen und Stuhlproben genommen, um sie auf Infektionskrankheiten wie Hepatitis oder HIV zu testen. Auch eine radiologische Untersuchung stand an. Dass sich mögliche Krankheiten gerade im engen Miteinander der Flüchtlinge ausbreiten könnten, befürchtete Hartmann indes nicht: "Man überschätzt in der Regel die Gefahren. Die sind geringer als die, die von Reisenden in afrikanische oder tropische Länder ausgehen", sagte er. Zudem sei der große Teil recht fitte junge Leute: "Sonst hätten sie es wahrscheinlich gar nicht bis zu uns geschafft."

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