Naturschutz:Warum so viele Insekten sterben müssen

Bienen in Malvenblüten

Eine mit Pollen bedeckte Biene. Zu oft finden dieTiere nicht genügend Blüten.

(Foto: Manfred Neubauer)

Hochleistungslandwirtschaft und Gifte bedrohen Fauna und Flora. Nicht nur den Bienen und Schmetterlingen geht die Nahrung aus, auch Vögel hungern.

Von Ingrid Hügenell, Bad Tölz-Wolfratshausen

Mitte Mai hat Walter Wintersberger einen Anruf aus Bad Tölz bekommen. Ein Mauersegler war vom Himmel gefallen. "Der Vogel war völlig entkräftet", berichtet Sabine Tappertzhofen vom Landesbund für Vogelschutz (LBV). Winterberger, der Kreisvorsitzende des LBV, kaufte dem Mauersegler ein paar lebende Heimchen und päppelte ihn so auf. Die eleganten schwarzen Zugvögel leben von Insekten, die sie im Flug erbeuten. Offenbar hatte der Tölzer Vogel zu wenig Beute machen können. Die Beobachtung fügt sich in ein düsteres Bild: Der Naturschutzbund NABU hat schon im Januar Alarm geschlagen und vor einem neuartigen Insektensterben mit bislang unbekannten Folgen in Deutschland gewarnt.

Allein in Nordrhein-Westfalen sei in den vergangenen 15 Jahren die Biomasse der Fluginsekten um bis zu 80 Prozent zurückgegangen, hieß es. Ehrenamtliche Forscher fangen für den NABU seit den 1980er-Jahren Bienen, Hummeln, Schmetterlinge und andere fliegende Insekten - ihnen fiel der dramatische Schwund auf. Merken kann es aber auch jeder Autofahrer daran, dass er die Windschutzscheibe kaum noch von toten Insekten reinigen muss.

Der geschwächte Mauersegler ist offenbar kein Einzelfall. In Bayern hat der LBV bei der diesjährigen Stunde der Gartenvögel Auswirkungen auf die Vogelwelt feststellen müssen: Es wurden 20 Prozent weniger Mauersegler gesichtet als im Vorjahr. Noch nie habe es bei der Mitmachaktion ein so schlechtes Ergebnis für den Zugvogel gegeben, schreibt der LBV. Und auch Mehlschwalben gibt es immer weniger: Ihre Anzahl fiel um zehn Prozent. Schwalben ernähren sich ebenfalls von Insekten.

Insekten sind auch volkswirtschaftlich von immenser Bedeutung: Sie bestäuben alle Obstsorten sowie etwa 80 Prozent aller anderen Blütenpflanzen, darunter wichtige Gemüsesorten. Ohne Bienen gäbe es rasch einen gewaltigen Ausfall zum Beispiel bei Äpfeln und Kirschen, Tomaten, Zucchini oder Paprika.

Warum die Insekten verschwinden

Auslöser des Rückgangs gibt es einige, wenn auch die Ursachen noch nicht völlig geklärt sind. "Vieles deutet darauf hin, dass wir es mit einer weitreichenden Vergiftung der Insekten in unserer Umwelt zu tun haben", sagte NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller im Januar. Besonders Neonicotinoide, die seit Mitte der 1990er-Jahre in der Landwirtschaft eingesetzt werden, stehen im Verdacht, für das massenhafte Sterben verantwortlich zu sein, das einem Bericht im "Spektrum der Wissenschaft" zufolge ganz Europa betrifft.

Immer mehr Untersuchungen zeigen, dass diese Mittel weit über ihr Einsatzgebiet hinaus Schäden unter Honigbienen, aber auch in der gesamten Insektenfauna auslösen, erklärte Miller weiter. Zusätzlich nehmen überall blütenarme Hochleistungswiesen ebenso zu wie Maisäcker. Die Wiesen werden immer häufiger gemäht, oft sieben Mal pro Jahr, es blüht kaum noch etwas - den Sechsbeinern geht das Futter aus. Häufig kommen bei der Mahd zudem Maschinen zum Einsatz, die über sogenannte Aufbereiter das Gras gleich fürs Silo vorbereiten. Für viele Insekten sind sie Todesfallen.

Bienen in Freiburg

Gifte, die gegen Schädlinge eingesetzt werden, töten auch Bienen und andere nützliche Insekten.

(Foto: dpa)

Die Entwicklung bereitet dem Landesbund für Vogelschutz im Landkreis ebenso Sorgen wie den Imkern. Denn die Bienen leiden sehr, und die meisten Vögel sind auf Insekten mindestens zur Aufzucht ihrer Jungen angewiesen. LBV und Imker haben sich deshalb zusammengetan und die Gartenbauvereine im Landkreis mit ins Boot geholt. Nun wollen sie Kommunen wie private Gartenbesitzer davon überzeugen, ihre Grünflächen und Gärten naturnah zu gestalten. "Parks und Friedhöfe, Verkehrsinseln und Straßenbegleitgrün sowie Straßenränder und Böschungen bieten ein riesiges Potenzial an wertvollsten Naturschutzflächen", ist Wintersberger überzeugt. Der LBV berät zudem schon seit Jahren mit einigem Erfolg Golfplatzbetreiber im Landkreis, wie sie ihre Roughs in blütenreiche Wiesen verwandeln können. Auch das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) ist dabei.

Gemeinden wollen mit Blühstreifen gegensteuern

Während in manchen Orten im Landkreis schon wieder fleißig die bunten, aber ökologisch wertlosen Eisbegonien und ähnliches in die gemeindeeigenen Beete gesetzt werden, haben einige Kommunen die Frühjahrspflanzung verschoben. Sie wollen als Pilotgemeinden zusammen mit dem Naturgartenplaner Reinhard Witt und Michael von Ferrari, dem Umweltreferenten der Gemeinde Haar, naturnahe Blühstreifen entwickeln.

Witt und Ferrari haben das bereits in Gemeinden im Landkreis München getan. Witt war maßgeblich daran beteiligt, den Hof der Volksschule Benediktbeuern in einen Naturerlebnisgarten zu verwandeln. Bei einer nicht öffentlichen Veranstaltung am 29. Juni werden beide vor Vertretern der Gemeinden, kommunaler Unternehmen, des Straßenbauamts und des Wasserwirtschaftsamts über naturnahe Grünflächen sprechen, die als "bunte Meter" nicht nur für Bienen und andere Insekten Vorteile haben, sondern auch die Gemeindefinanzen schonen.

Denn wie sich in Haar gezeigt hat, amortisiert sich der Mehraufwand bei der Anlage sehr schnell dadurch, dass die Magerflächen nur einmal im Jahr gemäht werden müssen. Auch sonst wirkt sich die Pflanzung oder Aussaat mehrjähriger Blütenpflanzen finanziell günstig aus, weil nicht in jedem Frühling neue Pflanzen gekauft werden müssen, die dann im Herbst wieder entfernt und weggeworfen werden.

Ehrenamtliche Paten könnten sich um die Flächen kümmern

Eine der Pilotgemeinden wird voraussichtlich Geretsried sein. Inken Domany, die Umweltreferentin der Stadt, erhofft sich Unterstützung durch die Planer. Sie würde gerne im neuen Gewerbegebiet Gelting Ost auf den Grünflächen zwischen den künftigen Betrieben verschiedene Saatmischungen ausprobieren, um zu sehen, was welche Insekten anlockt und welche Mischung sich längerfristig bewährt. Wie in der Gemeinde Haar könnten sich ehrenamtliche Paten um die Flächen kümmern, sie beobachten und auch Pflanzen jäten, die andere zu überwuchern drohen. Einbeziehen müsse man natürlich auch den städtischen Bauhof, sagt Domany, der müsse die Flächen ja pflegen.

Die Gemeinde Icking hat auf eigene Faust schon im vorigen Jahr damit begonnen, Flächen zu schaffen, auf denen Blumen wie Malven, Natternkopf und Hornklee sprießen, etwa auf dem Kreisverkehr, und auch die Bürger zur Anlage von Magerwiesen zu motivieren. Derartige Flächen könnten auch als ökologische Ausgleichsflächen anerkannt werden.

Was die Bauern tun können

Das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und die Untere Naturschutzbehörde im Tölzer Landratsamt laden Landwirte zu einer botanischen Führung in die Jachenau ein. In etwa drei Stunden können die Teilnehmer am kommenden Dienstag die Pflanzenarten kennenlernen, ein Imker erklärt ihre Bedeutung für die Bienen. Ziel ist es, dass die Besitzer artenreicher Wiesen anschließend wissen, ob sie für dafür Förderung nach dem Kulturlandschaftsprogramm "Erhalt artenreicher Grünlandbestände" bekommen können. Dazu müssen auf den Wiesen 34 verschiedene Blütenpflanzen vorkommen, von der Schlüsselblume über die Kuckucks-Lichtnelke bis hin zum Vergissmeinnicht - noch vor 30 Jahren Allerweltspflanzen, heute vielfach eine Seltenheit.

Das AELF plant außerdem eine "Wiesenmeisterschaft" in den Landkreisen Bad Tölz-Wolfratshausen und Miesbach, bei der öffentlichkeitswirksam artenreiche Wiesen prämiert werden sollen. Weitere Maßnahmen, die das AELF den Landwirten als hilfreich ans Herz legt: Sie sollen bei der Löwenzahnblüte zwei bis drei Tage mit dem Mähen warten, damit Bienen und andere Insekten den Nektar nutzen können, sie sollen möglichst vor 9 oder nach 18 Uhr mähen, wenn die Bienen nicht mehr fliegen, und insgesamt möchte das Amt den Bauern die große Bedeutung der Wiesen und deren Mahd für Insekten nahebringen.

Auch Gärten sind ein wichtiger Lebensraum

Neben landwirtschaftlichen und kommunalen Grünflächen können auch Gärten ein wichtiger Rückzugsraum für Insekten sein. Wie das AELF erklärt, wünschen sich Bäuerinnen und Hausgartenbesitzer mehr Informationen über wertvolle Blühpflanzen, die sie dann in ihre Gärten holen wollen. Dazu will das AELF Tipps und Vorschläge zusammentragen und etwa über Gartenbauvereine und Ortsbäuerinnen verbreiten. Tappertzhofen weiß, dass all das nicht genügen wird, um die Insekten zu retten. "Es muss sich sehr viel tun, damit sich was ändert, aber es fängt halt mit den Verkehrsinseln an", sagt sie. Sie hofft auf ein langfristiges Umdenken, auch bei den Landwirten. "Das ist ein hochpolitisches Thema", sagt die LBV-Biologin.

Vom LBV gibt es Broschüren und Listen mit insektenfreundlichen Blütenpflanzen, www.lbv.de, oder bei der Geschäftsstelle in Wolfratshausen, 08171/273 03. Mehr Informationen auch unter www.bluehende-landschaft.de und www.naturgarten.org

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